Debatte um Alternative zum Minsker Protokoll, Streit um TV-Satire und weitere Themen

Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine

Vergangene Woche hat der Feind im Kampfgebiet im Osten der Ukraine die Stellungen der ukrainischen Vereinten Kräfte mit 120- und 82-mm-Mörsern, mit Waffen von Schützenpanzern, Granatwerfern verschiedener Systeme, großen Maschinengewehren, Flugabwehrsystemen und Kleinwaffen beschossen, was durch die Minsker Vereinbarungen verboten ist. Am 17. Oktober schossen die von Russland unterstützten Rebellen mit 122-mm-Artillerie in der Nähe von Wodjane am Asowschen Meer. Auch diese Waffen sind durch die Minsker Vereinbarungen verboten.

Unter feindlichen Beschuss gerieten wiederholt auch Stellungen der Vereinten Kräfte in der Nähe von Wodjane, Lebedynske, Nowotrojizke, Awdijiwka, Marjinka und Pawlopil in der Region Donezk. Auch ukrainische Stellungen in der Nähe von Solote, Krymske, Chutir Wilnyj und Orichowe in der Region Luhansk gerieten unter Beschuss.

Im Laufe der Woche wurde Solote-4, das sich in einer Zone der Entflechtung befindet, wiederholt von den von Russland unterstützten Rebellen beschossen. Am 17. Oktober stellte die Sonderbeobachtermission der OSZE auch Verstöße gegen die Waffenruhe in einer weiteren Zone der Entflechtung fest, und zwar im Bezirk Petriwskyj, der nicht unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung steht.

Am 17. Oktober ist ein Konvoi, den Russland als humanitär bezeichnet, illegal im besetzten Gebiet im Osten der Ukraine eingetroffen. Dies ist der 87. Konvoi seit Kriegsbeginn. Die Ukraine hat keine Möglichkeit, Zoll- und Grenzkontrollen durchzuführen. In der Vergangenheit hatte Russland solche Konvois immer wieder zur logistischen Unterstützung seiner Streitkräfte im Donbass genutzt.


Gibt es eine Alternative zum Minsker Protokoll und zur Steinmeier-Formel?

Am 21. Oktober fand im Ukraine Crisis Media Center (UCMC) eine Diskussionsrunde über die Steinmeier-Formel, das Minsker Protokoll und weitere Möglichkeiten zur Beilegung des Donbass-Konflikts statt. An ihr beteiligten sich Vertreter der Regierungspartei “Diener des Volkes”, der oppositionellen Parteien “Europäische Solidarität” und “Stimme” sowie Vertreter von Think Tanks und der “Bewegung gegen Kapitulation”. Auch ein ehemaliger Vertreter der Ukraine in der Minsker Trilateralen Gruppe war dabei. Erarbeitet wurden Vorschläge der Zivilgesellschaft und der Opposition an die Regierung des Landes, was die Regelung der Lage im Osten der Ukraine angeht.

Minsker Protokoll: Sicherheit hat Vorrang. Ein wichtiges Thema war die gefährliche Debatte über die Umsetzung des politischen Teils des Minsker Protokolls abgelöst von den Sicherheitsfragen, die einen Waffenstillstand und Abzug russischer Truppen aus den besetzten Gebieten einschließen. “Früher wurden über ein Paket mit einem wichtigen Sicherheitsteil gesprochen. Es bereitet mir Sorge, dass wir nur eine Diskussion über den politischen Block haben. Es wird der Ukraine die Verantwortung für die Umsetzung auferlegt, und ausgeklammert, was Russland zu tun hat. Es ist unmöglich, sich mit Putin zu einigen. Daher darf man Russland nicht zuspielen. Man muss vom Schutz der ukrainischen Interessen ausgehen”, sagte Iryna Heraschtschenko, Ko-Vorsitzende der Fraktion der “Europäischen Solidarität”.

Die wahren Gründe für die russische Aggression. Inna Sowsun, Abgeordnete der Partei “Stimme” sagte, es sei wichtig, die wahren Gründe für die russische Aggression gegen die Ukraine nicht aus den Augen zu verlieren. “Um zu verstehen, wie dieser Konflikt gelöst werden kann, muss uns klar sein, warum Putin die Ukraine angegriffen hat. Der einzige Grund für die russische Aggression ist die Demokratisierung der Ukraine. Davor hat Russland am meisten Angst. Putins Ziel ist die Nichtexistenz des ukrainischen Staates”, so Sowsun. Dementsprechend müsse die Ukraine ein internationales Unterstützungsnetzwerk aufbauen und ständig deutlich machen, dass Russland der Feind der Demokratie auf der ganzen Welt sei. Verhandlungen mit Russland ohne einen klaren strategischen Plan sei eine schwache und riskante Position.

Alja Schandra, Chefredakteurin des englischsprachigen Teils der Internetzeitung “EuromaidanPress”, meint auch, wichtig sei, die Motive des Gegners zu verstehen. “Auf der Suche nach einer Lösung des Konflikts im Donbass müssen wir begreifen, was unser Gegner will. Dies ist die Föderalisierung der Ukraine und ein ständiger Sonderstatus für den Donbass”, sagte sie. Diese Pläne des Kremls gehen Schandra zufolge aus der Korrespondenz hochrangiger Beamter auf “Surkov Leaks” hervor.

Kein schneller Frieden. Roman Bessmertnyj, ehemaliger Vertreter der Ukraine in der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk, betonte, man müsse erkennen, dass der Krieg nicht schnell enden werde. “Auf der Tagesordnung stehen nicht nur neue internationale Konflikte, sondern möglicherweise ein globaler Konflikt mit dem Einsatz von Hightech-Waffen. Wir müssen eine Verteidigungsindustrie aufbauen und bereit sein, uns zu verteidigen und Teil der globalen Sicherheit zu werden. Wir dürfen die Verteidigungsausgaben nicht senken, sondern müssen sie erhöhen”, betonte er und fügte hinzu, dass es wichtig sei, einenBlock gegen Russland zu bilden und die Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft als strategisches Ziel auszurichten.

Jurij Hudymenko von der Partei “Demokratische Axt” undMitorganisator der “Bewegung gegen Kapitulation”glaubt auch: “Man muss der Öffentlichkeit klar machen, dass die Ukraine noch einen langen Kampf gegen Russland vor sich hat. Faktisch dauert dieser Krieg schon einige Jahrhunderte. Der Kreml will die Ukraine wieder unter Kontrolle bringen und wir wollen nicht ins Russische Reich”, sagte er.

Verschärfte Sanktionen und kein “Minsker Abkommen”. Ein wichtiges Druckmittel gegen die Russische Föderation sind die Sanktionen. Oleksandr Danyljuk, Leiter des “Zentrums für Reformen in der Verteidigung”, sagte: “Die Hauptaufgabe besteht darin, darüber nachzudenken, was man tun kann, damit die Sanktionen gegen Russland nicht aufgehoben, sondern verstärkt werden. Wir müssen selbst zu einem Vorbild für die Welt werden und uns keine Geschäfte mit Russland erlauben. Wir müssen deutlich machen, dass Russland seine internationalen Verpflichtungen aus dem Budapester Memorandum verletzt hat. Daher müssen wir nach neuen Verhandlungs-Formaten suchen.”

Danyljuk betonte auch, dass das Minsker Protokoll oft fälschlicherweise als “Minsker Abkommen” bezeichnet werde, was den Eindruck erwecke, es handele sich um ein wichtiges internationales Abkommen. In Wirklichkeit ist dem Experten zufolge das Minsker Protokoll nur ein taktisches Dokument, das abgeschlossen wurde, um die russische Aggression im September 2014 (Minsk-1) und Februar 2015 (Minsk-2) zu stoppen. Selbst die Umsetzung aller Punkte durch die Ukraine würde Russlands Vorgehen nicht stoppen und Moskau auch nicht zum Frieden zwingen.

“Das Minsker Format hat sich erschöpft. Leider versuchen Russland sowie Frankreich und Deutschland heute, aus diesem Format auszusteigen, um die Sanktionen aufzuheben. Heute können wir nicht darüber reden, wie wir die Russen zwingen können, den Donbass zu verlassen. Sie haben dort drei Armeekorps und sie werden nirgendwo hingehen, selbst wenn sich die Ukraine zu einer Föderalisierung bereit erklären würde”, sagte Danyljuk.

Nach Ansicht des Experten sollte die Ukraine sich nicht auf das Minsker Protokoll berufen, sondern viel stärker hervorheben, dass Russland das Budapester Memorandum nicht einhält, mit dem der Ukraine im Tausch gegen nukleare Abrüstung territoriale Integrität garantiert wurde, aber auch versichert wurde, dass gegen sie kein wirtschaftlicher Druck ausgeübt wird. Und genau an die Verletzung dieser internationalen Verträge durch Russland sollten die Sanktionen gebunden sein, und das nicht nur seitens der USA und Großbritanniens, sondern auch seitens anderer europäischer Länder.

“Früher wurde uns gesagt, es bestehe die Wahl zwischen den Minsker Vereinbarungen und einem ‘Krieg bis zum letzten Soldaten’. Jetzt heißt es entweder die ‘Steinmeier-Formel’ oder ein ‘Zaun um den Donbass’. Aber wir haben noch nicht alle Möglichkeiten im Rahmen des Budapester Memorandums ausgeschöpft”, meint Andrij Sentschenko, Leiter der NGO “Power of Law”.


Streit nach Satire im ukrainischen TV

Am 19. Oktober haben der ukrainische Komiker Jewhen Koschowyj und Sängerinnen des Staatschors Veryovka in einer Unterhaltungsshow des Senders “1+1” ein satirisches Lied gesungen, in dem es um den Brand des Hauses von Walerija Hontarewa geht. Das Haus der ehemaligen Chefin der ukrainischen Nationalbank bei Kiew war im September dieses Jahres durch Brandstiftung abgebrannt. Die Satire, produziert von der Medienfirma “Studio Quartal 95”, die einst vom jetzigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegründet wurde, hat eine Diskussion in der ukrainischen Öffentlichkeit ausgelöst.

In den sozialen Medien, auf YouTube und Facebook, gibt fast 20.000 kritische Kommentare zum Videoclip des “Studios Quartal 95”. Den ehemaligen Kollegen von Präsident Selenskyj wird vorgeworfen, die Grenze des “schwarzen Humor” überschritten zu haben und sich über den Brand lustig zu machen. Auch gegen den Staatschor ist der Vorwurf zu hören, sich in politische Auseinandersetzungen hineinziehen zu lassen.

Vorgeschichte. Die Abendshow des “Studios Quartal 95” läuft beim landesweiten TV-Sender “1+1”, der dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehört. Walerija Hontarewa wirft ihm vor, sie unter Druck zu setzen, weil sie als Chefin der Nationalbank im Jahr 2016 Kolomojskyjs “PrivatBank” verstaatlicht hatte. Der Oligarch versucht, die Bank zurückzugewinnen oder eine Entschädigung zu erhalten.

Hontarewa lebt und arbeitet inzwischen in Großbritannien. Am 27. August ordnete ein Kiewer Bezirksgericht dem Staatlichen Ermittlungsbüro an, Hontarewa wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs durch Vorstandsmitglieder der Nationalbank zu vernehmen. Am 30. August wurde Hontarewa in der Londoner Innenstadt von einem Auto angefahren und verletzt. Sie behauptet, Kolomojskyj bedrohe sie. Sie sei für ihn seine “Hauptfeindin”. In der Nacht zum 5. September wurde in Kiew ein Auto angezündet, das auf Hontarewas Schwiegertochter zugelassen ist, die ebenfalls mit Vornamen Walerija heißt. Am 12. September führte das Staatliche Ermittlungsbüro eine Durchsuchung in der Kiewer Wohnung der ehemaligen Nationalbank-Chefin durch, wo sie als wohnhaft gemeldet ist. Am 17. September brannte ihr Haus in der Nähe von Kiew nieder.

Reaktionen. Walerija Hontarewa bezeichnete das satirische Lied als “Schande”. Ihor Kolomojskyj hingegen lobte die Nummer und versicherte, er habe damit nichts zu tun. Kulturminister Wolodymyr Borodjanskyj schrieb, er schäme sich für den Veryovka-Staatschor.

Die Abgeordnete der Oppositionspartei “Europäische Solidarität”, Iryna Heraschtschenko, forderte unterdessen, der Chor solle künftig nicht mehr, wie bisher traditionell üblich, im Parlament bei der Eröffnung der Legislaturperiode die Staatshymne singen.

Der Leiter des Chores, Senowij Korinez, erklärte, er habe allein beschlossen, mit dem “Studio Quartal 95” das satirische Lied über den Band des Hauses von Walerija Hontarewa aufzuführen. Er betonte, er bedauere dies inzwischen. “Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, nicht das Team. Es wollte nicht wirklich an dieser Show teilnehmen”, betonte Korinez und fügte hinzu, er entschuldige sich bei Hontarewa.