Positive und negative Tendenzen in den Außenbeziehungen der Ukraine

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Experten haben in Kiew eine Studie über die Entwicklung der Außenbeziehungen der Ukraine in den letzten Monaten vorgestellt. Darin bewerten sie unter anderem das Verhältnis des Landes zu den USA, Russland und zur Europäischen Union.

Kiew, 24. Oktober 2016 – Im Zeitraum von Juni bis September 2016 wurden die meisten positiven Tendenzen in den Außenbeziehungen der Ukraine im Verhältnis zur EU beobachtet, gefolgt von den USA. Die meisten negativen Tendenzen gibt es erwartungsgemäß in den Beziehungen zu Russland. Das geht aus einer Studie hervor, die von der Truman Agency für strategische Kommunikation und dem ukrainischen Institut für Weltpolitik (Institute of World Policy) im Ukraine Crisis Media Center vorgestellt wurde. Für die Studie wurden unter anderem ukrainische und ausländische Experten, Diplomaten und Regierungsvertreter befragt.

USA: Eindämmung der russischen Aggression und Reformen

Die wichtigsten Bereiche der Zusammenarbeit mit den USA sind die Eindämmung der russischen Aggression, die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine sowie die Förderung von Reformen. “Die USA konzentrieren sich auf die Stärkung der unabhängigen Anti-Korruptions-Behörden NABU (Nationales Anti-Korruptions-Büro) und NASK (Nationale Agentur für Korruptionsprävention) sowie auf die Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft. Die einzige Frage ist, welche dieser beiden Bereiche – die Eindämmung der russischen Aggression oder die Bekämpfung der Korruption – dominieren wird”, sagte Aljona Hetmantschuk, Leiterin des Instituts für Weltpolitik in Kiew.

Im Zeitraum zwischen Juni und August hätten die USA den von der Obama-Regierung gewählten politischen Kurs fortgesetzt: die Vermeidung einer Eskalation der Kämpfe im Osten der Ukraine und einer Destabilisierung des Rests des Landes. Dies sei in entsprechenden Äußerungen und durch die Verlängerung von Sanktionen gegen Russland zum Ausdruck gekommen. Hetmantschuk betonte, die USA hätten viel dafür getan, damit die Ukraine-NATO-Kommission während des Warschauer NATO-Gipfels auf höchster Ebene tagen konnte. Und im September habe das US-Repräsentantenhaus den “Stand for Ukraine Act” zur Förderung von Stabilität und Demokratie in der Ukraine verabschiedet. “Das ist sehr wichtig, weil das die Sanktionen festschreibt, die Lieferung von tödlichen Waffen an die Ukraine erlaubt und die Anerkennung der Annexion der Krim verbietet”, so die Expertin.

Eines der Probleme im Verhältnis zwischen Kiew und Washington ist Hetmantschuk zufolge die unterschiedliche Sicht auf die Minsker Vereinbarungen. “Der Hauptunterschied ist, dass die USA meinen, Minsk stelle keine Bedrohung für die Stabilität und das Funktionieren der Ukraine als Staat dar. In den USA herrscht die Meinung vor, dass die Ukraine die Minsker Vereinbarungen jetzt zu besseren Bedingungen erfüllen kann. Aber in Kiew bezweifelt man dies”, sagte Hetmantschuk.

Russland: Versuche der Diskreditierung und Druckmethoden

Russland hat in dem genannten Zeitraum versucht, die Verhandlungen in Minsk zum Scheitern zu bringen, darunter mit einer Diskreditierung der Ukraine in den Augen ihrer Partner. Das glaubt Andrij Hontscharuk vom ukrainischen Institut für Weltpolitik. So habe Moskau versucht, Kiew als “verhandlungsunfähig” darzustellen. In einen solchen Zusammenhang sei Kiews Ablehnung des neuen russischen Botschafters gestellt worden, sagte er. Doch Höhepunkt der Diskreditierung sei die Erklärung des russischen Präsidenten vom 10. August gewesen. Wladimir Putin hatte der Ukraine Provokationen auf der Krim vorgeworfen und die Verhandlungen mit Kiew für “sinnlos” erklärt. Ähnliche Angriffe habe es auch im Wirtschaftsbereich gegeben, betonte Hontscharuk. So sei die Ukraine angeblich unfähig, für den Transit von Gas in die EU zu sorgen. Und angeblich sei zu wenig Gas in den ukrainischen Speichern und vieles mehr. Im Unterschied zu den sogenannten “Krim-Provokationen” wurde diesen Erklärungen in Europa jedoch zum Teil Glauben geschenkt.

“Offensichtlich wird Russland weiterhin versuchen, die Ukraine zu diskreditieren. Der Optimismus der ukrainischen Elite, dass es bis Ende November gelingt, eine Roadmap zur Regelung des Konflikts im Donbass festzulegen, sollte gedämpfter sein: Russland wird diesen Prozess entweder hinauszögern oder zum Scheitern bringen und die Ukraine für den Krieg verantwortlich machen wollen”, sagte der Experte. Die russischen Behauptungen, wonach die Ukraine “verhandlungsunfähig” sei, könnten dazu führen, dass die westlichen Verbündeten von Kiew größere Zugeständnisse fordern. Denn ihnen sei wichtig, dass irgendwelche Verhandlungen stattfinden. Hontscharuk fügte noch hinzu, dass im Falle eines kalten Winters Russland versuchen könnte, alle verfügbaren Hebel im Energiesektor einzusetzen.

Hontscharuk wies außerdem darauf hin, dass sich in den letzten Monaten die Spannungen zwischen dem Westen und Russland wegen der Ereignisse in Syrien zu Gunsten der Ukraine auswirken würden. Die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen zu Syrien hätten dazu geführt, dass die westlichen Partner auch besser verstehen würden, was in der Ukraine geschehe. Bei Treffen zwischen westlichen Staats- und Regierungschefs mit dem russischen Präsidenten werde jetzt gleichzeitig über Syrien und die Ukraine gesprochen.

EU: Aktiver Dialog und gegenseitige Erwartungen

“Alle erwarten positive Nachrichten aus Brüssel. Und Brüssel erwartet positive Nachrichten aus Kiew”, sagte Daria Hajdaj vom ukrainischen Institut für Weltpolitik. Die vorrangigen Themen für die Ukraine im Verhältnis zur EU sind ihr zufolge die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Russland, die Visaliberalisierung, weitere Finanzhilfen sowie der Abschluss der Ratifizierung des Assoziierungsabkommens. In diesen Bereichen gebe es bereits enorme Fortschritte: den optimistischsten Prognosen zufolge kann mit der Aufhebung der Visumpflicht für ukrainische Staatsbürger seitens der EU im Dezember gerechnet werden.

Brüssel seinerseits wolle, so Hajdaj, größere Fortschritte bei den Reformen in der Ukraine sehen, darunter bei der Korruptionsbekämpfung, im Energiewesen, in der Justiz und bei der Dezentralisierung. “Für ein Land, das nicht als ein künftiges EU-Mitglied betrachtet wird, ist die Mitwirkung der EU an den internen Entwicklungen und Reform in der Ukraine beispiellos”, sagte die Expertin. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe die Anti-Korruptions-Reform. Sie werde als Lackmus-Test betrachtet, als größte Prüfung für die Ukraine, von der ihre Zukunft und ihr künftiges Verhältnis zur EU abhänge. Hajdaj betonte, dass von der Ukraine weniger aufsehenerregende Korruptionsprozesse erwartet würden, sondern vielmehr die Stärkung der Anti-Korruptions-Behörden NABU und NASK als unabhängige Institutionen. Jeder Versuch, Reformen in diesem Bereich aufzuhalten, wie das zum Beispiel bei der elektronischen Einkommens- und Vermögenserklärung für Staatsbedienstete (E-Declaration) der Fall gewesen sei, werde der Westen als ein Warnsignal betrachten. So etwas schade dem Ansehen der Ukraine.

Hajdaj sagte ferner, bedacht werden sollte auch, dass die EU derzeit mit großen Herausforderungen wie dem Brexit, dem Krieg in Syrien und der Migrationskrise konfrontiert sei. All dies lenke die Aufmerksamkeit von der Ukraine ab. “Wenn die Ukraine keine Ergebnisse vorweist, wird die Bereitschaft sinken, die ukrainischen Reformen zu unterstützen”, warnte die Expertin.