14 Stunden mit Journalisten: So verlief Selenskyjs Presse-Marathon

Am 10. Oktober hat in Kiew ein rekordverdächtiger Presse-Marathon von Wolodymyr Selenskyj stattgefunden. Das Treffen des ukrainischen Präsidenten mit zahlreichen Journalisten dauerte rund 14 Stunden. Es fand im trendigen Kyiv Food Market statt – in einer ehemaligen Fabrikhalle, die zu einem großen Food-Court umgebaut und erst vor kurzem eröffnet wurde. Auch am Tag des Presse-Marathons konnte man dort wie gewohnt essen. Selenskyj sprach mit Gruppen von sieben bis zehn Journalisten. Alle 30 Minuten kam eine andere an die Reihe. Insgesamt waren es 300 Journalisten.

Warum in einem Food-Court?

Die Idee eines Presse-Marathons diente gleich mehreren Zielen. Erstens war das tatsächlich ein Gespräch des Präsidenten mit den Medien – keine Pressekonferenz. Aus dem Team des Präsidenten hatte es noch im Sommer geheißen, danke der sozialen Netzwerke sei es heute keine Problem mehr, direkt mit den Menschen zu kommunizieren. Mit den Medien gab es, gelinde gesagt, nur sporadischen Kontakt und nicht immer erfolgreich. Dieses Problem sollte der Presse-Marathon in einer neuen Atmosphäre und einer neuen Location offenbar lösen.

Der Präsident sprach mit Vertretern fast aller Medien. Er saß mit ihnen an einem Tisch, konnte dabei jedem in die Augen schauen und beantwortete jede Frage. Dank der kleinen Gruppen konnte Selenskyj auf einer persönlichen Ebene einen positiven Kontakt zu bestimmten Personen herstellen. An nur einem Tag gab er Antworten auf viele dringende Fragen: von der Steinmeier-Formel über die Entflechtung der Truppen im Donbass bis hin zu Personalfragen, Oligarchen und Donald Trump.

Hier die wichtigsten Zitate des ukrainischen Präsidenten:

Über die Steinmeier-Formel, ein Treffen im Normandie-Format und die Lage im Donbass

“Es ist nicht korrekt zu sagen, dass die Steinmeier-Formel in Kraft gesetzt wurde. Die Formel tritt genau zum Zeitpunkt in Kraft, wenn auch das Gesetz über den Sonderstatus (im Donbass  – Anmerk. d. Red.) in Kraft gesetzt wird.”

“Es macht keinen Sinn, jetzt über das Sonderstatus-Gesetz zu sprechen. Es gibt noch kein Gesetz. Es gibt rote Linien, über die wir sprechen können. Sie unterscheiden sich nicht von den roten Linien insgesamt im Normandie-Format und im Normandie-Prozess.”

“Ich denke, es besteht die Möglichkeit, dass die russische Seite dieses Prozesses müde wird. Ich denke, jeder versteht, dass die Ukraine niemals ihr Territorium und niemals ihre Unabhängigkeit aufgeben wird.”

“Ich möchte nicht, dass der Konflikt im Donbass eingefroren wird. Ich möchte nicht, dass wir ein Transnistrien oder Abchasien bekommen. Ich kann nicht zu 100 Prozent garantieren, dass dies nicht geschieht, weil es zurzeit so ist.”

“Einen Termin für ein Treffen im Normandie-Format, denke ich, werden wir nächste Woche bekommen. Ich denke, der Termin wird dieses Jahr im November sein. Ich weiß, dass es humanitäre Fragen gibt, auch die Sprachenfrage wird man diskutieren, damit im Donbass das Russische den Status einer Regionalsprache bekommt. Ich denke, es gibt viele Kompromisse im humanitären Bereich, über die wir sprechen können.”

Über die Gespräche mit Russland

“Wollt ihr etwa ein Pokerspiel und dass sie meine Karten kennen? Wir sitzen doch an einem Tisch und ich muss doch irgendeine Strategie haben? Wollt ihr etwa, dass alle wissen, wo unsere Truppen sind, wann wir gehen und wohin wir sie zurückziehen? Ich brauche Vorteile. Alle unsere Pläne völlig offenzulegen, würde keinen Gewinn bringen.”

“Ich bin nicht bereit, meine Gespräche mit Putin zu veröffentlichen. Ich habe noch nicht einmal meine Gespräche mit Mr. Trump veröffentlicht. Ich bin der Oberbefehlshaber, nicht der Moderator irgendeines Senders.”

“Es hat ein Gefangenenaustausch stattgefunden. Ich habe Putin angerufen. Mir fällt kein Zacken aus der Krone, nur weil ich den Krieg wirklich beenden will. Daher finde ich, dass dies von unserer Seite die ersten entgegenkommenden Schritte waren.”

“Beide Seiten müssen den Krieg beenden wollen. Beide Seiten sollten sich auf die eine oder andere Weise hinsetzen und mit einem Gespräch beginnen wollen. Die Rhetorik muss sich ändern. Sie müssen aufhören zu sagen, dass ‘wir gar nicht dort sind’ und dass es ‘euer innerer Konflikt ist’ und dass ‘ihr selbst eine Lösung suchen müsst’ und so weiter.”

Über die jüngsten Maidan-Proteste gegen eine “Kapitulation”

“Was den Maidan angeht, so habe ich keine Angst davor. Jederzeit, zu jeder Sekunde, wenn die Öffentlichkeit es wirklich nicht mehr will, dass mein Team weiter arbeitet und dass ich weiter Präsident bin, dann wird es kein Blutvergießen geben.”

“Ich bin einverstanden, dass die Kommunikation mit den Veteranen schwach ist. Ich weiß, dass viele Menschen ‘aufgeheizt’ werden, die ehrlich gesagt nicht verstehen, was Steinmeier und so weiter bedeutet. Sie verstehen es nicht und wissen es nicht, werden aber ‘aufgeheizt’. Und wir wissen auch, wer sie wie ‘aufgeheizt’, mit ihren Medien und Aktionen.”

Über Putin und den Austausch von Gefangenen

“Wenn das Treffen im Normandie-Format hinausgeschoben wird, dann werden wir andere Formate finden, um unsere Leute zurückzubekommen. Eines von ihnen ist Minsk und das andere, das funktioniert hat, sind meine direkten Gespräche mit dem Präsidenten der Russischen Föderation. Ich bin bereit zu direkten Verhandlungen, um die Menschen zurückzuholen.”

Über den Trump-Skandal und die Beziehungen der Ukraine zu den USA

“Jenes Telefonat (zwischen Trump und Selenskyj im Juli 2019 – Anmerk. d. Red.) beeinflusste eine Sache: Mir wurde klar, dass wir ein Treffen brauchen, um ihm unser Team vorzustellen. Ich wollte ihn in die Ukraine holen.”

“Das Telefonat hat nichts mit der Burisma-Geschichte zu tun.”

“Ich möchte mich in keiner Weise in die US-Wahlen einmischen. Und ich werde es nicht tun.”

“Wir müssen die Beziehungen zu den USA stärken. Wir hatten ein Treffen mit wichtigen US-Vertretern, mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wir warten auf einen offiziellen Besuch in die Vereinigten Staaten.”

“Das, was in der US-Innenpolitik passiert, möchte nicht kommentieren. Ich sehe keine Veränderung in den internationalen Beziehungen was uns angeht. Und wenn es Veränderungen geben wird, dann erfahren wir es über Twitter.”

Über die Arbeit der Partei “Diener des Volkes” im Parlament

“Sie hat ihren Wahlsieg der Unterstützung der Öffentlichkeit und mir und meinem Namen zu verdanken. Ich will diese Partie nicht zerschlagen, sie alle kennen meine Einstellung. Aber wenn sie beginnen, sich gegenseitig zu zerfleischen, dann werde ich nach einem Jahr das Parlament auflösen. Das ist Fakt.”

“Die ‘Diener des Volkes’ haben Angst vor Gesetzentwürfen, die sich auf die Abgeordneten beziehen. Es gibt erfahrene Parlamentarier in anderen Parteien, die sich jeden Tag nur mit einem befassen: Einfluss nehmen – emotional, monetär und so weiter … Sie wollen die Partei ‘Diener des Volkes’ spalten.”

Über die PrivatBank und Kolomojskyj

“Bei einem Treffen mit Partnern frage ich: ‘Wollt Ihr, dass ich Einfluss nehme auf die PrivatBank.’Sie sagen: ‘Nein, Sie als Präsident sollten das besser nicht tun. Nehmen Sie keinen Einfluss, aber beeinflussen Sie sie irgendwie.”

“Warten wir mal das Ergebnis (des Gerichtsverfahren gegen die PrivatBank – Anmerk. d. Red.) ab. Wenn das Ergebnis so ausfällt, dass ich unser Land schützen muss, dann werde ich unser Land schützen.”

“Kolomojskyj kennt meine Position bezüglich der PrivatBank, es ist eine staatliche Position, und ich werde die Ukraine, den Staat schützen, und das weiß er.”

Über die vorzeitige Absetzung der Mitglieder der Zentralen Wahlkommission

“Ich kenne diese Menschen nicht. Wir haben gesagt, dass wir in allen Staatsorganen einen Neustart machen werden. Ich möchte nicht, dass jemand abtritt (Präsident Poroschenko – Anmerk. d. Red.) und alles beim Alten bleibt.”

Über die Entlassung des Sicherheitschefs Oleksandr Danyljuk

“Ich bin mit seiner Position nicht einverstanden, dass er wegen der PrivatBank zurückgetreten ist. Übrigens, Oleksandr wollte Premierminister werden. Ich haben ihm ehrlich gesagt: ‘Du bist wirklich ein Profi, aber ich habe mich für einen anderen Kandidaten entschieden.’ Auch sein schwieriges Verhältnis zu Andrij Bohdan (Leiter des Büros des Präsidenten – Anmerk. d. Red.) war ein Grund.”