Bändigung der Separatisten Wejschnorias
Die Fantasieländer Wejschnoria (Teil von Belarus), Wesbaria und Lubenia (Teile von Polen, Lettland und Litauen) sind ein Bündnis eingegangen mit dem Ziel, Belarus zu besetzen. Russland, das den hinterhältigen Plan der westlichen Nachbarn aufgedeckt hat, eilt seinem Verbündeten zur Hilfe. So lautet die Legende der russisch-belarussischen strategischen Militärübungen, “Sapad-2017” (Westen 2017), die in Belarus an der östlichen NATO-Flanke am 14. September begonnen haben und noch bis zum 20. September dauern werden. Nach offiziellen Informationen nehmen an den Übungen bis zu 13.000 Soldaten beider Länder teil, davon 3000 russische Militärangehörige, sowie 680 Einheiten von Militärtechnik. Die Übungen finden auf sieben Truppenübungsplätzen statt, darunter auf jeweils einem der Luftstreitkräfte und der Luftabwehrkräfte.
Im belarussischen Verteidigungsministerium wurde unmittelbar vor Beginn der Übungen erklärt, dass die gemeinsamen Militärmanöver mit Russland ausschließlich der Verteidigung dienen würden. Die Übungen würden von internationalen Beobachtern der UNO, OSZE, NATO, GUS, der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (Taschkenter Vertrag) und des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes überwacht. “Im Rahmen der Umsetzung von vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen sowie im Rahmen bilateraler Vereinbarungen wurden Vertreter der Verteidigungsministerien der Ukraine, Polens, Litauens, Lettlands, Estlands, Schwedens und Norwegens zu den Übungen eingeladen. Insgesamt über 80 Beobachter”, berichtete im Interview für Radio Liberty der Pressesprecher des Ministeriums.
Reaktion der Ukraine
Die Manöver stellen eine Wiederbelebung der sowjetischen Tradition gemeinsamer Militärübungen der damaligen Länder des Warschauer Pakts dar. Russland und Belarus führen sie seit 2009 alle zwei Jahre abwechselnd in ihren Ländern durch. Zuletzt fanden sie 2013 statt, vorrangig im russischen Gebiet Kaliningrad (Königsberg) sowie auf mehreren belarussischen Truppenübungsplätzen. An ihnen nahmen 10.000 Militärangehörige beider Länder teil. Das Besondere an den Übungen im Jahre 2017 ist die veränderte geopolitische Lage: das aggressive Vorgehen Russlands gegen die Ukraine und Russlands Konfrontation mit der NATO. Und Belarus, das für die Ukraine und Russland Ort der Verhandlungen zur Donbass-Frage ist, tritt Militärbeobachtern zufolge als Verbündeter des Aggressors auf.
Während der Militärübungen in Belarus wolle die Russische Föderation ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, Kampfhandlungen in Europa zu führen, meint der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Olexander Turtschynow. “Das kann eine Warnung an den Westen sein, damit er sich nicht in neue Abenteuer einmischt, mitunter militärische, die der Kreml auf dem Territorium der Ukraine provozieren könnte, aber auch in anderen unabhängigen Staaten in der Region”, so Turtschynow.
Der Chef des Generalstabs der Ukraine, Wiktor Muschenko, sagte, dass sich die Ukraine im Zusammenhang mit den Übungen “Sapad-2017” auf verschiedene Szenarien vorbereiten würde. Ihm zufolge sollen mit diesen Übungen die russischen Truppen auf Offensiven vorbereitet werden. Sie würden sowohl für die NATO-Länder sowie für die postsowjetischen Staaten eine Gefahr darstellen.
Oleh Slobodjan, Berater des Leiters des ukrainischen Grenzschutzes sagte: “Anfang September haben wir mit Kommandostabs-Übungen begonnen. Im Rahmen dieser Übungen wurden ohne Ausnahme alle Grenzabschnitte verstärkt – angefangen mit der Zone der Anti-Terror-Operation, aber auch im Süden, Westen und Norden des Landes. Überall verstärken wir unsere Verteidigungsmaßnahmen, zumindest bis die russisch-belarussischen Militärübungen beendet sind”. Entlang der Straßen nach Belarus wurden unter Beteiligung von Bataillonen der territorialen Verteidigung Einheiten gebildet und Kontrollposten aufgestellt.
NATO-Mitglieder besorgt
Die NATO-Mitglieder befürchten, Moskau könnte nach den Militärübungen seine Waffen in Belarus zurücklassen, um sie möglicherweise für eine schnelle Invasion in die baltischen Staaten einzusetzen, so wie das in Georgien im Jahre 2008 und in der Ukraine im Jahre 2014 der Fall war. Die NATO hat bereits in Estland, Lettland, Litauen und Polen vier Bataillone stationiert, fast 4500 Militärs.
Der litauische Verteidigungsminister Raimundas Karoblis sagte, während der Übungen würden Offensiven gegen Polen und die baltischen Länder simuliert: “Das ist keine Verteidigung, das ist wahrscheinlich die Simulation einer Offensive gegen die NATO, genauer gesagt gegen die Länder des Baltikums und vielleicht gegen Polen. Das belegen Daten unserer Aufklärung und der unserer Verbündeter. In erster Linie geht es um Übungen. Es gibt kein Präludium für einen vollständigen oder teilweisen Konflikt”, so der Minister nach Angaben der Nachrichtenagentur Delfi.
Die lettischen Streitkräfte sind auf mögliche Provokationen während der Manöver “Sapad-2017” vorbereitet. Auch Lettland bezweifelt die Transparenz und Offenheit der Übungen.
Die Verteidigungsminister Deutschlands und Großbritanniens erklärten, dass an den Manövern in Wirklichkeit bis zu 100.000 Militärs teilnehmen können. Der britischer Minister Michael Fallon betonte, Russland führe diese Übungen durch, um “uns zu provozieren”. Mit den Manövern wolle Moskau die Verteidigung der NATO auf die Probe stellen.
Was verheimlicht Russland?
Im August hat das internationale Freiwilligen-Recherche-Netzwerk InformNapalm entlang der gesamten Grenze Russlands in seinem europäischen Teil zahlreiche Bewegungen russischer Militärtechnik registriert. Außerdem hat Russland neue Eisenbahnstrecken gebaut. So wurde am 7. August eine Strecke im Süden Russlands nahe der ukrainischen Grenze in Betrieb genommen. Experten sehen darin Parallelen zu den Ereignissen vor neun Jahren: 2008, zwei Monate vor dem Beginn der Invasion in Georgien, hatte Russland neue Eisenbahnstrecken entlang der georgischen Grenze errichtet. Zur gleichen Zeit fanden die großangelegten Militärübungen der russischen Streitkräfte “Kaukasus-2008” statt.
Fragen werfe auch die Anzahl der Waggons auf, die für den Transport der russischen Streitkräfte nach Belarus eingesetzt würden, meint der ehemalige stellvertretende Chef des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte, Reserve-Admiral Ihor Kabanenko. “Man muss sagen, dass es schon längst Probleme mit diesen Übungen gab, da der russische Generalstab riesige Mengen an Eisenbahnwaggons für die Verlegung russischer Truppen nach Belarus eingeplant hatte – über 4000. Mit einer solchen Menge kann eine ganze Armee über große Entfernungen verlegt werden”, so Kabanenko.
Für eine weitere Welle der Besorgnis in der Ukraine sorgte kurz vor den Übungen der Vorschlag des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die Staatsduma, Änderungen zum Abkommen über das gemeinsame regionale Luftabwehrsystem von Belarus und Russlands zu ratifizieren. Mit diesem Abkommen bekommt Russland faktisch das Recht, seine Waffen zur Luftabwehr an der belarussisch-ukrainischen Grenze einzusetzen.
Die Zusammenarbeit zwischen den belarussischen und russischen Geheimdiensten ist längst sehr eng und fruchtbar. Vor kurzem ist in Belarus ein ukrainischer Aktivist verschwunden, der von russischen Geheimdiensten gesucht wurde.
(Virtuelle) Realität
Im Laufe des Sommers überboten sich die belarussischen Internetnutzer mit Witzen, denn als Wejschnoria wird der Legende der Militärs zufolge ein ganz realer Teil des Westens von Belarus bezeichnet. Dort stimmte während der Präsidentschaftswahlen 1994 ein großer Teil der Wähler nicht für den bis heute regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko, sondern für den oppositionellen Politiker Senon Posnjak. Das Gebiet steht also wirklich potentiell zur prorussischen Führung in Minsk in Opposition.
Wejschnoria umfasst den größten Teil der Gebiete Grodno und Witebsk. Die Grenze Wejschnorias entspricht zum größten Teil der polnisch-sowjetischen Grenze zwischen 1920 und 1939. Die Mehrheit der Einwohner sind Katholiken und sprechen nicht Russisch, so wie in den zentralen und östlichen Teilen des Landes, sondern Belarussisch.
Im Internet gibt es bereits virtuelle Vertretungen des Fantasielandes. Man kann sogar einen Pass von Wejschnoria “beantragen“. Belarussischen Experten bereitet dies allerdings Sorge, weil ein solches virtuelles Spiel für die Gesellschaft reale Folgen haben könnte.