Balcerowicz und Mikloš fordern weitere Reformen in der Ukraine

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Die Ukrainer sind besorgt, weil sie seit mehr als zwei Jahren keine wirksamen Reformen sehen. Doch gerade sie erwarten die Menschen von der jetzigen Regierung. Der Schöpfer der polnischen “Schocktherapie”, Leszek Balcerowicz, und der slowakische Reformpolitiker Ivan Mikloš bewerten die Reformen in der Ukraine.

Kiew, 6. Oktober 2016 – Die Ukraine muss Reformen in ganzen “Paketen” beschließen und das würde sowohl eine notwendige Vernetzung der Reformen gewährleisten als auch Zeit sparen. Das sagte Leszek Balcerowicz, Mitgründer der “Strategischen Beratergruppe zur Unterstützung der Reformen in der Ukraine”, im Ukraine Crisis Media Center während der Präsentation eines Pakets wichtiger Reformen für die Ukraine. Der polnische Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Finanzminister unterstrich, sollte das Paket beschlossen werden, werde man schon in 2,5 Jahren, also genau vor den Wahlen, dessen Auswirkungen spüren. “In diesem Jahr setzte wieder Wirtschaftswachstum ein, aber es ist noch gering. Allein von den Reformen hängt ab, ob die Wirtschaft weiterhin nur langsam oder schneller wachsen wird”, so Balcerowicz. Ihm zufolge sehen die wichtigen Reformen eine Umgestaltung des Staatsapparats, der öffentlichen Finanzen, des Steuersystems, eine transparente Privatisierung, eine Deregulierung und Entmonopolisierung sowie effiziente Reformen im Energiesektor vor. Balcerowicz sagte ferner, dass die Bodenreform dabei von grundlegender Bedeutung sei.

Ivan Mikloš, ebenfalls Mitgründer der “Strategischen Beratergruppe zur Unterstützung der Reformen in der Ukraine”, wies im Ukraine Crisis Media Center auf wichtige Reform-Erfolge im Bereich der öffentlichen Finanzen hin. So sei eine makrofinanzielle Stabilisierung und fiskale Konsolidierung erreicht worden. Allerdings sei das Ergebnis immer noch sehr wackelig. Wichtig sei, dass die Haushaltskonsolidierung mit den Strukturreformen einhergehen. “Notwendig sind Strukturreformen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales. Ohne sie gibt es keine makroökonomische Stabilität. Und ohne sie kann man kein Wirtschaftswachstum und keine Verbesserung des Lebensqualität erwarten”, erläuterte der ehemalige slowakische Finanzminister.

Exekutive und Legislative müssen stärker kooperieren

Mikloš betonte, wichtig sei auch eine Verbesserung des Staatsapparats. “Das Problem ist, dass es keine enge Zusammenarbeit und Interaktion zwischen dem Parlament und der Regierung gibt, um die Reformen schnell voranzubringen. Das Parlament hat im vergangenen Jahr nur 37 Prozent der Initiativen der Regierung unterstützt. Solange es keine Unterstützung durch das Parlament gibt, kann man keine Reformen beschleunigen”, sagte der Wirtschaftsexperte.

Ferner hält Mikloš eine neue Strategie zur Bekämpfung der Korruption für notwendig. Die jetzige sei zu schwach und sie würde keinen praktischen Aktionsplan beinhalten. “Die wirksamste Bekämpfung der Korruption sind schnelle Reformen: Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung”, unterstrich er.

“Es wurde viel erreicht, aber es muss mehr getan werden”

Im Bereich der Steuern, so Mikloš, sollte das vereinfachte Verfahren der Besteuerung reformiert werden. Es sollte künftig nur noch für kleine Unternehmen gelten. Außerdem sei es notwendig, das Moratorium zum Verkauf von Grund und Boden aufzuheben. “Das ist einer der entscheidendsten Faktoren für mehr Investitionen, Wirtschaftswachstum und die Förderung des ländlichen Raums. Von einer transparenten Privatisierung würden nicht die Oligarchen, sondern die ukrainische Gesellschaft profitieren”, betonte Mikloš.

Auch im Energiesektor ist dem slowakischen Wirtschaftsexperten zufolge viel erreicht worden. Aber es müsse viel mehr getan werden. “Der Markt wird von Monopolen beherrscht und ist intransparent. Eingeführt werden muss das dritte Energiepaket der EU. Es gibt bereits eine unabhängige Regulierungsbehörde. Nun muss noch ein neues Gesetz über den Strommarkt angenommen werden”, sagte Mikloš. Was die Gesundheitsreform angehe, so sollte künftig folgendes Hauptprinzip gelten: Geld fließt für die Patienten und wird nicht medizinischen Einrichtungen zugewiesen.