Den Krieg überlebt, im Zivilleben ermordet: Sieben Fälle von ATO-Veteranen

Auf dem Foto: Edmond Saakjan – Anwalt und ATO-Veteran

Am 24. Juni 2017 schossen mehrere bewaffnete Leute in Dnipro auf eine Menschengruppe, in der auch ATO-Veteranen waren. Einer von ihnen war auf der Stelle tot; ein zweiter starb im Krankenhaus; und ein dritter wurde schwer verletzt, blieb aber am Leben. Nun ermittelt die Polizei.

Leider war dies nicht der erste Anschlag auf ukrainische Soldaten in einer friedlichen Stadt der Ukraine. Teilweise wird der russische Geheimdienst FSB  für die Anschläge verantwortlich gemacht – als „langer Arm des Kremls“; teilweise die ukrainische Staatsführung, und teilweise wird von „normalem Mord“ gesprochen. Das Ukraine Crisis Media Center sammelte Material zu den bekanntesten Mordfällen an ukrainischen Soldaten und Freiwilligen.

Jaroslaw Babitsch: Vermeintlicher Selbstmord

Am 26. Juli 2015 wurde Jaroslaw Babitsch, ein bekannter Ideologe und Jurist des Freiwilligenbataillons „Azow“, hängend in seiner eigenen Wohnung gefunden. Bereits zwei Tagen nach Bekanntwerden seines Todes versuchte die Pressestelle des Innenministeriums im Kiewer Gebiet die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass er fahrlässig Selbstmord beging. Angeblich gab es Hinweise auf einen Unfall bei einer Sexualpraktik: durch Experimente beim Strangulieren, ein erotisches Spiel mit drohender Erstickung. Allerdings glaubten nahe Verwandte und Freunde nicht an diese Version. Nach Meinung von Larissa Babitsch, der Witwe des Verstorbenen, wollten die Mörder es nicht ohne Grund als Selbstmord aussehen lassen. Zum einen hofften sie, Jaroslaw damit in den öffentlichen Augen zu diskreditieren; zum anderen wollten sie sich davon überzeugen, dass sich die Verwandten wegen der Schande nicht weiter für die Wahrheit interessieren. Neben anderen wurde die Witwe von Babitsch um Geduld gebeten, wobei der Fall im Juni 2016 ohne Nachricht an die Familie geschlossen wurde.

Oleg Muschtschil: Saboteur oder Patriot

Am 9. Dezember 2015 führte die Ukraine eine Spezialoperation durch, um eine „Sabotage- und Spionagegruppe“ unschädlich zu machen, die Terrorakte in der Ukraine plante. Dabei wurden sieben Personen festgenommen: drei russische Staatsbürger und vier Ukrainer, die selbstgebaute Zündvorrichtungen, automatische Waffen, Granaten und Munition hatten. Eine weitere Person wurde erschossen. Die ukrainischen Sicherheitskräfte nannten den Anführer dieser Gruppe, dessen Name bekannt wurde: Oleg Muschtschil, 50jährig aus Donezk (ein weiterer Name: Sergej Amirow, Kampfname: „Lesnik“), Spion des ukrainischen Freiwilligenbataillons „Rechter Sektor“. „Lesnik“ gründete die Organisation „Trysub namens Stepan Bandera“, den Kern des „Rechten Sektors“. Später führte er die Hundertschaft „Trysub“ im Donezker Gebiet. Er kämpfte auch in Tschetschenien. In sozialen Medien verbreitete sich die Nachricht, dass „Lesnik“ zur Truppe „Ten“ („Schatten“) gehörte, die im Hinterland des Donbass Terroranschläge verübte. Es ist bekannt, dass Oleg Muschtschil die ukrainische Staatsführung aktiv kritisierte und andeutete, dass seine Leute hinter der Brandstiftung der Geschäfte „Roshen“ (die dem Präsidenten Petro Poroschenko gehören) in Kiew stehe. Sein Tod provozierte eine Welle der Empörung in der ukrainischen Gesellschaft. Viele meinen, dass die Staatsführung einen potentiellen, erfahrenen und für sie gefährlichen Kämpfer mit Absicht umbrachten.

Alexander Charaberjusch: Feind der „Donezker Volksrepublik“ und von Russland

Am Morgen des 31. März explodierte in Mariupol ein Geländewagen. Wie sich später herausstellte, saß in dem Auto Alexander Charaberjusch, ein Oberst des ukrainischen Geheimdiensts (SBU) und Vorsitzender der Gebietsspionageabwehr. Er war auf der Stelle tot. Nach Angaben des Polizeichefs im Donezker Gebiet, Wjatscheslaw Abroskin, handelte es sich laut einer Version um einen Terroranschlag, der von einer Saboteur- und Spionagegruppe aus der „Donezker Volksrepublik“ („DVR“) verübt wurde. Bis 2014 arbeitete Charaberjusch in der SBU-Verwaltung in Donezk. Im Internet gibt es auf pro-russischen Seiten mehrere Artikel, die Charaberjusch als „Henker von festgenommenen Separatisten“ darstellen und darüber berichten, wie die „Spionageabwehr unter Leitung von Alexander Charaberjusch die „DVR“ und Russland abgrundtief hasst und wie er sich persönlich am Kampf gegen die „DVR“ beteiligt“. Der ukrainische Journalist Vitalij Sisow erinnert daran, dass der ehemalige SBU-Mitarbeiter Alexander Charaberjusch öffentlich bedroht wurde. In diesem Fall ist es tatsächlich wahrscheinlich, dass Russland hinter dem Mord steckt.

Sergej Olejnik: Sinnloser Tod

Am Abend des 22. Juni 2017 spielte ein junger Mann im Kiewer Zentrum beim „Goldenen Tor“ auf seinem Synthesizer. Ein angetrunkener Passant kam hinzu und forderte ihn in grober Form auf, aufzuhören. Der Vater des Musikanten, Sergej Olejnik, ATO-Kämpfer und Vorgesetzter beim 1. Bataillon der 54. Mechanisierten Brigade, sowie Gründer und Vorsitzender der gesamtukrainischen Organisation für Veteranen der ATO und der Freiwilligen, verteidigte seinen Sohn. Zwischen ihm und dem Passanten entstand ein Konflikt. Nach dem Streit ging der angetrunkene Passant zu sich nach Hause (er wohnt nicht weit von dem Platz), holte von dort ein Messer und kam zurück. Er ging auf Olejnik zu, der an einem Kiosk in der Nähe saß, wo sein Sohn spielte und stich mehrmals mit dem Messer zu. Olejnik starb sofort. Der Täter wurde festgenommen und wartet derzeit auf seine Gerichtsverhandlung.

Jurij Wosnyj: Mord im Donbass

Am 27. Juni 2017 gegen 19 Uhr. Im Bezirk von Konstantinow ereignete sich an der Sadowa-Straße namens Illiniwk im Gebiet von Donezk eine Explosion. Ein Auto explodierte, in dem sich Soldaten der ukrainischen Streitkräfte befanden. Einer von ihnen starb sofort vor Ort; die beiden anderen wurden schwer verletzt. Die Ermittler stellten fest, dass es sich bei dem Toten um Oberst Jurij Wosnyj, Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdiensts (SBU), handelte. Dieser Fall mit Todesfolge wurde als Terroranschlag qualifiziert, der nach Teil 3, Artikel 258 des ukrainischen Strafgesetzbuchs, ein Verbrechen darstellt.

Bisher ist nicht bekannt, ob der Anschlag direkt Jurij Wosnyj galt oder ob er ein zufälliges Opfer aus dem Kreis der SBU-Mitarbeiter war. Die Ermittlungen dauern an. Bisher wurde kein Verdächtiger festgenommen.

Maxim Schapowal: Überlebte den Kampf um den Donezker Flughafen und starb im Kiewer Zentrum

Am 27. Juni 2017 explodierte in einem der Kiewer Schlafbezirke ein Auto. Darin kam der Fahrer ums Leben. Es handelte sich um den Leiter der Sonderuntersuchung beim ukrainischen Verteidigungsministerium, Maxim Schapowal. Laut Behauptungen seiner Arbeitskollegen, leitete Schapowal den Personenschutz des am 23. März ermordeten ehemaligen Abgeordneten der russischen Staatsduma, Denis Woronenkow. Die Einheit von Schapowal war auch aktiv an Kampfhandlungen im Donbass beteiligt, einschließlich am Donezker Flughafen und in den besetzten Gebieten. Die Ermittler meinen, dass der Mord vom russischen Geheimdienst geplant war. Allerdings gibt es dafür keine Beweise und bisher wurde niemand verhaftet. Der Fall ruht soweit.

Maxim Iwaschtschuk und Alexej Wagner: Wirtschaftsinteressen oder Rache für den 9. Mai

Am 24. Juli gab es Abends in Dnipro eine Schießerei, bei der zwei ATO-Teilnehmer ums Leben kamen: Alexej Wagner, ehemaliger Freiwilligenkämpfer im 20. Motorisierten Bataillon der 93. Brigade; und Maxim Iwaschtschuk, ehemaliger Kämpfer des 11. Motorisierten Bataillons der 59. Brigade. Außerdem wurde der ATO-Veteran Edmond Saakjan schwer verletzt. Letzterer war Anwalt und verteidigte die Opfer von den Zusammenstößen am 9. Mai. Die Polizei war schnell tätig und verhaftete die Angreifer. Laut vorläufigen Informationen könnte der Grund für den Konflikt ein Rechtsstreit um einen Bauernhof gewesen sein, den Edmond Saakjan als Anwalt führte. Angeblich wollten sich Banditen in diesen Streit seitens weiterer Beteiligter einmischen. Es gibt auch eine andere, inoffizielle Version: Rache für die Ereignisse am 9. Mai, als Alexander Wilkul in Dnipro den „Siegesmarsch“ organisierte, während dessen eine Schlägerei zwischen Kampfsportlern und ATO-Veteranen stattfand. Edmond Saakjan schützte als Anwalt die Interessen der Veteranen, die am 9. Mai verwundet wurden. Die Ermittlungen dauern an.