“Ich wollte leben und schwamm los” – Die Geschichte eines ukrainischen Paralympioniken

Vom 7. bis 18. September finden in Rio de Janeiro die XV. Paralympischen Sommerspiele statt. Die Ukraine ist dort mit 155 Paralympioniken vertreten, die um den Sieg in 14 Sportarten kämpfen werden.

Anton Kohl, Sieger bei Paralympischen Welt- und Europameisterschaften im Schwimmen, hat keine Familie und kann sich nur im Rollstuhl fortbewegen. Mit 26 Jahren hat er bereits Silber- und Bronzemedaillen von Welt- und Europameisterschaften. Über seinen Weg vom Designer zum Athleten, über die täglichen Herausforderungen, Siege und Träume berichtete Anton Reportern von Hromadske-TV am Vorabend der Abreise nach Rio. Das Ukraine Crisis Media Center bringt Auszüge aus dem Gespräch.

Kindheit und Krieg

Meine Mutter hat mich direkt nach der Geburt abgegeben. Bis zu meinem vierten Lebensjahr blieb ich im Entbindungsheim, danach kam ich in ein Waisenhaus. Vor einigen Jahren haben meine Freunde versucht, meine Mutter zu finden, aber wegen des Krieges ist es schwieriger geworden, an Informationen zu kommen. Die russische Seite weigerte sich zu kooperieren, und damit war alles beendet.

Ich bin nicht besonders traurig, dass sie nicht gefunden wurde. Für mich sind die Menschen, die mich aufgezogen haben und immer bei mir waren, viel wichtiger. Ich verstehe, was eine Mutter ist, aber für mich ist das eine völlig fremde Person.

Schwimmen

Zum ersten Mal war ich im Schwimmbad, als ich etwa zehn Jahre alt war. Wir fuhren mit einer Gruppe dorthin. Ich sah aber an den Gesichtern der Trainer, dass ich ein hoffnungsloser Fall war.

Ich war aber dermaßen begeistert und wollte unbedingt schwimmen! Mir war klar, dass Schwimmen zu mir gehört. Danach begann ich zu schwimmen und nutzte jede Gelegenheit dazu, wenn wir zu einem Fluss fuhren. Ein Mal wäre ich beinahe ertrunken. Alles mögliche passierte. Danach hatte ich zwei Monate Angst, ins Wasser zu gehen. Aber der Wunsch, schwimmen zu lernen, war stärker als die Angst. Und dann haben mich Freunde eines Tages einfach vom Katamaran ins Wasser geworfen und ich schwamm. Ich wollte leben und schwamm los.

Dann kamen harte Zeiten: Ich wurde in ein anderes Internat verlegt. Aber das war ein Wohnheim, besser gesagt ein Heim für Behinderte beziehungsweise ein Seniorenheim. Das sind nicht allzu angenehme Erinnerungen.

Unser Staat geht davon aus, wenn Verpflegung und Unterkunft bereitgestellt sind, dass solche Menschen dann nichts mehr brauchen. Als sei es Vieh. Vielleicht ist das so brutal gesagt, aber es ist so…

Dort angekommen begann ich, in ein Schwimmbad zu fahren und nach und nach zu schwimmen. Ich hatte Freunde, die Paralympioniken waren, und die gaben mir die Telefonnummer eines Trainers. Schwimmen hat mir immer gegen Depressionen geholfen, immer dann, als es schien, dass alles verloren und das Leben zu Ende ist.

Malen und Bauen

Ich habe mich auch fürs Malen begeistert. Das führte mich bis zum Bauwesen. Ich begann, Zeichnungen anzufertigen und Kostenvoranschläge zu erstellen. Ich studierte Bauingenieurwesen, bekam ein Diplom im Fach Bautechnik und arbeitete sogar einige Jahre in diesem Bereich. In der Stadt Dnipro stehen mehrere zweistöckige Häuser mit Mansardendach, die nach meinen Entwürfen gebaut wurden. Doch plötzlich hatte ich genug davon! Ich begann Kampfhunde zu züchten. Das hat Spaß gemacht.

Im Ausland

Als ich zum ersten Mal im Ausland war, war ich davon überwältigt, was ich sah. Das war eine ganz andere Welt. Alles war anders. Aber die Menschen waren leider gleich. Nur ein bisschen freundlicher. Die Lebensbedingungen sind dort absolut angemessen. Alles ist bequem, man kommt überall hin.

Die meisten Schwimmbäder in der Ukraine sind nicht behindertengerecht. Überall sind Treppen und schmale Gänge. Wenn bei uns Rampen gebaut werden, dann schlecht. Erst seit zwei Jahren stelle ich fest, dass Gehwege und Straßen behindertengerechte Übergänge bekommen.

Privatleben

In Dnipro erkennen mich Menschen sehr oft auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften. Sie begrüßen mich, bedanken sich. Und das ist sehr aufbauend, in solchen Momenten merkt man, dass all dies nicht vergeblich ist, dass es jemanden gibt, der dir folgt, Daumen drückt und dich unterstützt.

Zurzeit bin ich fast immer bei Sportveranstaltungen, deswegen versuche ich, meine Freizeit mit meiner Freundin zu verbringen. Ihr habe ich natürlich sehr zu danken, für ihre Geduld bei all meinen Reisen. Immer wenn ich zurückkomme, gehen wir sofort ins Kino oder spazieren.

Träume

Wie jeder Sportler träume ich natürlich davon, eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen zu gewinnen. Ich denke, das ist der Traum eines jeden Athleten. Und neben dem Sport träume ich davon, eine Familie zu gründen. Daran arbeite ich schon.

Vor allem will man sich selbst beweisen, dass man nicht schlechter ist, als die Menschen, die glauben, dass wenn sie Arme und Beine haben, ihnen dann alles erlaubt ist. Tatsächlich ist es auch so, nur schätzen sie dies nicht. Wir sind da etwas anders. Wir schätzen das, was uns das Leben gibt. Ich weiß, dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, sich selbst zu verwirklichen und etwas aus sich zu machen.