Aufbruch bei der Freiwilligen-Bewegung im ostukrainischen Wolnowacha

Aufbruch bei der Freiwilligen-Bewegung im ostukrainischen Wolnowacha

Die Stadt Wolnowacha in der Region Donezk liegt auf dem Weg von der Stadt Donezk nach Mariupol. Wolnowacha erlangte traurige Bekanntheit, als im Mai 2014 bei Kämpfen am Stadtrand 18 ukrainische Soldaten getötet wurden und als beim Beschuss eines zivilen Autobusses zwölf Menschen starben.

Die Stadt selbst wurde nicht besetzt. Aber der Krieg ist in Wolnowacha sehr nah. Bis zum Kontrollpunkt Nowotrojizke sind es 18 Kilometer und bis zum besetzten Dokutschajiwsk gut 30. Die Menschen in Wolnowacha geben zu, dass es 2014 vielen noch schwer fiel, zu entscheiden, auf wessen Seite sie sind. Doch inzwischen ist Wolnowacha klar auf einem proukrainschen Weg. Das zeigen auch die zahlreichen gesellschaftlichen Initiativen, die in der Stadt entstanden sind. Das Ukraine Crisis Media Center hat einen Artikel der Internetzeitung “Ukrajinska prawda” zusammengefasst.

“Ich bin Wolnowacha”

Die größte gesellschaftliche Organisation in der Stadt ist “Ich bin Wolnowacha”. Sie wurde unmittelbar nach dem Beschuss des zivilen Autobusses von Janina Lubinez gegründet. Sie ist die Frau des Abgeordneten Dmytro Lubinez, der den Bezirk im ukrainischen Parlament vertritt. Das Ehepaar lebt daher vorwiegend in der Hauptstadt Kiew. In ihrer Organisation in Wolnowacha arbeitet rund ein Dutzend Personen.

“Ich bin Wolnowacha” belegt fast die gesamte Etage eines Gebäudes am zentralen Platz der Stadt. Die Räumlichkeiten gehören dem Abgeordneten Lubinez. Dort befindet sich auch ein Lager für humanitäre Hilfe, Kleidung, Krücken, Rollstühle und anderes. Die Organisation hilft sowohl älteren als auch jungen Menschen, aber vor allem widmet sie sich Kindern. Etwa 2000 Schüler aus Wolnowacha suchen pro Monat die Organisation auf. Sie können dort ab 8.00 Uhr morgens bis zum Abend verweilen. Mehrere Schulen in der Stadt sind aufgrund von Reparaturarbeiten geschlossen. Daher müssen die Kinder in zwei Schichten unterrichtet werden. Lehrer und Psychologen kümmern sich um die Schüler, die in der Organisation der Eheleute Lubinez kostenlos Englisch lernen, zeichnen, singen und Handarbeiten machen können. Auch gibt es für sie Süßigkeiten und Tee, was die Kinder zusätzlich motiviert, die Organisation zu besuchen.

Geleitet wird “Ich bin Wolnowacha” von Olexandr Grusdjew. Früher war er für die Bewachung eines privaten Unternehmens zuständig. Davor arbeitete er 27 Jahre bei der Polizei. Grusdjew sagt, nach Beginn des Krieges habe man darauf geachtet, dass Kinder nicht ohne Begleitung auf die Straße gehen. “Früher war es bei uns sicher. Jetzt wird in der ganzen Gegend ständig etwas beschossen oder es explodiert etwas. Im Frühjahr wurde ein Mann mitten in der Stadt von einer Granate getroffen”, berichtet Grusdjew.

Im Oktober organisierte “Ich bin Wolnowacha” eine Art Fortbildung. 56 Jungen, Mädchen, Männer und Frauen im Alter zwischen 16 und 35 Jahren bekamen Waffen erklärt. “Wir wollten ihnen die Waffen nicht nur auf Bildern zeigen, sondern auch zum Anfassen geben. Wir haben ihnen Gewehre, Pistolen und Maschinengewehre in die Hand gedrückt. Wir brachten ihnen bei, wie man sich in gefährlichen Situationen verhält und wie man erste Hilfe leistet”, so Grusdjew.

“Promin Wolnowacha”

Ruslan Kasianjan ist Armenier. Seine Familie verließ in den 90er Jahren ihre Heimat – wegen der dortigen Konflikte. Ruslan ist in Wolnowacha ein bekannter Geschäftsmann und seit letztem Jahr Vorsitzender der gesellschaftlichen Organisation “Promin Wolnowacha”. Sie ist eine Filiale des Verbandes “Promin” (Lichtstrahl), der in mehreren ukrainischen Städten tätig ist, darunter in Iwano-Frankiwsk, Kiew und Ternopil. Die Organisation kümmert sich um Kinder, Jugendliche und ältere Menschen.

Kasianjan unterstreicht, er finanziere seine Organisation mit Geldern aus seinen eigenen Geschäften. Im Büro von “Promin Wolnowacha” sind drei Personen beschäftigt. Hinzukommen viele freiwillige Helfer. Auf die Frage, wie die Arbeit zu Beginn des Krieges verlief, sagte Kasianjan nach einer nachdenklichen Pause: “Es war sehr schwierig und beängstigend. Nur eines meiner Lokale an der Straße war noch in Betrieb und es versorgte fast das gesamte 51. Bataillon. Die Soldaten aßen und ruhten sich dort aus. Als andere Lokale wieder öffneten, gingen die Soldaten nicht überall hin, aus Angst vergiftet zu werden.” Kasianjan sagte, ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass er für die Ukraine sei, obwohl er gebürtiger Armenier sei.

“Frauenrat des Donbass”

Der “Frauenrat des Donbass” ist die jüngste Freiwilligen-Organisation in Wolnowacha. Sie wurde im Frühjahr 2017 gegründet. Olha Sydorenko, Natalia Krupina und Polina Gladyschewa und andere Frauen kamen zum Schluss, dass die Stadt einflussreiche Frauen braucht. Und so entstand die Organisation, in der nur Frauen das Sagen haben.

Sie kümmern sich um Probleme in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, befassen sich mit der Veteranen-Bewegung, aber auch mit Bildung und patriotischer Erziehung sowie mit der Gesundheit von Kindern und Frauen. Zu Ostern bestellte die Organisation beispielsweise Hunderte von Osterkuchen für Soldaten und Rentner. Im Mai veranstaltete sie für Schulabsolventen eine Meisterklasse über festliche Frisuren. Und im Dezember dieses Jahres, zum Nikolaustag, werden Kinder mit Behinderungen in das Rehabilitationszentrum nach Tschyhyryn in der Zentralukraine gebracht.

Aktivitäten im Kulturzentrum

In dem kleinen Stadtpark von Wolnowacha halten sich wenige Menschen auf. Das Postament, auf dem Lenin stand, ist leer. Wie in vielen anderen Städten hat man bisher noch nicht entschieden, wer den Platz des einstigen “Führers” einnehmen könnte. Gegenüber steht das regionale Kulturzentrum. Nach Angaben der Direktorin Iryna Piskun ist es das am besten erhaltene Zentrum dieser Art in der gesamten Region Donezk.

In ihm sind fast 500 Menschen jeden Alters aktiv. Es gibt zwölf Tanzgruppen, ein Puppentheater und andere Künstlergruppen. Ein lokales Ensemble sammelt und singt zum Beispiel traditionelle alte Volkslieder. Die Direktorin sagt, das Zentrum sei sieben Tage pro Woche geöffnet. Sogar in der schwierigsten Zeit im Jahr 2014 hätten die Künstler ihre Auftritt fortgesetzt, so Piskun. Sie betont, das Interesse der Menschen in Wolnowacha an dem Kulturzentrum habe seitdem nur zugenommen.