Was ändert sich mit dem neuen Sprachengesetz in der Ukraine?

Am 25. April 2019 hat das ukrainische Parlament ein neues “Sprachengesetz” verabschiedet. 278 Abgeordnete stimmten dafür, 38 dagegen und sieben enthielten sich. Der “Oppositionsblock” nahm an der Abstimmung nicht teil. Das Gesetz stärkt die Position der ukrainischen Sprache als Staatssprache, daher bezeichnen es Abgeordnete und Beamte, die es unterstützt haben, aber auch viele Bürger als “historisch”. Die Opposition im Parlament wirft der Mehrheit vor, mit dem Gesetz “das Land zu spalten”.

Chronologie der Ereignisse

1991-2012.Der Status des Ukrainischen als Staatssprache wird durch die Verfassung garantiert. Die Einzelheiten der Anwendung der Sprache in verschiedenen Lebensbereichen werden in der Ukraine jedoch gesetzlich festgelegt. Bis zum Jahr 2012 galt noch das Gesetz “Über die Sprachen in der Ukrainischen Sowjetischen Sozialistischen Republik”.

2012.Im Jahr 2012 wurde das sogenannte “Kiwalow-Kolesnitschenko-Gesetz” angenommen, benannt nach seinen Autoren, die Abgeordnete der “Partei der Regionen” waren. Das Gesetz erlaubte eine offizielle Mehrsprachigkeit in Regionen, wo der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung über zehn Prozent beträgt. Eine Reihe von Regional- und Gemeinderäten verliehen daraufhin dem Russischen den Status einer Regionalsprache. Einen entsprechenden Status erhielten auch die Sprachen Ungarisch, Moldauisch und Rumänisch in den westlichen Regionen der Ukraine. Experten und Politikern zufolge schränkte das Gesetz aber den Gebrauch der ukrainischen Sprache sogar im Vergleich zum sowjetischen Gesetz ein und trug zur weiteren Russifizierung des Landes bei. Die Verabschiedung des Gesetzes hatte in der Ukraine Massenproteste ausgelöst.

Hintergrund: Wie geht es weiter mit dem Sprachengesetz in der Ukraine?

2018.Im Februar 2018 hob das Verfassungsgericht der Ukraine das “Kiwalow-Kolesnitschenko-Gesetz” auf. Von da an hatte die Ukraine kein Gesetz, das die Sprachenpolitik regelt. Im Oktober billigte das Parlament den Entwurf eines neuen Gesetzes, der noch vom Ausschuss für Kultur überarbeitet wurde. Es wurden rund 2000 Änderungen eingebracht.

Hintergrund: Ukrainisch vs. Russisch: Welche Sprache muss geschützt werden?

2019.Im April 2019 wurde das Gesetz vom Parlament schließlich angenommen und an Präsident Petro Poroschenko weitergeleitet. Er hat bereits zugesichert, das Gesetz zu unterzeichnen. Poroschenko und der Parlamentsvorsitzende Andrij Parubij hatten wiederholt erklärt, dass die Verabschiedung des Sprachengesetzes noch vor der Beendigung ihrer Amtszeiten für sie von prinzipieller Bedeutung sei.

Wo soll die ukrainische Sprache vorherrschen?

Die ukrainische Sprache soll dem Gesetz zufolge im öffentlichen Sektor und in den Organen der lokalen Selbstverwaltung, in gesellschaftlichen Einrichtungen und anderen Organisationen, in Bildung und Wissenschaft, im Gesundheitswesen, im Dienstleistungssektor, im Energiebereich und in der Industrie, in Kinos und Theatern, in den Medien sowie in der Armee und in den Sicherheitskräften vorherrschen.

Printmedien in der Ukraine müssen in der Staatssprache erscheinen. Sie können jedoch auch in anderen Sprachen herausgegeben werden, sofern gleichzeitig zur fremdsprachigen Auflage auch eine Auflage in der Staatssprache gedruckt wird.

Ausnahmen von der Regel sind Printmedien, die ausschließlich auf Krimtatarisch oder anderen Sprachen autochthoner Völker der Ukraine, in englischer Sprache oder in einer anderen Amtssprache der Europäischen Union herausgegeben werden, unabhängig davon, ob sie Texte in der Staatssprache enthalten.

Überall, wo Printmedien angeboten werden, muss der Anteil der Printmedien in der Staatssprache mindestens 50 Prozent betragen.

Wie steht es um andere Sprachen?

Andere Sprachen können frei genutzt werden: in der privaten Kommunikation, bei religiösen Riten, beim Studium von Fremdsprachen, bei wissenschaftlichen Publikationen (in Sprachen des Europarates), bei Bezeichnungen und bildlichen Darstellungen von Warenzeichen (die in der Ukraine registriert sind), im kulturellen Leben ethnischer Minderheiten (deren Bedürfnisse schützt ein gesondertes Gesetz), bei der Arbeit der Grenzschutzbeamten, Strafverfolgungsbehörden, Ärzten usw., die sich mit Menschen beschäftigen, die kein Ukrainisch beherrschen.

Wer muss fließend Ukrainisch sprechen?

Fließend Ukrainisch sprechen müssen: Beamte und Kandidaten für Staatsämter (insbesondere der Präsident, der Premierminister, der Parlamentsvorsitzende und seine Stellvertreter, Minister, Leiter aller zentralen Behörden und Organe der Autonomen Republik Krim), Personen, die die Staatsbürgerschaft erwerben möchten, Rechtsanwälte und Notare, Patronats-Dienste und Erzieher, Ärzte, das Management von staatlichen und kommunalen Unternehmen.

Dem Gesetz zufolge müssen in der Ukraine alle Beamten sowie Arbeitnehmer, die das Land als Staat vertreten (Ärzte, Lehrer, Militärs, Sportler, Künstler) Ukrainisch sprechen. Die Beherrschung der Staatssprache ist eine der Hauptbedingungen für die Besetzung von Führungspositionen im Staat. Öffentliche Reden dürfen nur auf Ukrainisch gehalten werden. Die Hälfte aller gedruckten Publikationen muss in der Staatssprache erscheinen. In Geschäften und Restaurants müssen die Mitarbeiter auf Ukrainisch antworten, falls sie auf Ukrainisch angesprochen werden.

Wie soll das in der Praxis funktionieren?

Zum Beispiel sollten die ersten Worte eines Kellners, die er von sich aus an einen Gast richtet, auf Ukrainisch sein. Der Gast kann die Sprache verwenden, die er möchte. “Das Gesetz besagt: Der Dienstleister, sein erster Satz, zu der Person, die seine Dienste in Anspruch nimmt, sollte auf Ukrainisch sein”, sagte dem ukrainischen Sender “Hromadske” Iryna Podoljak von der Partei “Selbsthilfe”, die das Gesetz mit initiiert hat. Podoljak wies darauf hin, sollten sowohl der Gast als auch der Kellner miteinander Russisch sprechen wollen, so sei dies natürlich erlaubt.

Welche Strafen sind vorgesehen?

Bürger der Ukraine sind verpflichtet, über Grundkenntnisse der ukrainischen Sprache zu verfügen. Falls sie kein Ukrainisch beherrschen, drohen ihnen dafür aber keine Strafen. Eine andere Sache ist, dass ohne eine Ukrainisch-Prüfung und ohne Grundkenntnisse der ukrainischen Sprache kein Ausländer oder Staatenloser Bürger der Ukraine werden kann.

Künftige Geldbußen.Für Verstöße in den Bereichen Bildung, Kultur, elektronische Informationssysteme und Postdienste wird eine Geldstrafe von 3400 bis 5100 Hrywnja erhoben. Für das Fehlen ukrainischer Inhalte im Rundfunk gibt es eine Geldstrafe von 8500 bis 10200 Hrywnja und in Printmedien von 6800 bis 8500 Hrywnja. Bei Verstößen gegen die Regeln zur Platzierung der ukrainischen Sprache in der Werbung wird eine Geldstrafe von 5100 bis 6800 Hrywnja erhoben. Wenn ein Beamter mit einem Bürger nicht Ukrainisch spricht, muss er eine Geldstrafe von bis zu 6800 Hrywnja entrichten.

Künftige Haftstrafen. Auf die öffentliche Beleidigung der ukrainischen Sprache stehen bis zu drei Jahre Gefängnis. Versuche, in der Ukraine eine offizielle Mehrsprachigkeit einzuführen, werden dem neuen Gesetz nach als Handlungen eingestuft, die eine sprachliche Spaltung, interethnische Konflikte und Feindseligkeiten provozieren. Dafür kann man bis zu zehn Jahre Haft kommen.

Vorerst noch keine Strafen.Die oben genannten Strafen sind für die kommenden drei Jahre ausgesetzt. Stattdessen sollen in der Ukraine kostenlose Sprachkurse angeboten werden. In drei Jahren kann man Ukrainisch erlernen, meinen die Autoren des Gesetzes.

Wie hat der neu gewählte Präsident Selenskyj reagiert?

Das Team von Wolodymyr Selenskyj, der nach Angaben der Zentralen Wahlkommission die Präsidentschaftswahlen am 21. April in der Ukraine gewonnen hat, hat im Zusammenhang mit dem neuen Sprachengesetz auf Facebook eine Erklärung verbreitet. Darin heißt es:

“Die ukrainische Sprache ist die einzige Staatssprache in der Ukraine. So war es, so ist es und so wird es bleiben. In dieser Frage gibt es keine Kompromisse. Der Staat muss sich um die Entwicklung der ukrainischen Sprache und die Erweiterung der Bereiche, in denen sie Anwendung findet, kümmern. Das steht außer Zweifel und damit ist auch die gesamte Gesellschaft einverstanden.”

Gleichzeitig betont der neugewählte Präsident, dass es für ihn zum jetzigen Zeitpunkt noch schwierig sei, die Auswirkungen des neuen Sprachengesetzes abzuschätzen. In der Erklärung heißt es, Selenskyj wolle nach seiner Amtseinführung das Gesetz “gründlich prüfen”.