Lukaschenkos heimliche “Amtseinführung”: Wie reagiert die Ukraine?

Am 23. September hat in Minsk still und leise eine “Amtseinführung” von Alexander Lukaschenko stattgefunden. Am gleichen Abend erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, diese “Inauguration” mache Alexander Lukaschenko nicht zu einem legitimen Präsidenten von Belarus. Bedeutet diese Aussage, dass die Ukraine die Wahlen in Belarus nicht anerkennt? Was heißt dies für die Beziehungen zwischen der Ukraine und Belarus?

“Die Ukraine hat sich nie in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten von Belarus eingemischt und wird das belarussische Volk immer unterstützen. Angesichts des Verlaufs des Wahlkampfs in Belarus und der nachfolgenden Ereignisse bedeutet die heutige ‘Inauguration’ von Lukaschenko nicht, dass er als legitimes Staatsoberhaupt anerkannt wird”, schrieb Kuleba auf Twitter. Dieser Beitrag wurde auch von der offiziellen Facebook-Seite des Außenministeriums der Ukraine geteilt.

Was bedeutet diese Erklärung?

Kiew hat sich mit dieser Erklärung den Ländern des Westens angeschlossen, die Alexander Lukaschenko nicht als legitimen Präsidenten von Belarus anerkennen. Damit stehen die ukrainisch-belarussischen Beziehungen faktisch auf Pause. Zu diesem Schluss kommen internationale Experten im Zusammenhang mit der Erklärung von Außenminister Dmytro Kuleba anlässlich Lukaschenkos heimlicher “Amtseinführung”.

Anpassung an Position der EU. Aljona Hetmantschuk, Leiterin des ukrainischen Zentrums “Neues Europa”, sagte gegenüber der BBC zur Erklärung des Außenministers:

“Der Tweet von Dmytro Kuleba sollte als Position des offiziellen Kiew betrachtet werden, was bestätigt: Die Ukraine tendiert dazu, Lukaschenko nicht als Präsidenten anzuerkennen. Sie passt sich weiter an die Position der Europäischen Union im Allgemeinen und Deutschlands und Frankreichs im Besonderen, aber nicht an die von Litauen und Polen an, die eine härtere Position vertreten. Das Fehlen einer klaren Formulierung wie ‘Die Ukraine erkennt Lukaschenko nicht als Präsidenten an’ hat eher einen internationalen rechtlichen Hintergrund und stellt weniger den Wunsch dar, diplomatisch zu manövrieren. Ein gewisser Beweis dafür, dass die Ukraine Lukaschenko nicht anerkennt, ist das Fehlen eines Glückwunschschreibens von Selenskyj an ihn.”

“Eine zu scharfe Erklärung” Roman Bessmertnyj, ehemaliger Botschafter der Ukraine in Belarus, bezeichnete Kulebas Erklärung gegenüber der BBC als “zu scharf”:

“Minister Dmytro Kuleba hat in dieser Situation das Möglichste getan. Diplomaten halten die Erklärung sogar für zu scharf. Er hat den Verlauf der Ereignisse in Belarus, die Wahlen und die bilateralen Beziehungen bewertet. Aber die endgültigen Schlüsse bezüglich Belarus muss das Staatsoberhaupt ziehen und bekannt geben, oder ein von ihm befugtes staatliches Organ (…) Die faktische Nichtanerkennung des belarussischen Präsidenten durch die Ukraine wird keine tragischen Probleme zur Folge haben. Dafür gibt es diplomatische Beziehungen und das Protokoll. Staaten können auch Krieg führen, und solange die Beziehungen nicht abgebrochen sind, müssen die Diplomaten für Kommunikation sorgen. Es ist Aufgabe eines Botschafters und Diplomaten, die Beziehungen auch unter extremen Bedingungen sicherzustellen. Dann kann man auch auf bestimmten Regierungsebenen Kontakt aufnehmen, aber den Kontakt mit dem Präsidenten vermeiden. Die Ukraine hatte Präsidenten, die mit Lukaschenko überhaupt nicht kommuniziert haben. Das ist keine Tragödie für zwischenstaatliche oder zwischenmenschliche Beziehungen.”

Position mit Präsident Selenskyj abgestimmt. Pawlo Klimkin, ehemaliger ukrainischer Außenminister, sagte der BBC, die Erklärung von Außenminister Kuleba sei eine vorsichtige diplomatische Version dessen, was die Ukraine zu Lukaschenkos “Amtseinführung” sagen wolle. Gleichzeitig wies der Ex-Minister darauf hin, dass die ukrainische Erklärung nicht so deutlich formuliert sei wie die anderer EU-Länder. Zugleich betonte er, die Erklärung sei garantiert mit den Büro des Präsidenten abgestimmt worden. Sie sei keine persönliche Initiative von Kuleba. Die wichtigsten Richtlinien in der Außenpolitik lege derzeit das Büro des Präsidenten fest. Ferner sagte Klimkin:

“Es hätte auch keine andere Erklärung geben können, sonst hätten wir lächerlich ausgesehen. Das, was man in Minsk gemacht hat, ist eine erbärmliche, lächerliche Farce. Wenn wir schweigen würden, würden wir vor unseren Partnern und Freunden lächerlich aussehen. Der zweite Punkt ist, dass diese Position mit dem ganzen Spiel rund um die Änderung der Logik rund um die Minsker Gespräche und einen Neustart der Friedensverhandlungen verbunden ist. Was die Form der Erklärung betrifft, so ist die Internet-Diplomatie längst Tatsache, egal was man davon hält. Denken wir nur an Trumps Twitter. Wir betrachten das, was in den sozialen Netzwerken auf den offiziellen Seiten steht, auch als offizielle Position.”

“Abkühlung in den Beziehungen” Der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymyr Fesenko ist überzeugt, dass Kulebas Erklärung ein Zeichen für eine deutliche Abkühlung in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern ist:

“Die Erklärung von Dmytro Kuleba zur ‘Inauguration’ ist die offizielle Position der Ukraine. Sie ist normal und ausreichend. Das Büro des Präsidenten hat diese Erklärung möglicherweise absichtlich so initiiert, um das Ausmaß der Spannungen und das Konfliktpotenzial in den bilateralen Beziehungen zu verringern. Auf der anderen Seite sollte damit deutlich gemacht werden, dass das Vorgehen mit den europäischen Partnern koordiniert wird. Das Büro des Präsidenten hat sich einige Handlungsspielräume gelassen, um später einige Kontakte pflegen zu können. Es ist offensichtlich, dass eine Abkühlung in den Beziehungen zwischen beiden Ländern bereits eingetreten ist. Für eine Weile werden wir eine große Pause erleben. Das erste Opfer ist das traditionelle zwischenstaatliche Regionalforum, das bald stattfinden sollte. Der ukrainische Präsident wird nicht dorthin reisen, aber es wäre auch unangemessen, wenn dort andere offizielle Vertreter anwesend wären. Das Forum selbst hat seinen Sinn verloren. Ich denke, dass Selenskyj in den kommenden Monaten Lukaschenko nicht als Präsidenten anerkennen wird. Es wird aber gewisse offizielle oder informelle Kontakte zur belarussischen Administration geben. Aber so wie früher, wird es nicht mehr sein. Ein direkter Kontakt ist nicht mehr zu erwarten.”