Neuer ukrainischer Spielfilm über Tschernobyl in Produktion

Der ukrainische Regisseur Myroslaw Slaboschpyzkyj arbeitet an einem neuen Film über Tschernobyl, wo es vor über 30 Jahren im vierten Block des Atomkraftwerks zu einer verheerenden nuklearen Katastrophe kam. Er habe den Film “Luxemburg“ genannt, weil bei den Sicherheitsanweisungen beim Eintreffen in der Sperrzone erklärt werde, dass das Gebiet mit der Fläche Luxemburgs vergleichbar sei, sagte der Regisseur gegenüber Hromadkse Radio. International bekannt wurde Slaboschpyzkyj mit seinem ersten Film “The Tribe” (Originaltitel: Plemja). Das im Jahr 2014 erschienene Jugenddrama erzählt die Geschichte eines gehörlosen Jugendlichen, der in einem Internat für Gehörlose eine Welt allgegenwärtiger Brutalität und Anarchie erlebt. Der Film ist in Gebärdensprache, es gibt keine gesprochenen Dialoge und keine erklärenden Untertitel. Noch im selben Jahr erhielt der Film drei Auszeichnungen beim Festival in Cannes. Das Ukraine Crisis Media Center veröffentlicht eine gekürzte Übersetzung eines Interviews mit Slaboschpyzkyj für die Zeitung “Den” (Der Tag), in dem er über seinen neuen Film berichtet, der von ausländischen Geldgebern, aber auch vom ukrainischen Staat mit umgerechnet rund 340.000 Euro gefördert wird.

Den: Wie ist die Lage in der Sperrzone um das ehemalige AKW Tschernobyl?

Myroslaw Slaboschpyzkyj: Ziemlich gespannt. Es gibt das Atomkraftwerk und die Sperrzone. Die Menschen, die im AKW Tschernobyl arbeiten, kommen mit dem Zug aus der Stadt Slawutytsch und fahren zum Schlafen nach Hause. Und Menschen, die in der Zone 20 Kilometer vom AKW entfernt arbeiten, kommen aus Iwankiw oder Kiew. Sie bewegen sich durch die Zone und arbeiten in einem größeren Gebiet mit Ausnahme des Kraftwerks. Seit der Liquidierung der Havarie stehen sich diese beiden Gruppen gegenüber, mit unterschiedlichem Erfolg. Das AKW will alle Finanzmittel für sich haben, die Zone verfolgt eigene Interessen. Es besteht eine Art Klassen-Feindschaft. Aber die gewaltige Schutzhülle, die nun über die Reste des AKWs geschoben wurde, macht dem Personal in Tschernobyl unabhängig vom Standort gewisse Angst. Sie befürchten, dass sie alle entlassen werden, dass es für sie kein Geld mehr geben wird. Man hört, dass viele Betriebe und Einrichtungen aus der Sperrzone ausgelagert werden sollen. Andererseits muss auch die Schutzhülle betreut werden. Aber in den letzten Jahren ist Personal abgebaut worden.

Was ist für Sie die Katastrophe von Tschernobyl jetzt über 30 Jahre später aus historischer Sicht?

Das war eine große Explosion für den Beginn unserer Unabhängigkeit – wie ein Urknall, mit dem das Universum entstand. Danach kam es zum Zusammenbruch der Sowjetunion und zu Revolutionen. Aber die Loslösung der Ukraine vom sowjetischen Raum begann genau dann. Denn gerade an jenen Tagen fiel das Sowjetsystem in sich zusammen. Das konnte man daran sehen, wie sich die Staatsmacht verhielt und auch an den Ansprüchen Kiews gegenüber Moskau, wo man die Wahrheit verschweigen wollte. Aber die Welt erfuhr von der Ukraine, sei es auch durch diese Ereignisse. Dies ist ein wichtiger Bezugspunkt. Auch die Belarussen wurden sehr in Mitleidenschaft gezogen, aber irgendwie wurde aus all dem eine ukrainische Geschichte.

Wer hat den größeren Beitrag zur Liquidierung der Havarie geleistet?

Sowohl in Russland als auch in Belarus gab es Tschernobyl-Liquidatoren. Ehrlich gesagt haben die Russen viel zur Liquidierung beigetragen, da es auf dem Gebiet der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik Nuklearbetriebe gab, zum Beispiel “Majak 2”, wo waffenfähiges Plutonium hergestellt wurde. Es gab auch das Kurtschatow-Institut, dessen Mitarbeiter herangezogen wurden, weil sie schon Erfahrungen mit solchen Unfällen hatten. In Russland waren schon ähnliche Unfälle passiert, aber in kleinerem Ausmaß.

In welcher Phase befindet sich Ihr Film “Luxemburg”?

Wir befinden uns ehrlich gesagt noch in der Produktionsphase. Seit langem habe ich Verbindungen zur Sperrzone. Ich habe dort gearbeitet. Die Leute werden regelrecht süchtig nach ihr, auch mir ist das passiert. Nun möchte ich über sie einen endgültigen Film drehen und mit dieser sozusagen Gestalt abschließen. Ich möchte etwas produzieren, was noch niemand gemacht hat.

Aber über die Sperrzone ist doch schon so viel gedreht worden.

Aber gleichzeitig hat sie noch niemand so richtig auf der Leinwand gesehen, weil sich niemand in sie wirklich so vertieft hat. Dies bedeutet nicht, dass es im Film “Luxemburg” irgendwelche sensationellen Enthüllungen geben wird. Ich würde sagen, dass im Gegensatz zu investigativen Beiträgen von Journalisten, die über den Unfall und die Zone ständig veröffentlicht werden, mein Film in gewisser Weise all dies sogar in einem hellen Licht darstellt. Wir versuchen, Tschernobyl von einer Position aus zu betrachten, wie es bisher noch niemand gemacht hat.

Reicht das Geld für die Produktion?

Das Tschernobyl-Projekt unterstützen eine Reihe von Ländern, darunter Frankreich, Deutschland, Norwegen und die Niederlande. Cannes war im Mai 2014. Als ich Ende des Jahres das Projekt beim Internationalen Filmfestival “CineMArt” in Rotterdam vorstellte, hatten wir schon eine gewisse Unterstützung. Anfang 2015 erhielt das Projekt einen Preis für das Drehbuch beim amerikanischen  “Sundance Film Festival”. Man konnte den Film wachsen sehen, noch vor Beginn der Dreharbeiten.

Bücher, Filme und vieles mehr machen Länder nicht nur zu einem Ort auf der Landkarte, sondern zu einer Art Phänomen, das die Empathie von Intellektuellen auf sich zieht, also von Menschen, die auf die eine oder andere Weise über Medien die Agenda für ihre Regierungen prägen. Zum Krieg ist es auch gekommen, weil die Ukraine sich nicht um ihre Kultur gekümmert hat. Die Haltung der westlichen Intellektuellen war: Das Land von Dostojewski, Tolstoi, Diagilew und des Bolschoi-Theaters hat irgendein Territorium überfallen. Ich war in Frankreich und habe das gesehen. Erst kürzlich habe ich einem Amerikaner erläutert, dass Tschernobyl nicht in Russland liegt. Er war sehr überrascht.

In der heutigen säkularisierten Gesellschaft ist Kultur in gewissem Sinne ein weltlicher Religionsersatz. Wenn ein Land keinen kulturellen Beitrag zur europäischen Noosphäre leistet, dann kann man auch keine emotionale Reaktion erwarten. Die Russen habe ihre Rechnung sehr richtig gemacht. Sie stecken viel Geld in die Verbreitung ihrer Kunst in Europa. Daher muss der Export von Kultur für uns eine Frage der nationalen Sicherheit sein.

Die Bilder wurden vom Projekt The Ukrainians dargestellt

Photographin: Switlana Lewtschenko für The Ukrainians ©