Noch gibt es keinen Konsens darüber, wie an die Opfer von Babyn Jar erinnert werden soll. Schon die Bezeichnung “Holocaust Gedenkzentrum Babyn Jar” berge Widersprüche, meinen Kritiker. Welche Rolle spielt der ukrainische Staat bei dem Projekt?
Dass in Kiew ein “Gedenkzentrum Babyn Jar” für die Opfer des Holocaust errichtet werden soll, ist erstmals im Herbst 2016 bekannt geworden. Die Eröffnung sei für das Jahr 2021 geplant, anlässlich des 80. Jahrestags des Beginns der tragischen Ereignisse, hieß es vor einem Jahr. Doch noch immer gibt es weder ein beschlossenes Konzept für das Gedenkzentrum noch liegt der genaue Ort des Baus fest.
Babyn Jar ist eine Schlucht in Kiew, wo nach verschiedenen Quellen während der Nazi-Besatzung in den Jahren 1941 bis 1943 zwischen 70.000 und 150.000 Menschen erschossen wurden. Die meisten von ihnen waren Juden.
“Die Welt über dieses schreckliche Verbrechen informieren”
Leiter der Stiftung, die sich um die Schaffung des Zentrums kümmert, ist der ehemalige Chef des Büros für Nationale Sicherheit Polens, der ehemalige Europaabgeordnete Marek Siwiec. “Nicht nur in der Ukraine, sondern auch im Westen fehlt Wissen über den Holocaust”, sagte Siwiec gegenüber Radio Liberty. “Aufgabe des künftigen Gedenkzentrums ist, die Welt über dieses schreckliche Verbrechen zu informieren”, so Siwiec. In einem Interview für die ukrainische Presse sagte er, für den Bau des Zentrums solle weltweit Geld gesammelt werden – rund 100 Millionen Dollar.
Dem Vorstand der gemeinnützigen Stiftung gehören ukrainische und internationale Vertreter aus religiösen, politischen und wirtschaftlichen Kreisen an. Unter anderem der Oberrabbiner von Kiew und der Ukraine, Yaakov Dov Bleich, der ehemalige polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, der ehemalige deutsche Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer, die Brüder Wladimir und Vitali Klitschko, der ukrainische Geschäftsmann Viktor Pinchuk, die aus der Ukraine stammenden russischen Geschäftsleute Michail Fridman, Pavel Fuks und German Chan sowie der populäre ukrainische Sänger Swjatoslaw Wakartschuk.
Pläne sorgen für kontroverse Debatte
Unter Experten und in der Öffentlichkeit wird längst über das Projekt kontrovers diskutiert. Betont wird dabei, dass sich unter den Opfern der Erschießungen in Babyn Jar neben Juden auch Roma, Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), sowjetische Kriegsgefangene, psychisch Kranke und andere Menschen befanden. Befürchtet wird, dass die Erinnerung an sie bei dem Projekt als einer Holocaust-Gedenkstätte vernachlässigt werden könnte.
Bohdan Tscherwak, der Vorsitzende der heutigen OUN, betonte auf Facebook, dass Babyn Jar ein Ort sei, der auch untrennbar mit dem historischen Gedächtnis der ukrainischen Nation verbunden sei. “Dort wird auch an OUN-Gruppen und an Olena Teliha erinnert”, schrieb er. Olena Teliha ist eine ukrainische Dichterin. Sie war Mitglied der OUN und wurde in Babyn Jar erschossen. “Es heißt, dass in den Bau 100 Millionen Dollar fließen sollen. Das darf kein Preis dafür sein, dass man das Gedenken an Olena Teliha und ihre Freunde einfach ignoriert”, so Tscherwak.
Auch innerhalb der jüdischen Gemeinde besteht kein Konsens darüber, wie an alle Opfer von Babyn Jar erinnert werden soll. Der Ko-Präsident des Verbandes der Jüdischen Organisationen und Gemeinden (VAAD) und stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Konföderation der Ukraine, Joseph Sissels, sagte der ukrainischen Zeitung Den (Tag): “An diesem Ort sind auch Kriegsgefangene, ganze drei Roma-Lager, ukrainische Nationalisten, Angehörige der Dnjepr-Flottille, Patienten eines psychiatrischen Krankenhauses sowie Vertretern anderer Gruppen getötet worden.” Sissels betonte, dass zu dem Zentrum als Gedenkstätte für Holocaust-Opfer die Roma dazugehören würden, die anderen Opfer jedoch weniger. “Daher ist klar, dass man etwas anderes bauen muss. Schon die Bezeichnung ‘Holocaust-Gedenkzentrum Babyn Jar’ birgt Widersprüche”, so Sissels.
Wegen der Beteiligung der russischen Unternehmer Michail Fridman, German Chan und Pavel Fuks an dem Projekt wird ferner befürchtet, dass durch Gelder aus Russland Einfluss auf das Zentrum genommen werden könnte, unter anderem auch darauf, wie in ihm die Geschichte von Babyn Jar dargestellt werden soll.
Die Rolle des Staates
Wissenschaftler und Vertreter der Öffentlichkeit stellen fest: In dem Projekt “fehlt” der ukrainische Staat. Die Schaffung eines Gedenkzentrums solchen Ausmaßes müsse Sache des Staates sein. Im Jahr 2016, während einer Gedenkfeier für die Opfer von Babyn Jar, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, er unterstütze die Idee, ein Gedenkzentrum zu errichten. Doch ob sich der Staat daran beteiligen wird, ist unklar.
Wolodymyr Wjatrowytsch, Leiter des “Ukrainischen Instituts für nationales Gedenken”, sagte in diesem Zusammenhang der Zeitung “Den”, “der ukrainische Staat sollte bei Gedenkstätten dieser Art eine entscheidende Rolle spielen”. Wjatrowytsch ist überzeugt, dass sein Institut an dem Projekt in Babyn Jar beteiligt sein sollte. Denn es sei als eine zentrale Regierungsbehörde für geschichtspolitische Fragen zuständig. Außerdem sollte, so Wjatrowytsch, über das Projekt viel mehr diskutiert werden. “Die Initiativgruppe von Marek Siwiec sollte viel offener sein. Sie sollte mit der Öffentlichkeit und vor allem mit Experten kommunizieren und deren Meinung berücksichtigen”, betonte der Leiter des “Ukrainischen Instituts für nationales Gedenken”.