Überschwemmungen in den Karpaten: Naturkatastrophe in der Ukraine

Die Fluten im Westen der Ukraine sind die stärksten seit Jahren. Tausende Häuser, Ackerland und Straßen stehen unter Wasser und Dutzende Brücken sind zerstört. Hunderte Menschen mussten evakuiert werden. In der am stärksten betroffenen Region Iwano-Frankiwsk sind drei Menschen ums Leben gekommen. Der ukrainische Premier Denys Schmyhal bewertete die Lage in fünf Regionen als kritisch. Was sind die Gründe für die Katastrophe? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:

In der Region Iwano-Frankiwsk sind 4596 Häuser überflutet, 427 Kilometer Straßen beschädigt, 90 Brücken und 125 Kilometer Autobahn zerstört. Außerdem wurde ein Krankenhaus überflutet, in dem Coronavirus-Patienten behandelt werden. Der Katastrophenschutz meldet, dass 320 Menschen aus den Fluten gerettet und 300 evakuiert wurden.Laut Premierminister Denys Schmyhal haben die jetzigen Überschwemmungen ein größeres Ausmaß als die Naturkatastrophe, zu des 2008 ebenfalls im Westen der Ukraine gekommen war. Am 25. Juni stellte die Regierung daher über 700 Millionen Hrywnja (umgerechnet rund 23 Millionen Euro) zur Bewältigung der Katastrophe bereit.

Was sind die Ursachen für die Naturkatastrophe?

Viel Regen. In einigen Teilen der betroffenen Regionen fielen in den letzten zwei Tagen 50 bis 60 Prozent des monatlichen Niederschlags. Wladyslaw Bilyk vom ukrainischen Wetterdienst zufolge fielen bei der Wetterstation in Dolyna vom 22. bis 23. Juni 158 Liter pro Quadratmeter. Der monatliche Durchschnitt liegt dort bei 137 Liter. In Jaremtsche fielen 157 Liter pro Quadratmeter, dort fallen pro Monat im Schnitt 150 Liter. Und in Iwano-Frankiwsk fielen 81 Liter pro Quadratmeter. Dort sind pro Monat 98 Liter üblich. 

Seit Ende Mai regnet es in den Karpaten regelmäßig. Daher waren die Böden bereits ausreichend mit Wasser gesättigt, als am 20. Juni der starke Regen einsetzte. Solche Wetterphänomene sind in den Karpaten aber nicht außergewöhnlich. Es gab sie auch früher. Doch sie müssen nicht unbedingt zu Zerstörungen, wirtschaftlichem Schaden und Todesopfern führen.

Zunehmende Abholzung. Seit Jahren ist in den ukrainischen Karpaten eine Abholzung von Wäldern zu beobachten. Dmytro Karabtschuk, zuständig für Waldschutz beim World Wide Fund for Nature (WWF) in der Ukraine, sagt, bei Berggebieten sei sehr wichtig, ob sie vom Menschen bebaut sind, als Weiden genutzt werden oder bewaldet sind. 

Wissenschaftlern zufolge können Wälder je nach Beschaffenheit fast die Hälfte des Wassers aufnehmen, das in Form von Regen fällt. Denn die Gesamtfläche der Pflanzenblätter in verschiedenen Bodenschichten ist viel größer als die Fläche des Grunds darunter. Dies bedeutet, dass das Wasser, das in diese Schichten gelangt, in viel größeren Mengen verdunstet. Außerdem werden Wassertröpfchen in kleinere Tröpfchen zerlegt und gelangen durch Luftströmungen an andere Orte. Schließlich wird ein Teil des Regenwassers von den Pflanzen aufgenommen und gehalten. Natürlich erreicht Wasser bei viel Niederschlag trotz aller “Bemühungen” des Waldes auch irgendwann den Grund darunter.

Unbemerkte Flut. Das Hauptproblem ist jedoch, dass die Menschen heute nicht richtig auf solche Naturereignisse vorbereitet sind und manchmal die Situation selbst noch erschweren. Beispiel für ein riskantes Verhalten ist der Bau von Häusern in der Nähe von Flüssen und in Auen.

Zudem halten unbefestigte Straßen und unsichere Dämme einer solchen Naturkatastrophe nicht stand. Eigentlich müssten sie an die Besonderheiten einer solchen Region angepasst sein. Die Infrastruktur sollte sich in einem guten und sicheren Zustand befinden. Schwachstellen sollten bei entsprechender Wettervorhersage verstärkt werden.

Reaktion des ukrainischen Präsidenten. Wolodymyr Selenskyj traf am 25. Juni in der Region Iwano-Frankiwsk ein. Wenige Tage nach Beginn der Überschwemmungen hatte Selenskyjs Pressedienst gemeldet, der Präsident werde sich in die von den Überschwemmungen betroffenen Gebiete begeben und mit den Menschen vor Ort sprechen. Außerdem sei ein Treffen geplant, bei dem die Bewältigung der Folgen des Unwetters im Westen der Ukraine besprochen werden soll.

Ukraine bittet EU und NATO um Hilfe. Das ukrainische Außenministerium hat sich unterdessen an Partnerländer und internationale Organisationen mit der Bitte gewandt, bei der Bewältigung der Katastrophe in der Westukraine zu helfen. Dies geht aus einer Mitteilung auf der Webseite des Außenministeriums hervor. “Die Vertretung der Ukraine bei der EU und der NATO hat EU-Institutionen und die Allianz gebeten, den EU-Zivilschutz-Mechanismus zu aktivieren und das Euro-Atlantische Koordinierungszentrums für Katastrophenhilfe der NATO einzubeziehen”, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. Sein Ministerium hofft, dass die Partnerländer die ukrainische Regierung unterstützen werden, das Leben der ukrainischen Bürger sowie wichtige Infrastrukturobjekte zu schützen und die negativen Folgen der Katastrophe für die Wirtschaft des Landes zu verringern.