EU-Parlament zu Russland: Nord Stream 2 schädlich, Ausschluss von SWIFT möglich und kein “business as usual”

Am 16. September hat das Europäische Parlament zu den wichtigsten Fragen der Beziehungen zwischen der EU und Russland Stellung bezogen. Kiew zeigt sich zufrieden, der Kreml hingegen äußert Unmut. Die Europa-Abgeordneten fordern die EU auf, Russland mit härteren Sanktionen von weiteren Aggressionen abzuhalten und die Abhängigkeit von russischen Energieressourcen zu beseitigen. Auch fordern sie, die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 zu verhindern. Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center.

Am 16. September verabschiedete das Europäische Parlament mit 494 Ja-Stimmen, 103 Nein-Stimmen und 72 Enthaltungen einen Text zur Ausrichtung der politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland. Darin wird zu verstärktem Druck auf Russland aufgerufen, unter anderem auch wegen der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim. Mit dem Text der Abgeordneten befassen sich bereits die ukrainischen Medien, darunter die Zeitung “Jewropejska Prawda” (Europäische Wahrheit), der Sender “Hromadske”, “Radio Liberty” und andere. 

Ende von “business as usual”. Ein großer Teil des Textes ist Russlands Vorgehen gewidmet, das die Sicherheit in Europa untergräbt, darunter auch auch im Kontext mit der Aggression gegen die Ukraine. Die Parlamentarier machen auf die jüngste Strategie für die nationale Sicherheit der Russischen Föderation aufmerksam, “in der die antiwestliche Stoßrichtung der russischen Außenpolitik formell verankert ist und eine grundlegende und systemische Unvereinbarkeit der soziopolitischen Systeme Russlands und des Westens hervorgehoben wird”.

Darüber hinaus heißt es in dem Text: “Die EU sollte deutlich machen, dass erst dann eine Rückkehr zu ‘business as usual’ in Betracht gezogen werden kann, wenn Russland seine aggressive Politik und die hybride Kriegsführung gegen die EU-Mitgliedstaaten und die Länder der Östlichen Partnerschaft der EU anhält und die territoriale Integrität Georgiens, Moldaus und der Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen wiederhergestellt ist.” Ferner, so das Parlament, sollte die EU dafür sorgen, dass die Sanktionen in Kraft bleiben, bis Russland die jeweiligen Bedingungen für ihre Aufhebung erfüllt. Sie sollte zudem in Erwägung ziehen, “sie um einen Zeitraum von einem Jahr statt sechs Monaten – wie es derzeit der Fall ist – zu verlängern”.

Eindämmung Russlands: Bereitschaft zum SWIFT-Ausschluss. Die Parlamentarier betonen, “die EU sollte gemeinsam mit der NATO und internationalen Partnern abschreckend auf Russland einwirken, um den Frieden und die Stabilität in Europa und darüber hinaus aufrechtzuerhalten, auch durch die Stärkung der eigenen Verteidigungskapazitäten und indem sie Druck auf die russischen Staatsorgane ausübt, sich nicht in der östlichen und südlichen Nachbarschaft der Union einzumischen”.

Außerdem sollte die EU bereit sein, “ihren Einfluss geltend zu machen, und fordern, dass Russland vom Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen wird, um die russischen Staatsorgane von weiterem aggressivem Verhalten abzuhalten, und sie sollte darauf vorbereitet sein, die Öl- und Gaseinfuhren aus Russland stufenweise zu beenden, wenn die russischen Staatsorgane weiterhin Mitgliedstaaten bedrohen bzw. militärische Maßnahmen gegen Länder der Östlichen Partnerschaft in der Nachbarschaft durchführen”.

Zudem müsse die EU “auch die vollständige Synchronisierung der Stromnetze der Mitgliedstaaten mit dem europäischen Verbundsystem als beste langfristige Antwort auf das Problem der Energieabhängigkeit der EU von Russland verfolgen und sollte ferner der Ausweitung der Tätigkeit der Kernenergieunternehmen Russlands in der EU entgegentreten”.

Überwindung der Abhängigkeit von russischen Energieträgern und Schaden durch Nord Stream 2. Im Text wird die EU auch dazu aufgerufen, eine klare Strategie auszuarbeiten und umzusetzen, wie ihre Abhängigkeit von russischem Gas und Erdöl und anderen Rohstoffen (insbesondere Eisen/Stahl, Aluminium und Nickel) beendet und ihre Energieunabhängigkeit gesteigert werden könne.

Hervorgehoben wird in dem Text, dass  die Erdgasfernleitung Nord Stream 2 der europäischen Solidarität entgegensteht und die Gefahr birgt, die Vorherrschaft Russlands sowie die Abhängigkeit der EU von russischem Gas zu erhöhen. Zudem setze sie die Ukraine der Böswilligkeit Russlands aus. Daher sollte der Bau sofort eingestellt werden und die Erdgasfernleitung unter den gegenwärtigen Umständen auch nach der Fertigstellung nicht in Betrieb genommen werden, so die Europaabgeordneten.

Europa muss “den Preis für Russland für die Krim und den Donbass erhöhen”. Erwähnt werden in dem Text auch die “rechtswidrige Besetzung und Annexion der Krim und die faktische Besetzung bestimmter Teile der Gebiete Donezk und Luhansk sowie die Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts”, einschließlich der jüngsten Verhaftungen von Krimtataren, was zu verurteilen sei.

Die EU, so die Parlamentarier, “sollte auch künftig daran mitwirken, das Konsultations- und Koordinierungsformat der internationalen Krim-Plattform weiterzuentwickeln, um die vorübergehende Besetzung der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol durch die Russische Föderation friedlich zu beenden und die Kontrolle der Ukraine über das Gebiet unter uneingeschränkter Achtung des Völkerrechts wiederherzustellen”.

Daher sollte die EU weiterhin fordern, “dass sich Russland konstruktiv am Normandie-Prozess beteiligt und seine internationalen Verpflichtungen, insbesondere im Rahmen der Minsker Vereinbarungen und des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, umsetzt”. In dieser Frage sollte die Möglichkeiten einer transatlantischen Zusammenarbeit sondiert werden.

Ferner wird die EU aufgerufen, “den Umfang ihrer Sanktionen auszuweiten, dass auch die Ausgabe russischer Reisepässe und die Organisation rechtswidriger Wahlen auf der Krim erfasst werden und dass Russland für die Verhinderung der Umsetzung der Minsker Abkommen und die Blockierung der Gespräche im Normandie-Format einen höheren Preis zahlen muss”.

Schließlich sollte die EU “entschlossene Maßnahmen ergreifen, um Russland davon abzuhalten, die bestehenden EU-Sanktionen zu umgehen”. Zu diesem Zweck sollte die EU ihre geltenden Vorschriften überprüfen und überarbeiten, um verschiedene Schlupflöcher zu schließen, damit die Sanktionen wirksamer werden und dazu führen, dass Russland einen erheblich höheren Preis für sein hybrides aggressives Vorgehen zahlen muss.

Warnung vor Einverleibung von Belarus und hybriden Eingriffen in der EU. Den Europaabgeordneten zufolge sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten klarstellen, “dass sie unter keinen Umständen Versuche Russlands akzeptieren werden, sich Belarus einzuverleiben, da diese Eingliederung dem Willen des belarussischen Volkes nicht entspräche und von einem dazu nicht legitimierten Machthaber ausgehandelt würde”.

Die EU müsse die europäischen Bestrebungen der Nachbarländer würdigen und Russlands Politik der Einflusssphären ablehnen. “Die EU sollte ferner anerkennen, dass ihr eine strategische Verantwortung für die Stabilität und Entwicklung in der Region der Östlichen Partnerschaft zukommt”, so der Text.

Darin heißt es weiter, dass die EU ihre Hausaufgaben machen und verhindern müsse, “dass mit den hybriden Eingriffen und Geldwäschepraktiken des Kreml Einfluss auf die Elite in Politik und Wirtschaft in der EU genommen wird, wenn sie das russische Volk auf seinem Weg zur Demokratie wirksam unterstützen will”.

Die EU sollte nach Ansicht der Parlamentarier verschiedene mögliche Entwicklungen in den Beziehungen zwischen der EU und Russland und auch innerhalb Russlands berücksichtigen: “Die EU sollte insbesondere eine Vision und Strategie für ihre künftigen Beziehungen zu einem freien, wohlhabenden, friedlichen und demokratischen Russland verfolgen, das uneingeschränkt dem Völkerrecht, seinen internationalen Verpflichtungen und Grundsätzen gutnachbarschaftlicher Beziehungen verpflichtet ist.”

Reaktion in der Ukraine. “Das Dokument ist gut, die Ukraine bewertet es positiv”, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bei einem Briefing.

“Für uns ist es sehr wichtig, dass in dem Text feststellt wird, dass es unmöglich ist, zu einer normalen Zusammenarbeit zurückzukehren, zu dem, was man als “business as usual” bezeichnet, bis Russland seine aggressive Politik und seinen hybriden Krieg gegen die EU und die Länder der Östlichen Partnerschaft, zu denen die Ukraine gehört, nicht stoppt, und die territoriale Integrität von Georgien, der Moldau und der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen nicht wiederhergestellt ist”, betonte Kuleba.

Er zeigte sich zudem zufrieden darüber, dass in dem Text der Europaabgeordneten Unterstützung für die “Krim-Plattform” geäußert wird und die jüngsten Festnahmen von Krimtataren auf der Krim verurteilt werden.

Reaktion in Russland. Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, teilte am 16. September 2021 mit, der Text des Europäischen Parlaments über die Grundsätze zum Aufbau der Beziehungen zu Russland rufe “lediglich Bedauern” hervor. Dies berichtet die “Jewropejska Prawda” unter Berufung auf die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS.

“Es wird nicht über die Notwendigkeit eines Dialogs gesprochen, über die Notwendigkeit, bestehende Probleme und Meinungsverschiedenheiten durch Kommunikation auf verschiedenen Ebenen und über verschiedene Kanäle zu lösen”, so Peskow.

Text mit empfehlendem Charakter. Es sei daran erinnert, dass entsprechende Texte des Europäischen Parlaments nur empfehlenden Charakter haben. Die Abgeordneten hatten bereits schon früher Erklärungen verabschiedet, in denen eine harte Politik gegenüber Moskau gefordert wurde, doch die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten haben bei weitem nicht alle dieser Empfehlungen voll ausgeschöpft.

Gleichzeitig ist aus der Europäischen Kommission zu hören, dass Russland Kurs auf eine Konfrontation mit der EU genommen hat. In diesem Zusammenhang wird von der Notwendigkeit gesprochen, eine neue Strategie für die Beziehungen zu Moskau zu entwickeln.