Gastransit-Vertrag: Ukraine und Russland kurz vor einer Einigung

Am 20. Dezember 2019 haben die Ukraine und Russland vereinbart, den Transit von russischem Gas nach Europa über das Pipelinenetz der Ukraine fortzusetzen. Ein entsprechendes neues Abkommen soll bis Ende des Jahres geschlossen werden. Nach Gesprächen in Berlin und Minsk wurde ein Protokoll unterzeichnet, in dem die Absicht der Parteien bekräftigt wird, alle strittigen Fragen bis zum 29. Dezember zu lösen, um den Transit ab dem 1. Januar 2020 fortsetzen zu können.

Die Positionen der Seiten waren vor den Verhandlungen bekannt.Die Ukraine vertritt die Position, wonach ein Abkommen auf der Grundlage der europäischen Gesetzgebung für zehn Jahre unterzeichnet wird und die Transitmenge mindestens 60 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr beträgt. Weitere 30 Milliarden sollen eine zusätzliche Option sein, falls die Nachfrage auf dem EU-Markt steigt.

Der russische Energiekonzern Gazprom bestand darauf, dass eine Voraussetzung für den Abschluss eines neuen Vertrags ein Verzicht beider Seiten auf gegenseitige Ansprüche vor internationalen Schiedsgerichten sowie die Beendigung aller laufenden Gerichtsverfahren ist. Andernfalls wollte Gazprom überhaupt nicht über einen Vertrag sprechen.

Man traf sich letztlich in der Mitte.

Die wichtigsten Punkte der Einigung:

  • Ein Gastransit-Vertrag wird für einen Zeitraum von fünf Jahren geschlossen, mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere zehn Jahre zu denselben Bedingungen.
  • Die Menge des Transits beläuft sich im Jahr 2020 auf 65 Milliarden Kubikmeter Erdgas und zwischen 2021 und 2024 auf 40 Milliarden Kubikmeter zu wettbewerbsfähigen Tarifen. (Der Gastransit-Vertrag, der 2019 endet, sah vor, dass Gazprom über die Ukraine garantiert 60 Milliarden Kubikmeter pro Jahr nach Europa liefert, mit der Möglichkeit, die Menge auf bis zu 90 Milliarden zu erhöhen.)
  • Die russische Seite zahlt an den ukrainischen Energiekonzern Naftogaz gemäß dem Urteil des Stockholmer Schiedsgerichts bis Ende 2019 rund drei Milliarden US-Dollar (in Geld).
  • Naftogaz verzichtet auf weitere Ansprüche und zieht eine Klage gegen Gazprom in Höhe von 12,25 Milliarden Dollar zurück. Außerdem verzichtet die Ukraine auf eine Geldstrafe in Höhe von 7,4 Milliarden Dollar, die vom ukrainischen Antimonopol-Komitee gegen das russische Unternehmen verhängt wurde.
  • Verhandlungen über die Rückgabe von Vermögenswerten von Naftogaz auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim wurden nicht geführt. Diese Frage soll vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag behandelt werden.
  • Wenn alle Punkte der Vereinbarung erfüllt werden, einschließlich des Verzichts auf die Zahlung von drei Milliarden Dollar an Naftogaz, kann Gazprom möglicherweise auch die direkten Gaslieferungen in die Ukraine wieder aufnehmen, die im November 2015 eingestellt wurden.

Was hat die Ukraine erreicht?

Einnahmen zum Staatshaushalt. Der Gastransit bringt der Ukraine jährlich rund drei Milliarden Dollar ein. Dieser Betrag wird beispielsweise ausreichen, um alle für 2020 geplanten Straßenbauarbeiten durchzuführen. Darüber hinaus erhält die Ukraine diese Einnahmen in Währung, was zur Stärkung des Wechselkurses der ukrainischen Hrywnja beitragen wird. Ohne den Gastransit könnte der Wechselkurs also stark steigen.

Gaspreis und Arbeitsplätze. Ferner wird der Gaspreis in der Ukraine in der Heizsaison nicht steigen und die Arbeitsplätze der Beschäftigten, die die ukrainischen Pipelines bedienen, bleiben erhalten.

Was hat die Ukraine möglicherweise nicht erreicht?

Besser verklagen oder verhandeln? Die Hauptfrage ist, ob die Fortsetzung des Gastransits der Ukraine mehr Vorteile bringen wird als die Fortsetzung der Klagen gegen Gazprom. Noch ist unbekannt, wie hoch der Tarif für den Gastransit durch die Ukraine sein wird und wie hoch dementsprechend die Einnahmen für die Ukraine ausfallen werden. Wird die Ukraine drei Milliarden Dollar pro Jahr bekommen? Oder werden die Einnahmen geringer oder höher sein? Wird es von größerem Vorteil sein, den Transit von Erdgas fortzusetzen und auf die vom Stockholmer Schiedsgericht der Ukraine zugesprochenen drei Milliarden Dollar, auf Klagen in Höhe von 12,25 Milliarden Dollar und auf die 7,4 Milliarden US-Dollar Geldstrafe des ukrainischen Antimonopol-Komitees (insgesamt 22,65 Milliarden Dollar) zu verzichten?