Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine
Die Lage im Kampfgebiet ist unruhig. Im Laufe des Tages wurden im Einsatzgebiet der ukrainischen Vereinten Kräfte neun Waffenstillstands-Verletzungen registriert. Das geht aus dem Morgenbericht des Pressezentrums des ukrainischen Armee hervor. Insbesondere in der Nähe von Schyrokyne schossen die bewaffneten Verbände der Russischen Föderation mit 120-Kaliber-Mörsern auf ukrainische Stellungen.
In der Nähe von Solote-4 feuerte der Feind aus handgehaltenen Panzerabwehr-Granatwerfern und Handfeuerwaffen. Nicht weit von der Siedlung Prytschepyliwka schossen russische Söldner aus Granatwerfern.
“Durch den Beschuss der russischen Besatzungstruppen wurden zwei Soldaten der Vereinten Kräfte verwundet. Sie wurden in medizinische Einrichtungen gebracht. Der Gesundheitszustand eines der verwundeten ukrainischen Verteidiger wird von Ärzten als ernst, der des anderen als zufriedenstellend bewertet”, heißt es in der Mitteilung.
Die anderen Tage der vergangenen Woche waren für die ukrainische Armee noch härter. Im Laufe des 28. August registrierte das ukrainische Militär 18 Verletzungen des Waffenstillstands durch die von Russland unterstützten Rebellen. “Infolge des Beschusses haben sechs Soldaten durch Splitter Wunden erlitten und vier weitere Soldaten Kampfverletzungen. Die Verwundeten befinden sich in medizinischen Einrichtungen, der Gesundheitszustand der Verteidiger ist zufriedenstellend”, heißt es im Morgenbericht über die Lage im Donbass.
Versuche, Selenskyjs Treffen mit Biden zu stören? Mit der Zuspitzung der Lage im Donbass versucht Russland, die Gespräche zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem US-Präsidenten Joe Biden zu stören. Dies teilte die ukrainische Delegation der Trilateralen Kontaktgruppe auf ihrer Facebook-Seite mit.
“Der Feind will uns zu einer unangemessenen Reaktion provozieren, um dann auf höchster Ebene ‘aggressive Aktionen der Ukraine’ verkünden und Spannungen erzeugen zu können, was die Gespräche zwischen den Präsidenten der Ukraine und der USA über Möglichkeiten zur Beilegung des Konflikts, einschließlich einer US-Beteiligung an einer solchen Einigung, stören soll”, heißt es in der Erklärung.
Es wird auch darauf hingewiesen, dass vor dem Hintergrund des Besuchs von Präsident Selenskyj in den USA der Feind die Kämpfe möglicherweise verstärken werde, worauf man vorbereitet sein müsse.
Treffen zwischen Biden und Selenskyj: Was ist zu erwarten
Am Mittwoch, dem 1. September, treffen sich Wolodymyr Selenskyj und Joe Biden in Washington. Die Präsidenten der Ukraine und der USA werden sich erstmals persönlich treffen. Selenskyjs USA-Reise fällt mit dramatischen Ereignissen für Amerika zusammen. So wird der ukrainische Präsident während des endgültigen Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan (geplant für den 31. August) in Washington sein. Angesichts der Machtergreifung der Taliban und des Terroranschlags in Kabul ist dies seit Wochen das Top-Thema in den USA.
Selenskyj wird jedoch versuchen, beim Treffen mit Biden eine Reihe wichtiger Fragen für Kiew anzusprechen. Dazu gehören Sicherheits- und Energiefragen, die die Ukraine betreffen.
Was ist über das Besuchsprogramm bekannt? Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte bereits erklärt, dass der Besuch von Wolodymyr Selenskyj “nicht nur ein Besuch bei Präsident Biden, sondern ein Besuch in den USA im weitesten Sinne sein wird”.
Unter anderem kündigte er folgende Gespräche an: ein Treffen mit Joe Biden und Vertretern der US-Administration (nicht nur ein Treffen der Delegationen, sondern auch ein Gespräch der Präsidenten unter vier Augen); Gespräche mit dem IWF; Treffen mit der ukrainischen Gemeinschaft; Treffen mit US-Unternehmen (mögliche Themen: Zusammenarbeit im IT-Bereich und in der Raumfahrtindustrie).
Am 30. August teilte die ukrainische Botschafterin in den USA, Oksana Markarowa, mit, dass Selenskyj zwei Tage in Washington verbringen werde, den 31. August und den 1. September, wonach eine Reise nach Kalifornien geplant sei. Laut Markarowa soll Selenskyj in Washington nicht nur Biden treffen, sondern auch die Leiter der für die ukrainisch-amerikanischen Beziehungen wichtigsten Ministerien. Ferner soll es zwei wichtige öffentliche Termine des Präsidenten und der First Lady Olena Selenska für Vertreter der Medien, der Öffentlichkeit und von Forschungszentren geben. Zudem soll ein Ukrainisches Haus eröffnet und Orte in Washington besucht werden, die für die Beziehungen zwischen der Ukraine und den USA von Bedeutung sind.
Was erwarten die Ukraine und die USA von dem Besuch? Vergleicht man die Erwartungen der beiden Präsidenten an das bevorstehende Treffen, dann interessiert sich Selenskyj vor allem für Sicherheitsfragen und neue Abkommen in diesem Bereich zwischen der Ukraine und den USA, aber auch für eine Stärkung der militärisch-technischen Zusammenarbeit. Ferner will Selenskyj eine klare und realistische Perspektive, was den Membership Action Plan (MAP) der NATO für die Ukraine angeht. Das Weiße Haus betrachtet seit langem zwei Herausforderungen für Kiew als entscheidend: den bewaffneten Konflikt mit Russland und die Notwendigkeit, Fortschritte bei den innenpolitischen Reformen zu erzielen.
Unterdessen hoffen ukrainische Experten, dass der Besuch den Beziehungen Kiews zu Washington neuen Auftrieb verleihen könnte, nachdem die Ukraine unter Donald Trump wegen eines Telefongespräch zwischen Selenskyj und dem US-Präsidenten in einen langwierigen Skandal verwickelt war. Trumps Versuch, den Präsidenten der Ukraine dazu zu bewegen, ein Ermittlungsverfahren gegen Joe Bidens Sohn einzuleiten, hatte den Anstoß zum ersten Impeachment-Verfahren gegen den 45. US-Präsidenten gegeben.
Unterdessen rief Michael McFaul, ehemaliger US-Botschafter in Russland (2012-2014) und ehemaliger Sonderberater von US-Präsident Barack Obama für nationale Sicherheit (2009-2011), am 24. August in der Washington Post dazu auf, Selenskyjs Besuch als Chance für einen Neustart in den Beziehungen zur Ukraine zu nutzen. Er schlug eine Reihe von Schritten vor, die Kiew und Washington helfen würden, neue “besondere Beziehungen” aufzubauen.
McFaul ist zudem überzeugt, dass es für Joe Biden äußerst schwierig sein wird, seine demokratische Agenda und seinen Wunsch nach Überlegenheit gegenüber autoritären Regimen durchzusetzen, sollte die ukrainische Demokratie unter dem Druck Russlands zusammenbrechen. Laut dem ehemaligen Diplomaten und inzwischen Professor an der Stanford University muss die Ukraine unterstützt werden. Die USA sollten ihre Förderprogramme ausweiten. Ein Erfolg der ukrainischen Demokratie würde die Möglichkeiten für demokratische Politiker in der Region und auf der ganzen Welt erweitern. Ein Scheitern würde, so McFaul, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinen autoritären Verbündeten von Minsk bis Peking nur nutzen.
Nord Stream 2: Niederlage vor Gericht, Gazprom-Rache und Rosneft-Plan
Wie bereits berichtet, hat die Nord Stream 2 AG, eine Tochtergesellschaft des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom, einen sehr wichtigen Rechtsstreit in Deutschland verloren. Das Unternehmen versuchte vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf vergeblich zu beweisen, dass es nicht unter die EU-Gasrichtlinie falle. Ihr zufolge darf Gazprom nicht gleichzeitig Eigentümer der Ostsee-Pipeline und Gaslieferant sein. Der Pipelinebetreiber muss ein von Gazprom unabhängiges Unternehmen sein. Darüber hinaus müssen 50 % der Nord Stream-2-Kapazitäten für alternative Anbieter reserviert werden.
Rache von Gazprom. Der russische Monopolist reagierte schnell: Buchstäblich eine Stunde nach der Entscheidung des Gerichts wurde bekannt, dass eine weitere “Tochter” von Gazprom, die Gazprom Export, ihren Verkauf von Gas nach Europa mit der Lieferung im Jahr 2022 einstellen werde. Am Abend des 27. August überstieg der Gaspreis auf dem europäischen Markt 580 US-Dollar pro tausend Kubikmeter, was mehr als 6 % mehr ist als beim Abschluss der vorherigen Auktionen am 26. August.
Russlands Plan zur Umgehung der EU-Richtlinie. Gleichzeitig arbeitet Russland an einem Plan, der Gazprom helfen soll, die EU-Beschränkungen zu umgehen. So hat der Konzern Rosneft angekündigt, im Rahmen einer Agenturvereinbarung mit Gazprom Gas von bis zu zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr nach Europa liefern zu wollen. Formal wird damit die Befüllung der Leitung mit Gas von einem “alternativen Lieferanten” unter Einhaltung der EU-Richtlinie ermöglicht.
Angebot der Ukraine. Die Ukraine sei bereit, günstige Bedingungen für den Gastransit nach Europa anzubieten, was auch Russland die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ermöglichen würde, erklärte der Vorstandsvorsitzende von Naftogaz Ukrainy, Jurij Witrenko, nach einem Treffen mit Georg von Waldersee, dem Sondergesandten der deutschen Bundesregierung für den Transit durch die Ukraine.
“Europas Sicherheit erfordert, dass der Transit durch die Ukraine aufrechterhalten bleibt, bis Erdgas durch erneuerbare Energiequellen ersetzt wird, mindestens bis 2035”, schrieb Witrenko auf Facebook. Ihm zufolge sieht der realistischste Aktionsplan zur Erhaltung des Transits durch die Ukraine wie folgt aus:
– Die Verträge von Gazprom sollen vorsehen, dass die Punkte zur Übergabe von Erdgas, das über die Ukraine nach Europa gelangt, an die russisch-ukrainische Grenze verlegt werden, damit europäische Unternehmen bis 2035 selbst den Gastransit durch die Ukraine bestellen.
– Auf der elektronischen Plattform von Gazprom Export sollen zusätzliche Punkte zur Übergabe des Gases an der russisch-ukrainischen Grenze geschaffen werden, damit auch dort europäische Käufer dieses Gases selbst den Gastransit durch die Ukraine bestellen können.
– Russland soll den Zugang zum ukrainischen Gastransportsystem über sein Territorium auch für andere Gasexporteure nach Europa, insbesondere aus Zentralasien, freigeben.
“All das oben Genannte sind keine Launen der Ukraine. Dies ist die praktische Umsetzung europäischer Regeln, jene Einhaltung von ‘Wort und Geist’, von der Deutschland und die USA in ihrer gemeinsamen Erklärung zu Nord Stream 2 sprechen”, schrieb Witrenko. Seiner Meinung nach muss Gazprom einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Gaspipelines gewährleisten, die Russland und Europa verbinden, auch durch die Ukraine. “Ohne dies kann Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, weil bei der Zertifizierung des Betreibers unter anderem das ‘Solidaritätsprinzip’ berücksichtigt werden muss. Wenn Russland nicht nach europäischen Regeln spielen will, dann darf Nord Stream 2 niemals in Betrieb gehen”, betonte Witrenko.
Wie die Ukraine gegen COVID-19 kämpft
Die Situation mit dem Coronavirus in der Ukraine beginnt sich zu verschlimmern, da die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle allmählich steigt. Am 29. August wurden 749 Fälle von COVID-19 in der Ukraine registriert. 291 Patienten wurden als genesen gemeldet und 18 sind nach Komplikationen gestorben. 583 Personen wurden mit Verdacht oder bestätigter Diagnose in Krankenhäuser eingeliefert.
Neuer Lockdown. Das Gesundheitsministerium prognostiziert, dass im November möglicherweise ein weiterer Lockdown in der Ukraine verhängt werden könnte. Auch die Kiewer Wirtschaftshochschule geht davon aus, dass sich schon im September die Lage in den meisten Regionen verschlechtern könnte.
Impfung. Insgesamt haben bislang 5.308.725 Menschen in der Ukraine die erste Impfdosis erhalten. Vollständig mit zwei Dosen sind 3.622.915 Menschen geimpft. Laut dem Nationalen Coronavirus-Impfplan sollten in der Ukraine ab Mai monatlich mindestens 5,6 Millionen Impfungen durchgeführt werden. Dafür hätten täglich etwa 182.000 Menschen geimpft werden müssen. Bis Ende des Sommers wollte das Gesundheitsministerium zehn Millionen Impfungen durchführen. Trotz zunehmender Impf-Anstrengungen wird diese Marke aber wohl erst im Herbst erreicht.