Kiew, 22. April 2015 – Die Wahrung demokratischer Werte, die Verteidigung der Meinungsfreiheit, die Schaffung einer nationalen Identität und eine Wiederbelebung des Nationalandenkens, sind sichere Maßnahmen gegen die Verbreitung von Propaganda über den Informationsraum. Zu diesem Schluss kamen Experten während der Podiumsdiskussion „Vereintes Nationalandenken und Sicherheit des Informationsraums“ im Ukrainischen Crisis Media Center.
Nach Aussagen des lettischen Kulturministers Dace Melbarde erfährt Lettland eine verstärkte Radikalisierung der russischen Propaganda. Es ist eine dringende Aufgabe, die demokratischen Werte und die Meinungsfreiheit zu verteidigen, sowie die Gesellschaft vor der wachsenden Propaganda und Desinformation zu schützen. Dem kleinen Land fällt es schwer, dieser Propaganda Widerstand zu leisten, weshalb eine Lösung auf europäischem Niveau gefunden werden muss. Dazu wurde eine Expertengruppe in der EU gegründet, die Ideen zur kommunikativen Zusammenarbeit der EU-Länder vorschlagen soll. Lettland arbeitet auch an der Lösungssuche auf nationalem Niveau. Vor kurzem wurde ein nationales Dokument für Informationen und die Arbeit von Medien entwickelt, das drei Richtungen enthält: Pluralismus und Vielfalt der Medien in Lettland, Qualität des Journalismus und Ausbildung der Journalisten, sowie die Vermittlung von Medienkompetenz. Im Rahmen der neuen Politik wurde das erste Programm für Sicherheitsmaßnahmen im Informationsraum entwickelt, sowie zur Sicherstellung von qualitativem Journalismus.
„Seit 2009 steigt die Anzahl russischer Medien im lettischen Informationsraum, die immer populärer werden. Heute erreichen sie fast die Hälfte des Publikums. In den vergangenen zwei Jahren nahm auch der Umfang an Nachrichten über Lettland in russischen Medien zu. Aber wenn man deren Inhalt analysiert, sind nur 2 Prozent positiv und 8 Prozent neutral, während der Rest negativ ist“, erklärte Dace Melbarde. In Lettland gibt es zwei Publikumsgruppen – lettisch- und russischsprachige. Über 80 Prozent der russischsprachigen Bevölkerung sieht vorrangig russisches Fernsehen. Dies ist eine Sicherheitsgefahr für die Gesellschaft. Gerade deshalb legt die lettische Regierung ihre Aufmerksamkeit auf die Medienpolitik und verstärkt das Monitoring des Informationsraums.
„Es ist wichtig, alternative Nachrichtenquellen zu finden, die demokratischen Werten entsprechen und um die Konkurrenz in den lokalen Medien zu verstärken. Wir arbeiten mit der Gesellschaft, um ein nationales Narrativ zu schaffen und zu fördern. Das Bildungsministerium konzentriert sich dabei auf den Bildungsstand von Journalisten und der Gesellschaft“, ergänzte der lettische Kulturminister.
Igor Lichowoj, stellvertretender Kulturminister der Ukraine, merkte an, dass gerade ein unverzerrtes Nationalandenken die Ukraine aus der derzeitigen humanitären Krise führen könnte. Das Kulturministerium plant in nächster Zeit, die entsprechenden Institutionen zu reformieren, wie Museen und Naturschutzgebiete. Vor kurzem wurde das Institut für Nationalandenken wieder in Stand gesetzt und der Werchowna Rada wurde eine Reihe von Gesetzen in Bezug auf eine neue Entwicklungsstrategie für die ukrainische Kultur vorgeschlagen.
Laut Angaben von Jan Tombinski, Botschafter und Chef der EU-Vertretung in der Ukraine, muss man die Geschichte nicht neu schreiben, sondern ein Narrativ schaffen, das zu der früheren ukrainischen Gesellschaft passt. „Es wird immer Versuche geben, die Geschichte und bestimmte Ereignisse zu verzerren. Wir können dies nur durch Bildung und Öffentlichkeitsarbeit mit der Geschichte verhindern“, erklärte Tombinski. Die Erfahrung von Lettland ist wichtig, da dieses europäische Land bereits die Suche nach Quellen ihrer nationalen Identität durchführte. Nach Meinung des lettischen Kulturministers, muss man sich an die tragischen Seiten der Geschichte erinnern, aber dabei ist es wichtig, über die Nation und das Kulturerbe aus Sicht der Errungenschaften zu sprechen.
Wladimir Wjatrowitsch, Direktor des ukrainischen Instituts für das Nationalandenken, ist davon überzeugt, dass es ohne post-totalitäre Transformationen nicht möglich ist, einen Staat aufzubauen. Totalitäre Regime zerstörten die Zivilgesellschaft und das Nationalandenken. Die Schaffung eines demokratischen Staats nach europäischem Vorbild braucht eine Wiedergeburt der Zivilgesellschaft, was in der Ukraine zur Zeit geschieht. Aber es ist genauso wichtig, dass das Nationalandenken wieder hergestellt wird.
Ein Schritt in Richtung Überwindung der totalitären Vergangenheit ist der Beschluss einer gesetzlichen Basis. Vor zwei Wochen übernahm die Ukraine Gesetze zur Dekommunisierung, die verhindern soll, dass sowjetische Mythen wieder aufleben. Endlich wurde auch das Gesetz über die Öffnung der KGB-Archive beschlossen, sowie das Gesetz über die Verurteilung der nationalistischen und kommunistischen Regime und dem Verbot ihrer Propagandasymbole. „Wenn die Ukraine versucht, der russischen Propaganda mit ihrer eigenen entgegenzuwirken, werden wir uns nach meiner Meinung in einen autoritären Staat wandeln, da Propaganda nur dort funktioniert, wo die Meinungsfreiheit vollständig kontrolliert wird, wie derzeit in Russland. In der Ukraine, die Teil der EU sein will, müssen wir uns an demokratische Werte halten“, sagte Wjatrowitsch. Nach seinen Angaben soll sich die Arbeit auf eine Gegendarstellung der Mythen richten, sowie auf Aufklärung der Bevölkerung und Zugang zu Informationen. Es ist auch wichtig, die Menschen zu lehren, kritisch zu denken, denn das bedeutet, sie gegen Propaganda und Fakes immuner zu machen. Die russische Propaganda wird nur funktionieren, solange die Gesellschaft nach sowjetischen Standards lebt und alles glaubt, was sie im Fernsehen sieht.