Wolodymyr Hrojsman ist derzeit Vorsitzender des Obersten Rates, des ukrainischen Parlaments. Er hat gute Chancen, zum neuen Ministerpräsidenten der Ukraine zu werden. Vielen ausländischen Medien und internationalen Beobachtern ist er kaum bekannt. Das Ukraine Crisis Media Center stellt ihn in einem Portrait vor:
1994: Vom geschäftsführenden Direktor zum Abgeordneten im Stadtrat
Wolodymyr Hrojsman (38) begann seine Karriere in der Firma seines Vaters. Dieser leitete in Winnyzja die Firma “Junost” (Jugend). Dort setzte er seinen Sohn im Alter von 16 Jahren gleich nach dem Schulabschluss als geschäftsführenden Direktor ein.
Im Jahr 2002 wurde Wolodymyr Hrojsman mit 24 Jahren zum jüngsten Abgeordneten des Stadtrates von Winnyzja. Nach dem Sieg der Orangen Revolution im Jahr 2005 trat er der Partei des damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, “Nascha Ukrajina” (Unsere Ukraine), bei und wurde wenige Monate später zum Sekretär des Stadtrates.
Am 26. März 2006 wurde der 28-jährige Wolodmyr Hrojsman als Kandidat der Partei “Unsere Ukraine” mit Unterstützung des “Blocks Julia Tymoschenko” zum Bürgermeister von Winnyzja gewählt. Vier Jahre später wurde er mit einem Rekordergebnis von 77,8 Prozent der Wählerstimmen als Bürgermeister wiedergewählt.
Bürgermeister und Reformer: Straßenbahnen aus Zürich, kostenloses Internet in öffentlichen Verkehrsmitteln und Online-Stadtverwaltung
Der Grund für die große Zustimmung für Hrojsman als Bürgermeister war die Modernisierung der Stadt. Die Straßen wurden umfassend erneuert, illegale Märkte bekämpft und der öffentliche Nahverkehr auf Vordermann gebracht.
Eine seiner wichtigsten Errungenschaften war die Reduzierung der so genannten “Marschrutkas”, kleiner Taxibusse, die von Privatfirmen parallel zum öffentlichen Nahverkehr betrieben werden. Dafür baute Hrojsman die öffentlichen Verkehrsmittel aus. Im Dezember 2006 wurde ein Memorandum über Verständigung zwischen der Ukraine und der Schweiz unterzeichnet. Danach begann eine Zusammenarbeit zwischen den Städten Winnyzja und Zürich. Zwischen 2007 und 2011 übergab Zürich der ukrainischen Stadt 116 Straßenbahnwagen. Damit die Bürger die öffentlichen Verkehrsmittel öfter nutzen, wurde in den Straßenbahnen kostenloser Internetzugang eingerichtet.
Neben erfolgreichen Infrastrukturprojekten setzte Hrojsman eine Reform der öffentlichen Verwaltung um. 2008 richtete die Stadt Winnyzja das erste “transparente Verwaltungsbüro” in der Ukraine ein, wo seitdem Dienstleistungen für die Bürgern schneller erbracht werden. Die Kontakte der Bürger mit Beamten wurden auf das Nötigste reduziert, um Korruption möglichst zu vermeiden. Falls Beamte ohne Grund Dienstleistungen verweigern, drohen ihnen Strafen.
2013 kürte die ukrainische Zeitschrift “Focus” Winnyzja zur Stadt mit dem besten Lebensstandard in der Ukraine.
Nach dem Maidan: Minister und Parlamentsvorsitzender
Nach der Revolution der Würde wurde Wolodymyr Hrojsman stellvertretender Ministerpräsident und Minister für regionale Entwicklung, Bauwesen und Kommunalwirtschaft. In diesem Amt bereitete Hrojsman die Reform der staatlichen Dezentralisierung vor. Er war unter anderem zuständig für die Binnenflüchtlinge, die aus den Gebieten des Donbass kamen, die nicht von der Regierung in Kiew kontrolliert werden, aber auch für die Instandsetzung der durch Kampfhandlungen zerstörten Infrastruktur in der Ostukraine.
Nach den Wahlen im Herbst 2014 zog Hrojsman als Abgeordneter ins Parlament ein. Er stand an vierter Stelle der Wahlliste der Partei “Block Petro Poroschenko”. Am 27. November 2014 wurde er zum Vorsitzenden des Obersten Rates gewählt.
Hrojsman als Ministerpräsident: Pro und Kontra
Hrojsman, ehemals Bürgermeister einer Gebietshauptstadt, ist derzeit noch kein Politiker, den die Öffentlichkeit zur obersten Riege zählt. So ist zum Beispiel der Bürgermeister von Lwiw (Lemberg), der Chef der Partei “Samopomitsch” (Selbsthilfe), in der ukrainischen Öffentlichkeit bekannter als Hrojsman.
Hrojsman gilt nach wie vor als ein Politiker regionaler Herkunft. Doch seit seinem Umzug nach Kiew und seiner schnellen politischen Karriere wird er schon überwiegend als hochrangiger Beamter wahrgenommen. “Wolodymyr Hrojsman hat einen starken Reformwillen. Aber es ist ihm noch nicht gelungen, ein Politiker-Image zu finden, das bei der großen Masse der Ukrainer ankommt”, meint der Politikwissenschaftler Wolodymyr Fesenko.
Gerade deswegen sind die Vor- und Nachteile seiner Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten zum Gegenstand von Diskussionen in Expertenkreisen, aber auch in der ukrainischen Öffentlichkeit geworden.
Als Nachteil betrachten viele Hojsmans mangelnde Erfahrung sowie seine etwas zu steile Karriere. Ferner fehle ihm politische Unterstützung, da er über keine eigene Fraktion im Parlament verfüge. Auch seien die landesweiten Umfragewerte niedrig. Als Nachteil gelte zudem die starke Nähe zum Präsidenten.
Doch in den vergangenen Wochen, als sich die Verhandlungen über die Zusammensetzung der Regierung hinzogen und es heftige Diskussionen zwischen Hrojsman und dem Präsidenten bezüglich einiger Ministerposten gab, sei deutlich geworden, dass Hrojsman nach und nach zu einem selbstständig agierenden Politiker werde oder werden wolle, meinen Journalisten.
“Wir sehen einen unnachgiebigen Hrojsman, der gewillt ist, seine Kandidaten für die neue Regierung durchzusetzen. Es handelt sich nicht nur um Personen aus seiner ‘Mannschaft aus Winnyzja’, sondern auch um junge Technokraten und Reformer, die im Wirtschaftsministerium unter der Leitung von Abromavicius tätig waren. Der Mythos über ‘Poroschenkos Marionette’ ist geplatzt”, schreibt der Politologe Wolodymyr Fesenko.
Von Vorteil sei für Hrojsman sein junges Alter. Er sei tatkräftig und könne sich an neue Herausforderungen anpassen, was seine steile Karriere teilweise erkläre. Als Parlamentspräsident habe er eine gute Kommunikation mit den Abgeordneten aufgebaut. Außerdem kenne er sich gut im sozialen Bereich aus, meint Wadym Karasjow. Ferner kenne Hrojsman die regionalen Fragen und die Probleme der Dezentralisierung gut.
Wichtig sind die Beziehungen zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister, denn sie können viele Probleme verursachen. Einerseits ist Hrojsman für Poroschenko ein bequemer Premierminister, weil beide eine lange Freundschaft verbindet. Zugleich kann gerade dieses enge Verhältnis zwischen Poroschenko und Hrojsman für beide negative Folgen haben, warnen Experten.
“Man wird ihm die Verbindungen zum Präsidenten zum Vorwurf machen, wenn er nicht schnell mit der Arbeit beginnt”, meint Oleksandr Palij.
Was Poroschenko betreffe, so werde Hrojsman für ihn nicht mehr ein solcher Blitzableiter sein können wie Jazenjuk, fügt Andrij Solotarjow hinzu. “Alles Negative, was man, wenn überhaupt, Hrojsman anlasten wird, wird sich direkt auf Poroschenko auswirken”, erklärt er.
Darum ist sei es im Interesse von Poroschenko und Hrojsman, voreinander etwas Abstand zu halten, meint Wadym Karasjow.