Am 25. August 2021 ist bekannt geworden, dass der Pipelinebetreiber Nord Stream 2 AG eine Klage in Deutschland verloren hat, und zwar vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Gazprom hatte gefordert, die Pipeline aus der EU-Gasrichtlinie zu streichen, aber das Gericht erkannte die Pipeline nicht als Ausnahme von den EU-Vorschriften an, die eine Trennung zwischen Pipeline-Eigentümer und Gaslieferant verlangen. Was bedeutet dies und was ist nun zu erwarten?
Nord Stream 2, eine russische Gaspipeline, die in Umgehung der Ukraine gebaut wird und auf dem Grund der Ostsee von Russland nach Deutschland führt, bereitet Kiew seit langem Kopfschmerzen. Im Falle einer Fertigstellung und einer erfolgreichen Inbetriebnahme würden der Ukraine Einnahmen aus dem bisherigen Gastransit durch ukrainische Leitungen verloren gehen, zudem würde dies ein Sicherheitsrisiko für das Land darstellen.
Im Juli hatten Deutschland und die USA eine Vereinbarung getroffen, wonach sich Washington einer Fertigstellung der Pipeline nicht in den Weg stellt, und Deutschland sich verpflichtet, im Falle einer russischen Aggression gegen die Ukraine Sanktionen zu verhängen, aber auch die Ukraine bei ihren Transformationen im Energiebereich zu unterstützen.
Unterdessen stelle die Nord Stream 2 AG am 11. Juni 2021 einen Antrag auf vorsorgliche Zertifizierung als unabhängige Transportnetzbetreiberin. Gazprom fordert, Nord Stream 2 als Ausnahme von den Regeln anzuerkennen, die eine Trennung von Pipeline-Eigentümer und Gaslieferant vorschreiben. Der staatliche russische Energiekonzern hält die EU-Regeln für diskriminierend und ist der Ansicht, dass sie bewusst eingeführt worden seien, um die russisch-deutsche Gaspipeline zu torpedieren. Nun muss Gazprom als Eigentümer der Nord Stream 2 AG möglicherweise die Pipeline umstrukturieren. Daher könnte die gerichtliche Entscheidung und die Verpflichtung zur Einhaltung der EU-Vorschriften die russische Pipeline zusätzlich Zeit und Geld kosten.
Kontext: EU-Gasrichtlinie. Am 4. April 2019 hatte das Europäische Parlament eine aktualisierte Gasrichtlinie verabschiedet, die für alle Gaspipelines durch EU-Länder gilt. Insbesondere sollen die Gasversorgungs- und Transportaktivitäten von verschiedenen Unternehmen durchgeführt werden. Daher dürfen Pipeline-Eigentümer keine direkten Gaslieferanten sein. Das bedeutet, dass ein Unternehmen, das Gas transportiert, seine Kapazitäten an Dritte verkaufen muss. Außerdem müssen 50 % der Pipeline-Kapazität für alternative Lieferanten reserviert werden. Die EU-Vorschriften sollen einen fairen Wettbewerb auf dem Markt gewährleisten und verhindern, dass Unternehmen den Zugang von Wettbewerbern zur Infrastruktur behindern.
Reaktionen in der Ukraine. Jurij Witrenko, Vorstandsvorsitzender von Naftogaz Ukrainy, erklärte zur Entscheidung des Gerichts und über die Position der Ukraine: “Unsere Strategie, nach den gleichen Regeln zu spielen, nach denen der Westen lebt, zahlt sich aus. Gazprom hat schon vor dem Stockholmer Schiedsgericht ein Verfahren verloren. Und jetzt hat Gazprom beim Versuch, Nord Stream 2 aus der europäischen Regulierung herauszuholen, also aus dem sogenannten Dritten Energiepaket, auch vor einem deutschen Gericht verloren.”
Laut Witrenko besteht die Hauptaufgabe der Ukraine darin, die Anwendung dieser europäischen Vorschriften auf alle Gaspipelines zwischen Russland und Europa zu erreichen.
“Das wird ein schwieriger Kampf. Der Kreml erpresst Europa mit Gasmangel im Winter. Einige westliche Regierungsbeamte wollen nicht verstehen oder tun so, als ob sie nicht verstehen würden, was die europäischen Regeln wirklich bedeuten”, fügte der Chef von Naftogaz hinzu und zeigte sich zugleich siegessicher.
Eine Zertifizierung der Nord Stream 2 AG, der Betreiberin von Nord Stream 2, sei im Rahmen der europäischen Gesetzgebung nicht möglich, betonte Witrenko.
“Jetzt ist die Situation ganz einfach, auch wenn wir uns vorstellen, die deutsche Regulierungsbehörde würde vor Verstößen gegen europäisches Recht die Augen verschließen, dann würden wir darauf bestehen, dass die USA Sanktionen gegen den Betreiber Nord Stream 2 AG verhängen, der zu 100 % im Besitz von Gazprom ist. Denn dies wäre ein Verstoß gegen die gemeinsame Erklärung der USA und Deutschlands. Und wir werden auf Sanktionen bestehen”, sagte er.
Laut Witrenko verlangt die europäische Gesetzgebung heute die Trennung des Gasförderungs- und Gasversorgungsgeschäfts von den Transportaktivitäten über Pipelines. Dies sei ein Schutz vor Monopolmissbrauch und Manipulation. Gleichzeitig gehöre die Nord Stream 2 AG dem Konzern Gazprom, der Gas fördere und es aus Russland als Monopolist exportiere.
“Die Ausweitung der europäischen Gesetzgebung soll in der Tat Monopolbildung und Wettbewerb schädigende Aktivitäten und den Einsatz von Gas als geopolitische Waffe verhindern”, fügte der Vorstandsvorsitzende von Naftogaz hinzu.
Olena Serkal, Beraterin des Energieministers und ehemalige stellvertretende Außenministerin der Ukraine, schließt nicht aus, dass Nord Stream 2 trotz des amerikanisch-deutschen Abkommens möglicherweise nicht in Betrieb gehen wird. Ihr zufolge handelt es sich bei dem Abkommen zwischen Deutschland und den USA um eine politische Vereinbarung zwischen den Staats- und Regierungschefs beider Länder.
“Hier stellt sich die Frage, ob die Nord Stream 2 AG als Betreiberin zertifiziert wird. In der Vereinbarung selbst sagt Deutschland, dass es die europäische Gesetzgebung zur Anwendung aller Normen und Anforderungen des Dritten Energiepakets der EU auf Nord Stream einhalten wird” erinnerte Serkal. Das Dritte Energiepaket sei “eigentlich ein Bereich von Regeln, der für den Betrieb jeder Gaspipeline gilt”, erklärte sie und fügte hinzu: “Nord Stream 2, ein Konsortium, hat jetzt die Zertifizierung als Betreiber beantragt. Es ist nicht losgelöst von Gazprom. In Wirklichkeit verstößt dies gegen EU-Recht. Auf der Ebene der deutschen Regulierungsbehörde wird es für Deutschland nun erste Prüfungen geben, inwieweit es den Geist und Inhalt des EU-Rechts einhält. Und dann erwarten wir eine Reaktion von der EU und insbesondere der Europäischen Kommission.”
Treffen bei der Krim-Plattform. Darüber hinaus fand diese Woche am Rande der Krim-Plattform ein trilaterales Treffen den Energieministern der USA, Deutschlands und der Ukraine statt. Die US-Vertreterin machte in einer Diskussion über Nord Stream 2 darauf aufmerksam, dass in Russland gefördertes Erdgas “schmutzig” sei, was den Umweltschutz und Korruption, Erpressung und Manipulation angehe. Dies teilte Olena Serkal mit.
“Die Chefin des US-Energieministeriums, Jennifer Granholm, war einfach genial. Die These, dass russisches Gas aufgrund gewaltiger CO2-Emissionen bei Produktion und Transport sowie wegen Korruption, Erpressung und Manipulation das schmutzigste der Welt sei, ist Balsam fürs Herz”, sagte sie.
Serkal zufolge waren sich alle Vertreter einig, dass alle russischen Pipelines für den Gasexport im Rahmen des Dritten Energiepakets betrieben werden sollten, und dass der deutsche Minister sich manchmal habe “offen verteidigen müssen”.
“Die deutsche Herangehensweise – ‘Russland hat uns noch nie im Stich gelassen, und was es mit Osteuropa macht, ist was völlig anderes’ – funktioniert nicht mehr. Ich möchte betonen: Die Positionen der Ukraine und der USA waren einander im Prinzip so nah wie möglich”, so Serkal.