Am 6. Juni haben russische Truppen das Kachowka-Wasserkraftwerk samt Damm gesprengt, das die Südukraine mit Strom und Frischwasser versorgt. Der Stausee ist auch für den Betrieb des Kernkraftwerks Saporischschja wichtig, da die Kühlbecken vom Wasserstand im Dnipro abhängen. Das Wasserkraftwerk wurde von innen gesprengt und kann nicht mehr wiederhergestellt werden, so die Einschätzung des Betreibers Ukrhydroenergo.
Nach der Sprengung überschwemmte das Wasser gleich acht Siedlungen und einen Bezirk von Cherson am rechten Ufer ganz oder teilweise. Etwa 16.000 Menschen am rechten Ufer des Dnipro in der Region Cherson befinden sich in einer kritischen Zone. Das von den Russen besetzte linke Ufer ist noch stärker gefährdet, denn es liegt tiefer. Insgesamt 80 Siedlungen befinden sich im Bereich möglicher Überschwemmungen. Die Gebietsverwaltung von Cherson kündigte die Evakuierung folgender Orte an: Mykolajiwka, Olhiwka, Lwowe, Tjahyka, Ponjatiwka, Iwaniwka, Tokariwka, Prydniprowske, Sadowe und teilweise der Stadt Cherson und die Insel Korabel.
Die Reaktion der ukrainischen Behörden
Präsident Wolodymyr Selenskyj berief noch am 6. Juni eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrates ein. “Alle haben sehr schnell und klar berichtet, ohne unnötige Emotionen. Es gab eine kurze Besprechung und dann gingen alle an ihre Arbeit”, sagte einer der Teilnehmer der Sitzung der Zeitung Ukrajinska Prawda. Er betonte, die Russen hätten Sprengsätze verwendet, vor denen Selenskyj in seiner Rede vor dem Europäischen Rat im vergangenen Herbst gewarnt habe.
“Bei der Sitzung teilte das Militär den genauen Zeitpunkt der Sprengung mit – gegen 3 Uhr. Sie versicherten, dass dies definitiv nicht ihre Arbeit war, es gab keinen Beschuss von ukrainischer Seite. Die Sprengung wurde von den Russen durchgeführt”, so der Gesprächspartner der Zeitung. Außenminister Dmytro Kuleba sei beauftragt worden, eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einzuleiten.
Was passiert im besetzten Teil der Region Cherson?
In den frühen Morgenstunden des 6. Juni logen die Besatzungsbehörden, dass “der Damm selbst nicht zerstört wurde”, und sagten den Bewohnern, dass “die Situation unter Kontrolle” sei. Die Bewohner von Nowa Kachowka hätten nach der Sprengung des Staudamms keine Anweisungen von den Besatzern erhalten, sagte der Bürgermeister der Stadt, Oleksandr Kowalenko, gegenüber der Zeitung Ukrajinska Prawda.
Später gaben die Besatzungsbehörden von Nowa Kachowka bekannt, dass ein Teil der Bewohner evakuiert werde. Die Bewohner von Nowa Kachowka, Hola Prystan und Oleschky wurden vom russischen Katastrophenschutzministerium aufgefordert, notwendige Dinge wie Dokumente, Lebensmittel und Wasser einzupacken.
Folgen für die Krim
Die Sprengung des Kachowka-Wasserkraftwerks wird sich auch auf die Wasserversorgung der besetzten Krim auswirken. Der Nord-Krim-Kanal, der sich nach der russischen Invasion in der Region Cherson wieder zu füllen begann, wird erneut ohne Wasser dastehen. Wenn der Pegel im Stausee sinkt, dann kann das Wasser nicht mehr in den Kanal gelangen. Für die Besatzungsbehörden auf der Krim stellt dies derzeit jedoch noch kein Problem dar, da es auf der Halbinsel in den letzten Monaten zu starken Niederschlägen kam und die örtlichen Stauseen mittlerweile voll sind.
Wie sich die Kachowka-Sprengung die Offensive der Ukraine auswirken wird
Die Frontlinie in der Region Cherson hat sich seit November 2022 nicht bewegt, dennoch gilt der Süden als eine der wichtigsten potenziellen Richtungen einer Großoffensive der ukrainischen Armee. Um den Süden zu befreien, muss die ukrainische Armee auf die andere Seite des Dnipro gelangen. Wo genau dies der Fall sein wird – von der Seite von Cherson (auf dem Wasserweg) oder Saporischschja (auf dem Landweg) ist unbekannt.
Bei Cherson vergrößert nun die Überschwemmung des Flusses Dnipro physisch den Abstand zwischen ukrainischen und russischen Truppen und erschwert zweitens den Einsatz schweren Geräts während der Operation. Wie der Abgeordnete und Militärangehörige Roman Kostenko der Zeitung Ukrajinska Prawda mitteilte, sieht er keine Anzeichen von Vorbereitungen für eine Überquerung des Dnipro, also einer Offensive von Cherson aus. Daher werde die Sprengung des Staudamms ihm zufolge keine Auswirkungen auf die Offensive haben.
Einen Staudamm zu sprengen ist ein Verbrechen
Die Zerstörung von Wasserkraftwerken ist ein Verbrechen, ein Verstoß gegen die in der Welt anerkannten Kriegsregeln. Die nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste Genfer Konvention verbietet ausdrücklich Angriffe auf Dämme und Talsperren. Der Grund ist klar: schwerwiegende und unkontrollierbare Folgen für die Zivilbevölkerung. Und die allgemeinen Grundsätze der Konvention verlangen, die Zivilbevölkerung zu schützen und nicht zu Angriffen zu greifen, deren Folgen nicht begrenzt werden können.
Ein Angriff auf einen Staudamm ist nur dann zulässig, wenn seine Nutzung von seiner normalen Funktion abweicht und der Angriff die wichtige militärische Funktion des Staudamms zunichtemachen würde. Doch dies ist beim Kachowka-Wasserkraftwerk nicht der Fall.