Warum man russische Medien – auch die “liberalen” – meiden sollte

Wenn es um die staatlichen TV-Kanäle der Russischen Föderation oder um die vom russischen Staat finanzierten Auslandsmedien Sputnik oder RT geht, weiß jeder um die Gefahr, die von russischen Informationsquellen ausgeht. Unscheinbarer sind hingegen die Gefahren, die von russischen Medien ausgehen, die angeblich zum Kreml in Opposition stehen und sich als “liberal” positionieren. Olga Yurkova, Mitbegründerin der ukrainischen unabhängigen Organisation StopFake, hat im Rahmen des Projekts Uchoose beim Ukraine Crisis Media Center die Gefahren russischer Medieninhalte erläutert.

“Seit sechs Jahren kämpft die Ukraine für ihrer Unabhängigkeit in Donbass, in einem von Russland geführten Krieg. Dennoch ist die russische Propaganda immer noch in unserem Leben und unseren Köpfen präsent”, betont Yurkova. Zahlreiche Studien würden bestätigen, dass die russischen Medien nicht informieren, sondern propagandistische Mythen schaffen und verbreiten. “Sie sprechen von einer schlechten ukrainischen Armee, deren Soldaten angeblich einen Jungen im Donbass gekreuzigt haben, Geschäfte ausgerauben und untergebene COVID-Kranke erschießen”, so Yurkova. Die Truppenentflechtung im Donbass werde als Rückzug der ukrainischen Armee dargestellt.

Ferner würden russische Medien ukrainische “Nazis und Faschisten enttarnen”, die sie mit Hitler-Porträts und Hakenkreuzen auf Panzern zeigen. Jene “Nazis und Faschisten” würden laut russischen Medienberichten sogar Kinder zwingen, mit einem “Führer aus Plüsch” zu spielen. 

Die russischen Medien würden versuchen, so Yurkova, die im vergangenen Jahr neu geschaffene vereinigte ukrainische orthodoxe Landeskirche zu diskreditieren: Sie sei unkanonisch und von niemandem anerkannt.

“Sie verbreiten Verschwörungstheorien über einen ‘verfaulenden Westen’, ein heimtückisches Amerika, das die ganze Welt mit einem Netzwerk geheimer Labore umspanne, insbesondere die Ukraine und einige andere widerspenstige postsowjetische Staaten. Die EU stehe vor dem Zerfall, weil es dazu angesichts von Unmoral und wirtschaftlichem Niedergang keine Alternative gebe”, so Yurkova.

Letztendlich wollen der Expertin zufolge die russischen Medien die ukrainische Führung – ob die frühere oder jetzige – diskreditieren: “Ziel dieser Propaganda ist nicht, Frieden zu erreichen, sondern die Ukraine als gescheiterten Staat darzustellen, der nur einen Ausweg hat: in die Arme seines östlichen Nachbarn zu fallen. Nach Darstellung der russischen Medien ist der ‘verfaulende Westen’ kein guter Partner, und der Konflikt im Donbass kein russischer Angriffskrieg, sondern ein Bürgerkrieg, der innerhalb der Ukraine gelöst werden müsse. Russland solle dabei nur ein wenig helfen. Dies ist eine weitere allgegenwärtige These der Propaganda.”

Wie funktionieren die “liberalen” russischen Medien?

Die meisten Ukrainer wollen nicht, dass man ihnen dieses propagandistische Weltbild aufzwingt. Einer kürzlich vom ukrainischen Rasumkow-Zentrum durchgeführten Umfrage zufolge misstrauen 82 Prozent der Ukrainer den russischen Medien.

RIA Nowosti, LifeNews, der russisch-orthodoxe TV-Kanal Zargrad und der Fernsehsender Swesda des russischen Verteidigungsministeriums sind Yurkova zufolge nur die Spitze des Eisbergs der Propaganda, die für den Teil des russischen Publikums konzipiert ist, der nur konsumiert und kaum hinterfragt.

“Diejenigen, die Fragen stellen, bekommen ein anderes Produkt: Expertengespräche, wissenschaftliche Studien, Bücher, Umfragen und Einschätzungen ‘unabhängiger Blogger’. Gerade auf dieses Publikum zielen die sogenannten ‘liberalen’ russischen Medien ab: Echo Moskwy, Doschd, und so weiter”, erläutert Yurkova. Auf deren Webseiten werde man weder die erfundene Geschichte über den “gekreuzigten Jungen im Donbass” noch die mit einem “Plüsch-Hitler” spielenden Kinder finden. 

Doch durch die Einschätzungen der vielen Studiogäste verschwimmt sehr leicht, was an Ereignissen wahr oder unwahr ist. “Sie scheuen nicht, den ‘Politikwissenschaftler’ Sergej Markow einzuladen, der auch 2020 noch beharrlich von einer ‘Kiewer Junta’ spricht und auf einen ‘Beitritt’ von Belarus zur Russischen Föderation andeutet. Der Moderator protestiert nicht einmal, sondern spielt ihm noch zu, was dann als subtile Ironie rechtfertigt wird. Oder an jenem Tag, als Russland im Asowschen Meer ukrainische Schiffe festsetzte, berichtete die ominöse Agentur RIA Novosti, die ukrainische Armee habe im Donbass Zivilisten beschossen, was sogar die sogenannte ‘Volksrepublik Donezk’ dementierte”, so Yurkova.

Ihr zufolge bietet auch der junge YouTube-Blogger Yury Dud, der nur auf den ersten Blick eine Kreml-feindliche Position einnimmt und in der Ukraine durchaus Anhänger hat, häufig ein Forum zur Verbreitung anti-ukrainischer Ansichten. Zum Beispiel spricht er im Zusammenhang mit dem Maidan und der Revolution der Würde im Jahr 2014 von einen “Putsch”. Die Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland bezeichnet er als “Rückkehr”. Der ukrainische Philosoph Hryhorij  Skoworoda ist für ihn “der erste Philosoph des Russischen Reiches”. Dies bietet, so Yurkova, viel Raum für Manipulationen. All dies baue langsam beim Publikum ein Weltbild auf, in dem es um einen “Bürgerkrieg” gehe.

Wie russische Redner auf internationalen Foren agieren

Olga Yurkova berichtet auch über Erfahrungen, die sie im November letzten Jahres als Rednerin beim Weltforum für Demokratie in Straßburg gemacht hat. Demnach sprach bei der Diskussion über das Vertrauen in Nachrichten die stellvertretende Chefredakteurin des Senders Russia Today (RT). Dabei verbreitete sie Thesen aus der russischen Propaganda. RT ist als eine der aktivsten Quellen für Fake-News über die Ukraine und für Manipulationen bekannt. Der Sender positioniert sich selbst als Quelle für “alternative Sichtweisen”. 

Schon vor dem Forum hatte Yurkova zufolge die ukrainische Delegation die Teilnahme von RT als toxischem Sender an einer Diskussion über Berufsstandards in Frage gestellt. Daher organisierte die ukrainische Delegation eine Protestaktion, die auch von Teilnehmern anderer Ländern unterstützt wurde. Sie wurde fast zum Hauptereignis des Tages auf der Konferenz. 

“Doch fast unbemerkt blieb an diesem Tag eine Rede von Alexei Venediktov, des Chefredakteurs von Echo Moskwy. In ausgezeichnetem Französisch erzählte er, er könne nicht eindeutig sagen, ob Russland die Krim erobert habe oder ob es ein faires Referendum gegeben habe. Als hätte es auf der Halbinsel keine russischen Spezialeinheiten und Verstöße gegen das Völkerrecht gegeben. Die gleichen Methoden funktionieren auch bei einem internationalen Experten-Publikum. Niemand hatte Zeit zu reagieren”, berichtet Yurkova.

Seit Jahren beobachtet sie die russischen Medien. “Ich kann wahre Meldungen an einer Hand abzählen. Ja, es gibt sie. Aber ich werde die Quellen nicht nennen, um mich später dafür nicht schämen zu müssen. Denn wir haben mehr als einmal beobachtet, wie ehrliche Medien nach einem Eigentümerwechsel allmählich ihre Ausrichtung veränderten. In autoritären Regimen ist jegliche Demokratie nur Illusion. Genau so ist es In Russland. Das berichten viele, die dieses ‘Schiff verlassen’ haben. Sobald das eine oder andere Medium beginnt, eine Rolle zu spielen, muss es Kompromisse eingehen, um keine Probleme mit den Behörden zu bekommen”, so die ukrainische Expertin.