Wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen diskutieren die Ukrainer über die Programme der Kandidaten. Jeder von ihnen will es besser wissen, wie alle Probleme des Landes zu lösen sind, darunter die seit fünf Jahren dauernde Aggression Russlands gegen die Ukraine, aber auch die Korruption im Lande selbst, die nach Enthüllungen von Journalisten über räuberische Machenschaften im Verteidigungsbereich wieder im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht.
Es ist natürlich verständlich, dass den am 31. März bevorstehenden Präsidentschaftswahlen viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Doch vom Wahlergebnis wird bei weitem nicht alles in der Ukraine abhängen. Schon jetzt gibt es konkrete positive Veränderungen im Leben der Menschen, meist dank der Dezentralisierung.
Mit der Reform, die 2014/2015 begann, wurde ein erheblicher Teil der Befugnisse, Ressourcen und Verantwortlichkeiten von den zentralen Exekutivorganen auf die lokalen Selbstverwaltungen übertragen. Die Bestimmungen der Dezentralisierung basieren auf der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und weltweit geltenden gesellschaftlichen Standards in diesem Bereich. So wurden beispielsweise zwischen 2015 und 2018 in der Ukraine 878 Gemeinde-Verbünde geschaffen, in denen rund neun Millionen Menschen leben. Und die Anzahl der Gemeinden, die sich zusammenschließen, wächst weiter.
Dank dieser Veränderungen gibt es auch eine Dezentralisierung im Bereich der Finanzen. Die lokalen Haushalte in der Ukraine sind in den letzten Jahren um 165,4 Milliarden Hrywnja gewachsen: von 68,6 Milliarden im Jahr 2014 auf 234 Milliarden im Jahr 2018. Die finanziellen Ressourcen und die neuen Verantwortlichkeiten sorgen dafür, dass die meisten Bedürfnisse der ukrainischen Bürger in den Bereichen Bildung, Medizin und Infrastruktur vor Ort gelöst werden. All dies hängt heute in einem viel geringeren Maße als noch vor wenigen Jahren davon ab, wer Präsident des Landes ist.
Ein Gefühl für Verantwortung
Im vergangenen Jahr hatte das Uchoose-Team des Ukraine Crisis Media Center (UCMC) ein Online-Spiel entwickelt, bei dem jeder Spieler in die Rolle des Staatspräsidenten, eines Abgeordneten oder Bürgermeisters schlüpfen kann. Ziel des Spiels ist, gegen Populismus vorzugehen. Das Spiel wurde sehr beliebt und nach dem positiven Feedback kam die Idee auf, ein weiteres Spiel mit der Bezeichnung “Meine Kommune” zu entwickeln, in dem die User einen Gemeindevorsteher spielen können. Das ist eine neu geschaffene Position in der Struktur der lokalen Verwaltung.
Mehr dazu: “Du wählst” – Das Projekt “Uchoose” gegen Populismus
Ende Februar 2019 ging das neue Spiel an den Start, bei dem der User als virtueller Vorsteher eines neuen Gemeinde-Verbundes im Laufe seiner Amtszeit für die Kommune verantwortlich ist. Er entscheidet über ihre weitere Entwicklung. Der Spieler macht sich mit den Problemen der Kommune vertraut und trifft Entscheidungen in Bezug auf Sicherheit, regionale Zusammenarbeit, Rechtmäßigkeit und Budget. Dabei kommen auf den Spieler Akteure zu, die ihn mit süßen Versprechungen verführen oder rationale Lösungen anbieten. Dabei kann sich der virtuelle Gemeindevorsteher entweder auf sie einlassen oder sie ablehnen.
Wenn auch nur einer der Indikatoren (Budget, Rechtmäßigkeit, regionale Zusammenarbeit oder Sicherheits) auf Null absinkt, ist das Spiel vorbei. Dann hat der Spieler verloren. Wenn es ihm aber gelingt, bis zum Ende seiner Amtszeit durchzuhalten, dann wird ihm die Anzahl seiner Punkte angezeigt. So sieht der Spieler, ob er erfolgreich war.
Die Zielgruppe des Spiels sind natürlich vor allem junge Leute. “Ziel dieses Spiels ist es, junge Menschen für die Dezentralisierungsreform zu gewinnen, damit sie sie verstehen”, sagte Astrid Kohl, Leiterin der Abteilung Kommunikation, Dialog und Networking von “U-LEAD with Europe” am 28. Februar bei der Vorstellung des Spiels in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw. Es ist ihr zufolge sehr modern und lustig. “Wir müssen mit jungen Menschen kommunizieren und versuchen, dies auf unterschiedliche Weise zu tun. Das Ziel unserer Unterstützung bei der Dezentralisierung besteht darin, das Bewusstsein für die Reform zu schärfen, und das Spiel ist einer der Wege dazu”, so Kohl.
Das Spiel vermittelt dem User auch rechtliche Aspekte: Wofür ist der Gemeindevorsteher verantwortlich? Welche Befugnisse beeinflussen welche Indikatoren? Welche Fragen sind von strategischer Bedeutung? Vor allem macht das Spiel “Meine Kommune” dem Spieler klar, dass man mit Korruption und Machtmissbrauch weder das Spiel gewinnen noch eine Kommune effektiv führen kann.
“Das Spiel macht deutlich, welche Folgen Entscheidungen haben. Jede Entscheidung des Spielers hat Konsequenzen, daher ist es äußerst wichtig, kritisch nachzudenken. In der Rolle eines Gemeindevorstehers sieht der Spieler, dass bei einer effektiven Arbeit viele Indikatoren und Interessen verschiedener Zielgruppen berücksichtigt werden müssen. Und das ist nicht einfach”, sagte bei der Vorstellung des Spiels Olesja Draschkaba vom UChoose-Projekt des UCMC.
In den ersten zwei Wochen nach dem Start des Spiels haben es schon über 30.000 User ausprobiert. Unter ihnen sind viele junge Menschen, an die sich das Projekt auch richtet.