In der Ukraine soll Waffenbesitz laut der europäischen Herangehensweise geregelt werden – Untersuchung

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Kiew, 17. November 2015 – Der Waffenmarkt soll sich in der Ukraine nach dem europäischen Modell entwickeln. Diesen Standpunkt vertraten Experten des ukrainischen Instituts für Extremismusforschung während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center.

„Die Gesetzgebung für Waffenbesitz von Zivilisten ist in den meisten EU-Staaten so geregelt, woran sich die Ukraine orientieren soll (Anm. UCMC: erschwerter Zugang für die meisten Bürger). Und unsere Herangehensweise sollte wesentlich der der Europäischen Union entsprechen, aber auf keinen Fall der Gesetzgebung in den USA“, erklärte Oleg Sarubynskij, Direktor des ukrainischen Instituts für Extremismusforschung (UIEF).

Das UIEF führte innerhalb von fünf Monaten (von Juni bis Oktober 2015) die komplexe Untersuchung „Waffenbesitz: Mythen und Realität“ durch, deren Ergebnisse die Experten während der Pressekonferenz präsentierten. Die Vertreter des Instituts merkten an, dass diese Untersuchung erstmals in der Geschichte der unabhängigen Ukraine durchgeführt wurde.

Die Experten kamen durch die Untersuchung zu dem Schluss, dass es in der Ukraine keine klare gesetzliche Regelung gibt, wie normale Bürger an Waffen kommen. Aber die Erfahrung auf der Welt zeigt, dass dieses Instrument ein ineffektives Präventionsmittel ist, um das Kriminalitätsniveau zu reduzieren.

Bogdan Petrenko, Experte des UIEF, merkte an, dass es 2014 gegenüber 2013 eine unerfreuliche Tendenz gab: die Anzahl der Verbrechen unter Anwendung von Schusswaffen stieg in der Ukraine um über das 1,5-fache und lag bei über 3.000 Verbrechen. Der Experte wies darauf hin, dass es im öffentlichen Raum keine ausreichenden Informationen darüber gibt, wie viel Waffen sich in der Ukraine im Umlauf befinden. Nach seiner Meinung stimmt die offizielle Statistik nicht mit den Daten überein, die Beamte veröffentlichen. Außerdem ist das Schicksal von Waffen, die sich in den Räumen von Rechtsschutzorganen befanden, unbekannt, und welche während der Ereignisse von 2014 entnommen wurden.

Unter den Faktoren, die gegen einen Waffenbesitz von Bürgern sprechen, nannten die Wissenschaftler das hohe Niveau von Alkoholismus und Korruption.

„Eine Hürde zum Waffenzugang ist ein medizinisches Attest. Aber die Situation ist heute so, dass es sich nicht nur Reiche, sondern auch der Mittelstand einfach leisten können, sich ein solches medizinisches Attest zu kaufen. Und wenn man berücksichtigt, dass sich die Ukraine auf dem sechsten Platz beim Alkoholkonsum befindet, plus die Anzahl der Verbrechen, die unter Alkoholeinfluss begangen wurden, die die Anzahl der Verbrechen aus eigennützigen Motiven um das sechsfache übertreffen, entsteht folgende Frage: wer übernimmt die Verantwortung für die Bescheinigung, die einer Person erlaubt, eine Waffe selbst unter Alkoholeinfluss zu tragen und anzuwenden? Offenbar niemand“, stellte Bogdan Petrenko fest.

Der Experte ist davon überzeugt, dass der Zugang zu Schusswaffen zu negativen Folgen für normale Bürger führt, da sich Verbrecher direkt auf sie umorientieren könnten.

„Pistolen mit Gummigeschossen kosten drei Durchschnittsgehälter. Diese Ausgabe kann sich nur die feinere Gesellschaftsschicht erlauben. Deshalb wird sich ein Teil der Verbrecher auf Leute orientieren, die keine solche Waffe haben. Und das schlimmste daran ist, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf jene richten, die sicher keine Waffen haben – Kinder“, erklärte Bogdan Petrenko.

Ruslan Starowojtenko, Experte beim UIEF, untersuchte die Erfahrung anderer Länder zur Frage des Waffenbesitzes. Er merkte an, dass es bis heute keine Beispiele auf der Welt gibt, wo ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der im Umlauf befindlichen Waffen und dem Kriminalitätsniveau besteht. Außerdem wird in den Ländern, wo es heute viele Anhänger für einen relativ freien Waffenbesitz gibt, eine Verschärfung der Waffengesetzgebung beobachtet, wodurch weniger Bürger Schusswaffen besitzen.

„In Australien gab es zum Beispiel einen relativ freien Zugang zu Waffen. Aber nachdem es zehn aufsehenerregende Morde mit Schusswaffen gab, wurde dort die Erlaubnis zum Waffenbesitz stark eingeschränkt und das Tragen von Waffen faktisch verboten. Das war vor 10 Jahren und seither gab es keine aufsehenerregenden Morde mehr. Allgemein wird die australische Reform als Vorbild für dieses Thema genutzt“, berichtete Ruslan Starowojtenko.

Oleg Sarubynskij ist davon überzeugt, dass die Idee eines freien Waffenzugangs für Bürger ausschließlich von Lobbyisten kommt.

„Die Einführung eines faktischen freien Zugangs zu Schusswaffen hat außer einem politischen, auch einen unausgesprochenen gesellschaftlichen Sinn. Deshalb, weil der freie Waffenbesitz Produktion, Import, Vertrieb, große Netze für kostenpflichtige Schießstände, Trainings, Aufbewahrung, Genehmigungen durch Rechtsschutzorgane und medizinische Institutionen bedeutet. Nach unserer Einschätzung ist die Rede von mehreren Milliarden Dollar. Deshalb gibt es den Lobbyismus zur Einführung eines freien Waffenzugangs in der Ukraine offensichtlich nicht nur aus politischen, sondern auch aus wirtschaftlichem Interesse“, sagte der Direktor des UIEF.

Als Ergebnis der Untersuchung entwickelten die Experten eine Empfehlung für das Innenministerium, sowie den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat und die Parlamentsabgeordneten, die sich mit dieser Frage beschäftigen. In nächster Zeit ist geplant, eine Reihe von Diskussionen zur Erörterung der Untersuchungsergebnisse durchzuführen.