Jahresrückblick 2017: Diese 10 Themen bewegten die Ukraine

2017 war für die Ukraine ein schwieriges Jahr. Der Konflikt im Osten des Landes dauert an und die Situation um die von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim ist unverändert. Einige Reformen sind vorangekommen, aber die meisten Experten meinen, dass der “Punkt der Unumkehrbarkeit” der Reformen nicht erreicht wurde. Die Reformen zur Korruptionsbekämpfung würden sogar auf der Stelle treten. Was wurde 2017 erreicht und was nicht? Ein Rückblick vom Ukraine Crisis Media Center.

 

Der Krieg fordert immer noch Todesopfer

2017 war das Jahr mit dem intensivsten Beschuss seit Beginn des Konflikts im Osten der Ukraine. Insgesamt stellte die OSZE-Sonderbeobachtermission (SMM) fast 400.000 Verstöße gegen die Waffenruhe fest. In etwa 4000 Fällen wurden unter Verletzung der Trennlinie Waffen aufgestellt, die von den Minsker Vereinbarungen verboten sind. Durch Kampfhandlungen, Minen und Blindgänger wurden 85 Zivilisten getötet, darunter ein Beobachter der SMM. 384 Menschen wurden verletzt. Nach Angaben des Generalstabs der Streitkräfte verlor die ukrainische Armee mit dem Stand vom 18. Dezember 2017 innerhalb eines Jahres 191 Soldaten (Getötete, Vermisste und Gefangene). Insgesamt wurden 174 Soldaten verwundet.

US-Waffenlieferungen an die Ukraine

In den letzten Dezembertagen des Jahres 2017 wurde klar, dass die USA für eine “verstärkte Verteidigungsfähigkeit” der Ukraine sorgen werden. Es sollen Waffen bereitgestellt werden, um die von Russland unterstützten Separatisten im Osten des Landes zu bekämpfen. “Die Hilfe der USA ist ausschließlich defensiver Art, und wie wir immer gesagt haben, die Ukraine ist ein souveränes Land und sie hat das Recht, sich selbst zu verteidigen”, heißt es in einer Erklärung des State Department. Der amerikanische TV-Sender ABC News berichtete unter Berufung auf mehrere Quellen im US-Außenministerium, dass Donald Trump vorhabe, einen Plan zur Lieferung von Panzerabwehrraketen an die Ukraine zu billigen. Den Quellen zufolge handelt es sich um die Bereitstellung von 210 Panzerabwehrraketen und 35 Startgeräten im Werte von 47 Millionen US-Dollar. Zuvor hatte die Trump-Administration die Lieferung von Scharfschützengewehren vom Typ M107A1 und die dazugehörige Ausrüstung im Werte von 41,5 Millionen Dollar genehmigt.

Sanktionen und Verhandlungen über eine Friedensmission

Sanktionen der EU und der USA. Im Dezember 2017 haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland um weitere sechs Monate beschlossen. Die verlängerten Sanktionen treten am 1. Februar 2018 in Kraft. Es handelt sich um Verbote und Einschränkungen bei der Zusammenarbeit mit Russland in den Bereichen Finanzen, Verteidigung und Energie. Auch die USA haben die Sanktionen gegen Russland verschärft.

Friedensmission. In den letzten vier Monaten des Jahres 2017 wurde über eine mögliche UN-Friedenstruppe für den Donbass diskutiert. Am 5. September – nach einem Treffen zwischen dem US-Diplomaten Kurt Volker und dem russischen Präsidenten-Berater Wladislaw Surkow – stimmte der russische Präsident Wladimir Putin der Idee zu, Friedenstruppen in die Zone des russisch-ukrainischen militärischen Konflikts im Donbass zu entsenden. Jedoch bestand er darauf, dass das Friedens-Kontingent nur an der Demarkationslinie stationiert werden sollte. Die Ukraine lehnt dies aber ab. Sie verlangt, dass Friedenstruppen nicht nur an der Demarkationslinie, sondern im gesamten besetzten Teil des Donbass eingesetzt werden, einschließlich an der ukrainisch-russischen Grenze.

Trotz aller Bemühungen der internationalen Gemeinschaft ist bislang kein Kompromiss erreicht worden. Am 27. Dezember erklärte der stellvertretende russische Außenminister Grigorij Karasin, dass Russland den Einsatz einer UN-Friedenstruppe im gesamten von den Rebellen eingenommenen Teil des Donbass, einschließlich an der ukrainisch-russischen Grenze, nicht zulassen werde. Er betonte erneut, Russland trete dafür ein, dass UN-Friedenstruppen nur die OSZE-Beobachter bewachen sollen.

Erster Gefangenenaustausch seit zwei Jahren

Am 27. Dezember 2017 fand im Donbass der lang erwartete größte Gefangenenaustausch der letzten zwei Jahre statt. Einige der Soldaten waren im Jahr 2014, andere 2015 in Gefangenschaft geraten. Unter den Freigelassenen sind auch Soldaten, die um den Flughafen Donezk gekämpft haben. Die Männer werden von den Menschen in der Ukraine auch “Cyborgs” genannt.

Eigentlich hatten die Seiten einen Austausch nach der Formel 74 gegen 306 vereinbart. Doch in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet kehrten 73 Gefangene zurück. Und die ukrainischen Unterhändler übergaben den selbsternannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” nicht 306, sondern 233 Personen. Einige Gefangene lehnten den Austausch ab. So wollte eine Frau nicht in das von der Ukraine kontrollierte Gebiet zurück, und ein Teil der Gefangenen auf der ukrainischen Seite weigerte sich, in die sogenannten “Volksrepubliken” zurückzukehren.

Der Austausch fand in der Nähe der besetzten Stadt Horliwka im Gebiet Donezk am Kontrollpunkt Majorske statt, der vorübergehend seine Arbeit eingestellt hatte. Die Rebellen übergaben Kiew 54 ukrainische Soldaten, die von der sogenannten “Donezker Volksrepublik” gefangen genommen worden waren, und fünf Soldaten, die von der sogenannten “Luhansker Volksrepublik” festgehalten wurden. Die restlichen 14 Gefangenen sind Zivilisten. Nach diesem Austausch befinden sich nach Angaben des Chefs des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) noch weitere 103 Ukrainer in der Gefangenschaft der “Volksrepubliken”.

Reformen in der Ukraine – Meinung der Öffentlichkeit und von Experten

Insgesamt wurde im vergangenen Jahr ein größerer Fortschritt bei den Reformen in der Ukraine erwartet. Trotz klarer Erfolge wurden jedoch viele der geplanten Aufgaben nicht erfüllt. Dieser Ansicht sind sowohl Vertreter der internationalen Gemeinschaft als auch Experten und gesellschaftliche Aktivisten in der Ukraine. Dies geht aus einer Umfrage hervor, die von der Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen” zusammen mit der Nichtregierungsorganisation “Reanimation Package of Reform” vorgelegt wurde.

Im Allgemeinen wird der Fortschritt der Reformen in der öffentlichen Meinung eher gering eingeschätzt. 41 Prozent der Ukrainer glauben, dass überhaupt keine Reformen durchgeführt wurden und dass Bürokraten und Beamte sich am heftigsten Veränderungen widersetzen. Als wichtigste Reform wird die Anti-Korruptions-Reform angesehen. Doch nur ein Prozent der Ukrainer halten die Korruptionsbekämpfung in ihrem Land für erfolgreich. 86 Prozent halten sie für wirkungslos.

Auch nach Ansicht der Experten von Chatham House ist das größte Problem in der Ukraine die Korruption. Das geht aus ihrem Bericht “The Struggle for Ukraine” hervor. Darin beschreiben sie die Errungenschaften der Ukraine seit dem Euromaidan, aber auch die Bereiche, in denen die Regierung den Erwartungen der Gesellschaft bislang nicht gerecht wird. Zu den positiven Veränderungen zählen die Experten die institutionellen Reformen in der Regierung und im Justizwesen, eine Reihe von Verfassungsnovellen und den Beginn vieler anderer Reformen. Wichtig sei, dass der Regierung neue Politiker angehörten. Zudem heben die Experten die Reform der öffentlichen Verwaltung und das Auswahlverfahren bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst, in der Justiz und in den Anti-Korruptions-Behörden hervor.

Mangelnde Gerechtigkeit

Das Fehlen einer greifbaren Justizreform hat dazu geführt, dass die Ukrainer im Jahr 2017 einen akuten Mangel an Gerechtigkeit empfanden. Die lang ersehnte Verurteilung von Personen, die während der Proteste auf dem Maidan in Kiew an Morden beteiligt waren, ist bislang ausgeblieben.

Nach drei Jahren Gerichtsverhandlung hat das Kiewer Schewtschenko-Bezirksgericht lediglich Jurij Krysin, einen Anführer von Schlägertrupps (sogenannte “Tituschki”), zu vier Jahren Haft auf Bewährung verurteilt – wegen der Beteiligung an der Ermordung des Journalisten der ukrainischen Zeitung “Westi”, Wjatscheslaw Weremij. Er war in der Nacht auf den 19. Februar 2014 in der Nähe des Kiewer St. Michaels-Platzes ermordet worden.

Seit den Maidan-Ereignissen wird immer noch wegen mehr als 3000 Verbrechen ermittelt. Nach 110 Verdächtigen wird gefahndet. Aber nur eine Person wurde wirklich bestraft. Offenbar hat nach wie vor die Untersuchung der Verbrechen gegen die Teilnehmer des Maidan auch fast vier Jahre nach den Ereignissen vom Februar 2014 für den Staat keine Priorität.

Visafreie Einreise in EU-Staaten

Das wichtigste politische Ereignis des Jahres 2017 ist für die Ukrainer laut Umfragen der Ilko-Kutscheriw-Stiftung das Inkrafttreten der visafreien Einreise in EU-Staaten. Dies gaben 26 Prozent der Befragten an. Die visafreie Einreise wird von 83 Prozent der Befragten, die dieses Ereignis genannt haben, ganz klar positiv gesehen.

In den ersten drei Monaten der visafreien Einreise – zwischen dem 11. Juni und 11. September – reisten 5.799.360 Ukrainer (oder 14,5 Prozent der rund 40 Millionen Einwohner des Landes) in die EU. Davon waren 1.413.178 Personen mit biometrischen Reisepässen unterwegs und hatten somit das Recht auf visafreie Einreise. Doch von ihnen nahmen innerhalb der drei Monate nur 235.795 ukrainische Staatsbürger (0,6 Prozent der Bevölkerung) die visafreie Einreise wahr. Die Mehrheit der Inhaber biometrischer Pässe verfügte also noch über ein gültiges Visum. In den ersten sechs Monaten seit dem Inkrafttreten der visafreien Einreise nutzten nach Angaben der ukrainischen Grenzbehörden bereits 355.000 Ukrainer die visafreie Einreise in die EU.

Ukrainischer Kinofilm 2017 – Vom Nischenprodukt zur Industrie

Im April 2017 trat in der Ukraine das Gesetz “Über die staatliche Förderung der Kinematografie” in Kraft. Es schafft bessere Voraussetzungen für Koproduktionen und erleichtert die Bekämpfung von Piraterie. Im Staatshaushalt für 2018 sind mehr als eine Milliarde Hrywnja (ca. 30 Millionen Euro) für die Unterstützung des ukrainischen Kinofilms vorgesehen – fast doppelt so viel ist wie im vergangenen Jahr. Im Herbst verabschiedete das ukrainische Parlament zwei Gesetze. Eines befreit die ukrainischen Filmproduzenten bis zum Jahr 2023 von der Mehrwertsteuer und das andere hebt die Einfuhrzölle für Filmausrüstung auf.

Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: 2017 kamen mehr als 30 ukrainische Filme in den Kinoverleih – von Komödien über Fantasy-Streifen bis hin zu Kriegsdramen und historischen Filmen. Hohe Einnahmen spielten die Filme “Tscherwonyj” (Rot) von Zaza Buadze, “DZIDZIO Kontrabass” von Oleh Borschewskyj und “Cyborgs” von Achtem Sejtablajew ein. Es ist auch bemerkenswert, dass Filme, die in Koproduktion mit der Ukraine entstanden sind, von den Produktionsländern als Anwärter für einen Oscar nominiert wurden. Dabei handelt es sich um den Film “Frost” von Sharunas Bartas aus Litauen und den Streifen “The Line” des Slowaken Peter Bebjak. Mit Hilfe der Staatlichen Agentur für Kinematografie der Ukraine konnten in diesem Jahr junge Regisseure mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Ihre Debütfilme stellten unter anderem Marina Stepanska mit “Headlong“, Philip Sotnychenko mit “Technical break” und Valeria Sotschywez mit “Swings” vor.

Errungenschaften im Sport

Der ukrainische Boxweltmeister im Superfedergewicht (WBO), Vasyl Lomachenko, wurde von Fightnews.com, Boxing News 24 und ESPN als bester Boxer 2017 ausgezeichnet. Als Amateur war er Olympiasieger 2008, Weltmeister 2009 und Europameister 2008 im Federgewicht, sowie Weltmeister 2011 und Olympiasieger 2012 im Leichtgewicht. 2013 wechselte er ins Profilager.

Anna Musytschuk wurde Europameisterin im Blitzschach. Sie ist Weltmeisterin unter den Schachspielerinnen unter 20 Jahren. Sie war schon Weltmeisterin im Blitzschach 2014 und Weltmeisterin im Schnellschach und Blitzschach 2016. Derzeit riskiert Musytschuk, ihre Meistertitel zu verlieren, da sie nicht an der WM in Saudi-Arabien wegen der dortigen Diskriminierung von Frauen teilnehmen möchte. “Ich werde zwei WM-Titel verlieren, da ich mich entschieden habe, nicht nach Saudi-Arabien zu fahren. Ich will nicht nach irgendjemandes Regeln spielen, eine Abaya tragen, in Begleitung durch die Straßen gehen und mich als zweitklassiges Geschöpf fühlen”, schrieb die Schachspielerin auf Facebook.

Die Ukrainer sind glücklich, trotz allem…

Eigentlich ist es unglaublich, aber 59 Prozent der Ukrainer gaben an, sie seien im Jahr 2017 sehr oder überwiegend glücklich gewesen. Dies geht aus einer Umfrage der Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen” hervor. Am glücklichsten sind die Menschen im Westen der Ukraine (68 Prozent). Aber auch in fast allen anderen Regionen des Landes überwiegen die “Glücklichen”: in der Zentral-Ukraine mit 57 Prozent, im Süden mit 51 Prozent und im Osten des Landes mit 55 Prozent. Die einzige Region, in der die meisten Bewohner sagten, dass sie vorwiegend oder völlig unglücklich seien, ist der Donbass.  Nur 27 Prozent der Menschen dort waren glücklich und 64 Prozent waren unglücklich. Doch alle Regionen des Landes eint die Hoffnung, dass das nächste Jahr besser wird als das zurückliegende.

Das Ukraine Crisis Media Center wünscht seinen Lesern ein GLÜCKLICHES NEUES JAHR 2018!