Gemeinsame Konferenz von Eastern Circles und dem Ukraine Crisis Media Center
mit Unterstützung der Zeitschrift Diplomatie
Referenten:
- Vadym Omelchenko, Botschafter der Ukraine in Frankreich
- Taras Katchka, Stellvertretender Minister für wirtschaftliche Entwicklung – Handelsvertreter der Ukraine
- Valery Chaly, Mitbegründer und Vorsitzender des Ukraine Crisis Media Center
- Benoit Pare, OSZE-Sonderbeobachtermission in der Ukraine
Moderatorin: Anastasiya Shapochkina, Präsidentin von Eastern Circles und Dozentin für Geopolitik am Sciences Po Paris
Sieben Jahre sind vergangen, als Kiew von der Euromaidan-Revolution erschüttert wurde, als Russland die Krim annektierte und die ukrainische Regierung die Kontrolle im Osten des Landes verlor. Durch diese Entwicklungen haben sich die Beziehungen der Ukraine zu Europa und Russland verändert, und die Innenpolitik der Ukraine wurde durch Reformen und die unlösbaren Dilemmata der Minsker Vereinbarungen immer wieder durchgerüttelt.
Mit vier hochkarätigen Referenten haben wir über die aktuelle Situation in der Ukraine, ihre Handelsbeziehungen mit der EU, die Entwicklung der Reformen im Lande und die Situation vor Ort in den besetzten Gebieten der sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” diskutiert.
Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Ukraine
Die dramatischen Ereignisse des Euromaidan begannen im Herbst 2013, nachdem der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowytsch die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zur Erleichterung der Handelsbeziehungen mit der EU abgelehnt hatte. 6,5 Jahre nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens im Jahr 2014 hat sich das Handelsvolumen der ukrainischen Wirtschaft mit Europa erhöht, während der militärische und diplomatische Konflikt mit Russland andauert. Unter den EU-Mitgliedstaaten unterhält die Ukraine enge wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland, Polen und Rumänien. Das Handelsvolumen mit Frankreich ist mit weniger als zwei Milliarden Euro pro Jahr nach wie vor relativ gering, aber der Ausbau der Wirtschaftspartnerschaft mit Paris steht in Kiew ganz oben auf der Agenda. Während eines geplanten Besuchs von Präsident Macron in der Ukraine sollen voraussichtlich mehrere Handelsabkommen mit großen französischen Unternehmen wie Alstom unterzeichnet werden.
Auch wenn sich die Handelsbilanz der Ukraine bereits zugunsten Europas verschoben hat, hofft Kiew, die Exporte in die EU weiter steigern zu können. Derzeit treiben 14.000 ukrainische Unternehmen Handel in Europa – in Bereichen wie Stahl, Eisenbahnausrüstung und Transport. Die jahrelange Arbeit zur Angleichung der ukrainischen Standards an die der EU lässt auf eine stärkere Zusammenarbeit in der Industrie und Landwirtschaft hoffen, und damit auch auf eine Erhöhung der Exporte von Weizen und Mais nach Europa, auch wenn die europäischen Landwirte die Ukraine als Konkurrenten wahrnehmen.
Reformen
Um die politischen Reformen in der Ukraine zu verstehen, reicht es nicht aus, die Ukraine als eine Schachfigur in einem großen Machtkampf zu betrachten, die gezwungen ist, die Reformforderungen des Westens umzusetzen. Die Zivilgesellschaft und ein lebendiges Biotop von Wachhunden der Demokratie vor Ort sind die Haupttreiber der Reformen. Angesichts der seit dem Euromaidan verlorenen Menschenleben hat die Ukraine längst den Punkt ohne Wiederkehr zum früheren, von Russland inspirierten Regierungsmodell erreicht.
Die Lage im Osten der Ukraine in den sogenannten “Volksrepubliken”
In all den Jahren täglicher Beobachtung der Lage in den separatistischen Gebieten der sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” hat die OSZE die Entwicklung der Lage vor Ort miterlebt. Unmittelbar nach Beginn des militärischen Konflikts im Frühjahr 2014 verließen große Teile der Bevölkerung die besetzten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk. Im Jahr 2019 kehrte dort ein relatives Gefühl der Normalität zurück, und die Situation hat sich seit der Waffenruhe vom 27. Juli 2020 merklich verbessert. Zu Beginn der militärischen Feindseligkeiten blieben dort nur noch ältere Menschen,die nicht weg wollten. Doch in den letzten Jahren kehrt langsam die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zurück.
Trotz dieser Veränderungen ist das Leben in den sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” von Schwierigkeiten geprägt. Die Bewohner sind was Renten und Sozialleistungen angeht auf die ukrainische Regierung angewiesen. Um das Geld zu erhalten, müssen sie die Trennlinie an einem der fünf Übergangsstellen passieren, wo sie in einem unwürdigen Verwaltungsverfahren stundenlang im Winter bei Kälte oder bei Hitze im Sommer warten müssen. Dies hat schon zu Notfällen und sogar Todesfällen bei älteren Menschen geführt. Diese Zustände hatten sich im Zuge von COVID-19 noch zugespitzt, als die meisten Übergangsstellen 2020 weitgehend oder teilweise geschlossen blieben. Obwohl sich der physische Zustand der Übergangsstellen unter Präsident Wolodymyr Selenskyj verbessert hat, bleiben sie ein heikler Verhandlungspunkt zwischen den beiden Seiten.
Die Minsker Vereinbarungen zur Konfliktlösung stehen still, da die politischen Klauseln für die Ukraine und die Sicherheitsklauseln für Russland weiterhin inakzeptabel sind. Unterdessen verteilt Moskau im Rahmen seiner hybriden Kriegsstrategie an die Bewohner der sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” russische Pässe. Zunächst erhielten sie Personen, die den Strukturen der Separatisten angehören, was ihnen garantiert, nach Russland fliehen zu können, um einer Verfolgung zu entgehen, sollte Kiew die militärische Kontrolle über die Region zurückerlangen. Schon bald stieg die Zahl der willigen Besitzer eines russischen Passes auch durch ukrainische Staatsbürger, die schon vor dem Konflikt auf Basis eines dreimonatigen Visums in Russland gearbeitet hatten. Diese in der Ukraine angewandte Strategie der “Passportierung” hat sich für Moskau als wirksam und für die Regierungen von Georgien und der Republik Moldau als destruktiv erwiesen, was die Aussichten für eine friedliche Lösung all dieser Konflikte in naher Zukunft unvorhersehbar macht.