Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine
Am 29. November haben die russischen Besatzungstruppen im Donbass viermal die am 27. Juli 2020 in Kraft getretene Vereinbarung zur Waffenruhe ignoriert. Das berichtet der Pressedienst der ukrainischen Vereinten Kräfte auf Facebook. Zu ähnlichen Verstößen war es auch an anderen Wochentagen gekommen. Am 25. November tötete ein Scharfschütze der prorussischen Terroristen in einem Vorort von Awdijiwka einen ukrainischen Soldaten, der im Krankenhaus verstarb.
Verhandlungen der Minsker Trilateralen Kontaktgruppe. Die Ukraine hat ihre Verhandlungsmethode innerhalb der Trilateralen Kontaktgruppe verstärkt. Das berichtete Serhij Harmasch, Teilnehmer der politischen Untergruppe der Kontaktgruppe, im TV-Sender Ukraine 24″. Unter anderem gab er Einzelheiten des letzten Treffens der Verhandlungsgruppe am 25. November bekannt. “Niemand gab der Ukraine ein Ultimatum, sondern die Ukraine hat begonnen, mit Russland hart zu reden”, sagte er.
Bei der letzten Sitzung der Trilateralen Kontaktgruppe zum Donbass hätten sich die russischen Vertreter beim Gespräch in ihrem Ton vergriffen. Das sagte Oleksij Arestowytsch, Sprecher der ukrainischen Delegation bei der Trilateralen Kontaktgruppe im TV-Sender “Apostrophe”. Seiner Meinung nach wollen die Russen die Minsker Vereinbarungen und das Normandie-Format vollständig ausschalten. Alles habe damit begonnen, dass Leonid Krawtschuk, ehemaliger ukrainischer Präsident, der die ukrainische Delegation in der Trilateralen Kontaktgruppe aus Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bei den Gesprächen in Minsk zur Regelung des Konflikts im Osten der Ukraine vertritt, heftig protestiert habe, nachdem ein ukrainischer Soldat durch eine von einem russischen Scharfschützen abgefeuerte Kugel getötet worden war. Krawtschuk habe ein Eingreifen der OSZE-Sonderbeobachtermission in die Untersuchungen gefordert, und von der russischen Seite ebenfalls Ermittlungen und eine Bestrafung der Verantwortlichen für die Ermordung des ukrainischen Soldaten verlangt. Arestowytsch sagte, die Russen hätten die Ukraine aufgefordert, schriftlich zu bestätigen, dass sie von den Minsker Vereinbarungen zurücktritt. Dann habe es geheißen, ob die Ukraine zu einer Eskalation mit all ihren Konsequenzen bereit sei.
Der Holodomor als Völkermord: Was denken die Ukrainer?
Jedes Jahr, am vierten Samstag im November, gedenkt die Ukraine an die Millionen Opfer der Hungersnöte, zu denen des im 20. Jahrhundert in der Ukraine gekommen war. Die größte davon war 1932-1933, die in der Ukraine als Holodomor bezeichnet wird. Damals sind mindestens 3,9 Millionen Menschen verhungert. Die Zahl der Opfer in der gesamten UdSSR wird auf etwa sieben Millionen geschätzt. Den meisten Historikern zufolge wurde die Hungersnot von 1932-1933 durch die von den kommunistischen Behörden verfolgte erzwungene und repressive Politik der Getreide-Beschaffung ausgelöst.
Fast 20 Länder haben den Holodomor in der Ukraine von 1932-1933 als Völkermord an der ukrainischen Nation anerkannt. Aber diese Frage wird unter Historikern und Politikern immer noch stark diskutiert, und eine Reihe von Ländern, darunter Russland, bestreiten, dass es sich damals um Genozid gehandelt habe.
Streit um Opferzahlen. Das ukrainische Institut für Demographie und Sozialforschung hat eine Methode entwickelt, um die Verluste der Ukraine aufgrund des Holodomor von 1932-1933 auf der Grundlage statistischer Daten und moderner Methoden der demografischen statistischen Analyse einzuschätzen. Die Wissenschaftler haben zunächst die jährliche Bevölkerungsentwicklung der Ukraine zwischen 1926 und 1939 rekonstruiert. Basierend auf diesen Schätzungen geht das Institut davon aus, dass dem Holodomor 3,9 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Diese Zahl gilt als am besten wissenschaftlich belegt.
Was denken die Ukrainer? Laut einer Umfrage der soziologischen Gruppe “Rating” sind 82% der befragten Ukrainer überzeugt, dass der Holodomor von 1932-1933 ein Genozid am ukrainischen Volk war. 11% der Befragten sind gegenteiliger Meinung und 7% sind unentschlossen.
Ein Blick in die Regionen: 95% der Einwohner der westlichen Regionen, 87% der zentralen Regionen, 72% der südlichen Regionen und 61% der östlichen Regionen teilen die Überzeugung, dass der Holodomor ein Völkermord war. Dieser Meinung sind eher Menschen auf dem Lande als Stadtbewohner.
73% der Befragten gaben an, am Holodomor-Gedenktag eine Kerze anzuzünden, 20% tun dies nicht. Der Gedenktag wurde 1998 vom damaligen Präsidenten Leonid Kutschma eingeführt. Seitdem stellen Menschen als Zeichen des Gedenkens an diesem Tag eine brenndende Kerze in ihre Fenster. Meinungsumfragen zufolge kommen jedes Jahr immer mehr Ukrainer zur Überzeugung, dass der Holodomor ein Völkermord war.
Was denken Historiker und Politiker? Sie sind sich nicht einig darüber, ob der Holodomor als Völkermord im rechtlichen Sinne des Wortes angesehen werden kann, so wie es in der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes verankert ist. Jedoch sagte seinerzeit im Jahr 1953 der “Vater der Völkermordkonvention”, Raphael Lemkin, der den Genozid-Begriff prägte, über den Holodomor: “Dies ist nicht einfach ein Fall von Massenmord. Es geht um Völkermord, um Vernichtung, nicht nur von Individuen, sondern von einer Kultur und einer Nation.” Aus seiner Sicht war der Holodomor ein Beispiel für Völkermord.
Der Holodomor ist als Genozid an den Ukrainern von 16 Ländern anerkannt: Australien, Georgien, Ecuador, Estland, Kanada, Kolumbien, Lettland, Litauen, Mexiko, Paraguay, Peru, Polen, USA, Ungarn, Portugal und vom Vatikan. Acht weitere Länder verurteilen den Holodomor als Akt der Ausrottung oder erinnern an die Millionen Opfer: Andorra, Argentinien, Brasilien, Spanien, Italien, die Slowakei, die Tschechische Republik und Chile.
Russland räumte im Jahr 2008 ein, dass die Ursache der Hungersnot die erzwungene Kollektivierung war, aber viele Regionen der UdSSR seien ebenfalls betroffen gewesen. “Diese Tragödie hat und kann keine international anerkannten Anzeichen von Völkermord haben und sollte nicht Gegenstand heutiger politischer Spekulationen sein”, erklärte damals die russische Staatsduma.
Das Wort “Völkermord” kommt in UN-, UNESCO- und PACE-Dokumenten zum Holodomor nicht vor. In einer Entschließung des Europäischen Parlaments von 2008 wurde der Holodomor als “schreckliches Verbrechen gegen das ukrainische Volk und die Menschlichkeit” bezeichnet. Das Dokument enthält aber einen Verweis auf die Völkermordkonvention der Vereinten Nationen.
Studie: Historische Narrativa über die Ukraine in Europa
Am 26. November haben im Ukraine Crisis Media Center das Ukrainian Institute und One Philosophy die Ergebnisse einer Studie über europäische Medien vorgestellt, in der es um die Darstellung wichtiger historischer Ereignisse geht, die sich auf die Rolle der Ukraine in globalen Prozessen auswirken. Die Studie wurde im Auftrag des Ukrainian Institute und von One Philosophy vom Forschungszentrum Corestone für den Zeitraum 2018-2019 durchgeführt. In 44 ausgewählten wichtigen Publikationen in Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Polen, der Ukraine und Russland analysierte ein Team 7392 Artikel zu Themen wie dem Holodomor, dem Zweiten Weltkrieg, der Katastrophe von Tschernobyl, zu den demokratischen Prozessen im postsowjetischen Raum, der ukrainischen Avantgarde und anderen Themen. Die Studie liegt in englischer Sprache vor und hat den Titel: “Differences in the interpretation of historical events become the basis for Ukraine’s more effective public diplomacy“
Kultur: Ukrainische Doku bei IDFA-Festival ausgezeichnet
Der Dokumentarfilm “This Rain Will Never Stop” der ukrainischen Regisseurin Alina Gorlova hat beim International Documentary Film Festival (IDFA) in Amsterdam den “Award for Best First Appearance” gewonnen. Der Protagonist des Films, der 20-jährige Andriy Suleiman, wurde in Syrien geboren. Sein Vater ist Kurde und seine Mutter Ukrainerin. Die Familie flüchtet vor dem Krieg in Syrien in die Ostukraine, wo ebenfalls bald ein Krieg beginnen sollte. Die Bilder in schwarzweiß versetzen die Zuschauer in die Ukraine, wo Andriy für das Rote Kreuz arbeitet, nach Deutschland und in den Irak, wo er die Brüder seines Vaters besucht, und schließlich nach Syrien, wo er seinen Vater auf seinem letzten Weg begleitet. Der Film (Trailer) ist eine ukrainisch-lettisch-katarische Koproduktion. Eine Rezension zu dem Film ist auf “Variety” in englischer Sprache nachzulesen.
Wie die Ukraine gegen COVID-19 kämpft
In der Ukraine sind am 29. November binnen 24 Stunden 9946 neue Coronavirus-Infektionen registriert worden. 5771 Personen wurden als genesen gemeldet und 114 sind verstorben. Die Zahlen vom Wochenende fallen meist niedriger aus. Während der gesamten Pandemie wurden in der Ukraine bisher 732.625 Fälle von COVID-19 registriert. Davon gelten 345.149 Menschen als genesen und 12.327 sind verstorben.
Coronavirus in der Armee. Mit dem Stand vom 29. November sind 2975 Angehörige und Soldaten der Streitkräfte der Ukraine am Coronavirus erkrankt. Die Streitkräfte der Ukraine verzeichneten 213 neue Fälle binnen eines Tages.
Lockdown rückt näher. Die Diskussionen über einen möglichen landesweiten Lockdown nehmen in letzter Zeit zu. Der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei “Diener des Volkes”, David Arachamija, schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass für einen bestimmten Zeitraum strenge Quarantäne-Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus verhängt werden, auf 90%. Er sagte, die Regierung bereite einen “intelligenten Lockdown” vor.