Nach neuesten Schätzungen der Investmentgesellschaft Dragon Capital belief sich im Jahr 2016 das Vermögen der zehn reichsten Ukrainer auf mehr als elf Milliarden Dollar. Das ist fast 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2015. Zum Vergleich: Das Vermögen der zehn reichsten Einwohner von Polen oder der USA erreicht nur drei Prozent des BIP. Das ukrainische Centre for Economic Strategy hat eine Studie mit dem Titel “Den gefangenen Staat Ukraine befreien” vorgelegt. Darin gehen die Autoren den Risiken für die Wirtschaft und die Gesellschaft nach. Die Zeitung “Livyj Bereg” hat die wichtigsten Thesen der Studie veröffentlicht. Das Ukraine Crisis Media Center bringt eine Kurzfassung des Artikels in deutscher Sprache.
Wie sind die ukrainischen Oligarchen entstanden?
Auf verschiedene Weise haben die Oligarchen ihre Macht über den Staat ausgebaut. Beispielsweise gelang es ihnen, Regulierungsbehörden zu kontrollieren. So konnten sie natürliche Monopole schaffen. Ihnen gelang es auch, den Staatshaushalt zu kontrollieren, was ihnen Präferenzen bei der Verwendung von Haushaltsmitteln brachte. Schließlich gelang es ihnen, die Kontrolle über Staatsbetriebe zu übernehmen. Reich wurden die ukrainischen Oligarchen in den 1990er Jahren. Die von ihnen kontrollierten Unternehmen blieben als Aktiengesellschaften in vollem oder mehrheitlichen Staatsbesitz, wurden aber von privaten Firmen kontrolliert. Ein weiteres Attribut aller ukrainischen Oligarchen ist der Besitz von Medien.
Rinat Achmetow
Rinat Achmetow ist mit einem Vermögen von 4,1 Milliarden Dollar (Stand Ende 2016) der reichste Bürger der Ukraine. Er ist Eigentümer der Holding “System Capital Management“ (SCM). Die Finanz- und Industriegruppe erzielte im Jahr 2015 einen Gewinn nach Steuern von 11,293 Milliarden Dollar – 12,5 Prozent des BIP im Jahr 2015. Achmetows Fußballklub “Shakhtar“ sowie sein Mediengeschäft (der TV-Sender “Ukrajina” und die Zeitung “Segodnja”) sind nach Einschätzung der Experten unrentabel und dienen lediglich dem politischen Einfluss und der Imagepflege.
In der Zeit der Präsidentschaft von Viktor Janukowytsch erhöhte Achmetow seine Vermögenswerte, unter anderem durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen. Nach der Revolution der Würde und der Besetzung der Krim und des Donbass war der Geschäftsmann gezwungen, sein Vermögen zu verteidigen.
Zu Achmetows Einflussbereich im ukrainischen Parlament zählen 20 Abgeordnete. Im vorangegangenen Parlament waren es 27.
Im Bereich der thermischen Energieerzeugung hat Achmetows Unternehmensgruppe “DTEK” einen Anteil von 70 Prozent. Seine “Oblenergos”, also die regionalen Energiegesellschaften, haben in den Regionen ein Monopol bei der Stromversorgung.
Im Jahr 2016 gab es Anzeichen für staatliche Präferenzen für die Holding “SCM”, zum Beispiel seitens der Regulierungsbehörde für Energie und kommunale Dienstleistungen (NKREKP). So wurde der Tarifformel für die thermische Energieerzeugung der Kohlepreis an den Häfen Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen (ARA) zuzüglich Lieferung zugrunde gelegt.
Die Präferenzen für Unternehmen der SCM-Gruppe sind wahrscheinlich das Ergebnis politischer Vereinbarungen zwischen Achmetow und Vertretern von Präsident Petro Poroschenko. Möglicher Vermittler bei den Verhandlungen zwischen “DTEK” und Poroschenko könnte Ihor Kononenko sein, ein Freund des Präsidenten. Kononenko gilt als derjenige, der die staatliche Gesellschaft “Centrenergo” kontrolliert, die auch von der Tarifformel “Amsterdam plus” profitiert.
Die Tarifformel hat “DTEK” und anderen Erzeugern thermischer Energie hohe Einnahmen zu Lasten der Verbraucher beschert. Die Erhöhung der Tarife für Unternehmen führt zu einem Anstieg der Produktionskosten und damit zu Inflation.
Ihor Kolomojskyj
Der zweitreichste Mann der Ukraine hat nach Angaben der ukrainischen Zeitschrift “Fokus” ein Vermögen von 1,4 Milliarden Dollar. Kolomojskyj ist im Ölgeschäft tätig und übt die Kontrolle über staatliche Unternehmen wie “UkrNafta”, die Fluggesellschaft “Ukraine International Airlines” und Tankstellen aus. Auch ist er in der Metallurgie und in vielen anderen Bereichen aktiv. Bis vor kurzem gehörte Kolomojskyj die größte Bank in Ukraine, die “Privatbank”. Sie wurde im Dezember 2016 verstaatlicht. Ferner ist der Oligarch Mitinhaber der Medienholding “Central European Media Enterprises Ltd”. Alle Unternehmen des Oligarchen werden informell zur Holding “Privat Group” gezählt.
Zu den Parteien, die ihm gegenüber loyal sind, gehören die “Volksfront”, die “Wiedergeburt” und “Ukrop”. Loyal zu ihm sind ferner der Bürgermeister der Stadt Dnipro, Borys Filatow, und der Anführer des “Rechten Sektors”, Dmytro Jarosch.
Viktor Pintschuk
Viktor Pintschuk hat ein Vermögen von 1,3 Milliarden Dollar. Die meisten seiner Gewinne stammen aus der Metallindustrie. Die Haupteinnahmequelle ist die “Group EastOne”, die vor allem Hersteller von Röhren und Stahlwerke umfasst. Zusammen mit Kolomojskyj kontrolliert er das Ferrolegierungswerk in Nikopol. Das Werk war aber auch schon Gegenstand von Streitigkeiten und Klagen zwischen den beiden Oligarchen. Pintschuk gehört die Bank “Credit Dnipro” und “StarLightMedia”, eine der größten Medienholdings in der Ukraine. Zu ihr zählen die TV-Sender STB, ICTV, “Nowyj Kanal”, M1, M2, QTV sowie die Zeitung “Fakty”, aber auch die Radio-Gruppe “TavrMedia”, die die Stationen “Russkoje Radio Ukraina”, “Hit FM”, “Kiss FM”, “Melody” und “Relax” umfasst. Alle Unternehmen des Oligarchen werden von der Investmentgesellschaft “EastOne” verwaltet.
Mit Pintschuk werden drei Parlamentsabgeordneten in Verbindung gebracht. Die Partei “Block Petro Poroschenko” unterstützt mit ihren Entscheidungen Pintschuks Geschäftsinteressen.
Nach Recherchen der Webseite “Naschi Hroschi” (Unser Geld) gewann die jüngste Ausschreibung im Wert von mehr als einer halben Milliarde Hrywnja für die Lieferung von Röhren an das staatliche Gasförderunternehmen “UkrGasVydobuvannya“ Pintschuks Firma “Interpipe” ohne Widerstand von Konkurrenten. Nicht einmal der endgültige Vertrag wurde veröffentlicht. Zuvor hatte Pintschuk bereits den Preis für Räder angehoben, die an die Ukrainische Eisenbahn geliefert werden.
Pintschuk tritt eher als großer Geschäftsmann und Lobbyist, weniger als ein Oligarch in Erscheinung. Doch es gibt Anzeichen für bestimmte Präferenzen beim Absatz seiner Produktion.
Petro Poroschenko
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko verfügt laut seiner Einkommens- und Vermögenserklärung für das Jahr 2015 über ein Vermögen von 950 Millionen Dollar (Stand 2016). Ihm gehört der nicht diversifizierte korporative Investmentfonds “Prime Assets Capital”. Dieser verwaltet große Vermögenswerte wie den Süßwarenhersteller “Roshen”, die Werft “Kusnja na Rybalskomu” (ehemals Leninska Kusnja), die “International Investmentbank”, die Mediengesellschaft “Kanal 5”, Unternehmen im Agrarsektor sowie viele andere Firmen.
Die Minderheitsaktionäre von “Prime Assets Capital” Ihor Kononenko und Oleh Hladkowskyj gelten als Poroschenkos enge Freunde. Hladkowskyj ist seit 2014 stellvertretender Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine. Manager aus Poroschenkos Automobil-Geschäft und von dessen Partnern befinden sich in leitenden Positionen von Rüstungsunternehmen wie “UkrOboronProm“ und “Antonow”.
Mit Poroschenko verbundene Unternehmen kontrollieren fast den gesamten Verteidigungssektor und erhalten zahlreiche staatliche Bestellungen. Informationen zufolge gab es Aufträge zum Bau von Transportmitteln für die Nationalgarde und das staatliche Erdöl-Transportunternehmen “UkrTransNafta”.
Auch Poroschenkos Werft hat sich auf die Produktion für die Rüstungsindustrie umgestellt. Zum Beispiel begann sie mit der Herstellung verschiedener Waffen für die ukrainische Armee. Bestellt wurden vom Staat auch Patrouillenschiffe.
Der Ersatzteilhersteller “UkrZapChastyna“, der mit dem ukrainischen Autobus-Bauer “Bohdan” in Verbindung gebracht wird, ist einer der größten Kreditnehmer der “International Investmentbank” und hat mehr als 300 öffentliche Ausschreibungen gewonnen.
Poroschenko nimmt auch Einfluss auf Behörden. So hat er die Mitglieder der Regulierungsbehörde für Energie und kommunale Dienstleistungen (NKREKP) ernannt, die im Interesse der einzelnen Oligarchen handeln (bei der Anhebung der Tarife und bei der Festlegung eines unangemessen hohen Preises für Kohle, die vor allem vom Rinat Achmetow verkauft wird). Von Entscheidungen der NKREKP profitieren auch staatliche Unternehmen, die von Poroschenkos Umfeld kontrolliert werden, wie beispielsweise “Centrenergo“ und “UkrTansGaz“. Dies wird einen höheren Strompreis für Privathaushalte und Unternehmen zur Folge haben.
Dmytro Firtasch
Dmytro Firtasch besitzt die “Group DF” mit einem Vermögen von 652 Millionen Dollar. Eines der drei Hauptgeschäftsfelder ist Stickstoff, vertreten durch das Unternehmen “OSTCHEM”. Es ist der weltweit drittgrößte Produzent von Nitraten, der viertgrößte Ammoniak-Hersteller und der zwölftgrößte Karbamid-Produzent.
Firtaschs Titan-Geschäft läuft über das Titan- und Magnesium-Kombinat in Saporischschja, an dem die “Group DF” 49 Prozent hält. Sein Gasgeschäft lässt Firtasch von der “Regionalen Gasgesellschaft” (RGC) verwalten.
Firtasch besitzt den TV-Kanal “Inter”, der zu den fünf Sendern des Landes mit den höchsten Einschaltquoten zählt. “Inter” hat einen Ruf als Sender, der überwiegend prorussische Inhalte bringt und am meisten Positionen von Vertretern des “Oppositionsblocks” vertritt.
Im ukrainischen Parlament zählen sechs Abgeordnete zum Einflussbereich von Firtasch. Der Oligarch unterstützt nach eigenen Angaben seit 2012 die Partei “UDAR” von Vitali Klitschko.
Recherchen von Reuters zufolge soll das Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin der endgültige Nutznießer der Geschäfte der “Group DF” sein, was aber aufgrund der undurchsichtigen Eigentümerstruktur nicht nachzuweisen sei. Aber es gebe dafür unmittelbare wirtschaftliche Anzeichen wie Sonderpreise für russisches Gas und Kredite der “Gazprombank” an Unternehmen der “Group DF”. Daher gibt es Grund zur Annahme, dass dies nicht nur einen Versuch eines Oligarchen darstellt, im Staat Macht auszuüben, sondern einen Versuch eines Nachbarstaates, die Macht im ukrainischen Staat zu übernehmen.