Wie der Kreml die “Russische Welt” im Ausland propagiert

Im Pressezentrum des Ukraine Crisis Media Center (UCMC) hat eine Veranstaltung zum Thema “Russische Welt” als Quasi-Ideologie des Kremls und die Gefahren für die Zielgesellschaften stattgefunden. Das UCMC initiierte eine Expertendiskussion, um herauszufinden, welche strategischen Ziele der Kreml mit der Propagierung der “Russischen Welt” im Ausland verfolgt und wie sie sich vom Konzept für die Ukraine unterscheiden. Welche Kanäle nutzt die russische Regierung zur Propagierung der “Russischen Welt” im Ausland und auf welche Akteure setzt sie?

Experten zufolge gewinnt das Konzept der “Russischen Welt” weiter an Fahrt. Laut Walerij Tschalyj, Vorstandsvorsitzender des UCMC, versuchte einst die Russische Föderation Soft Power auf verschiedene Weise einzusetzen. Dabei setzte sie bei ihren gesellschaftlichen Initiativen auch auf Ressourcen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Doch das Jahr 2014 und die damaligen Ereignisse in der Ukraine zeigten, dass all diese Instrumente versagten. Daher griff Russland zum letzten Mittel: Gewalt und Waffen.

“Heute verbreiten Nachrichtensender in Russland Informationen, die auf einer gefälschten Grundlage basieren, und die Russen beginnen selbst an sie zu glauben. Lügnerische Narrative werden von der Staatsmacht verbreitet und das ist staatliche Politik. Das bedeutet, dass wir die Bekämpfung von Desinformation als staatliche Politik begreifen sollten”, sagte er.

Nicht nur Desinformation. Nach Ansicht von Mykyta Poturajew, Abgeordneter der regierenden Partei “Diener des Volkes”, geht es bei der “Russischen Welt” nicht nur um Desinformation. Sie sei ein klassisches kulturelles Konstrukt, in dem man alles mögliche erfinden könne, und wenn diese Ideen akzeptiert und geteilt würden, habe derjenige schon gewonnen, der sie erfunden habe. Daher ist es seiner Meinung nach notwendig, den Zugang zu Propaganda im Fernsehen, Radio und auf Streaming-Plattformen so weit wie möglich einzuschränken. Zudem müsse die Eindämmung der russischen Desinformation und Propaganda in der Welt systematisch thematisiert werden.

“Wir haben es mit einem klugen Gegner zu tun, der all seine Fehler reflektiert hat. Wir erleben eine kulturelle Expansion Russlands auf Länder, die es in seinem Einflussbereich sieht. Die Welt begreift aber nicht, dass die ‘Russische Welt’ nicht nur diese Länder bedroht, sondern sich gegen alle Länder mit einer bedingten liberalen Demokratie richtet und alle Prinzipien untergräbt, nach denen sie leben”, sagte Poturajew und fügte hinzu: “In den letzten zwei Jahren hat sich das russische Regime zu einem klassischen faschistischen Regime entwickelt, daher sollte die Einstellung ihm gegenüber in der Welt anders sein und auch das Verhältnis zu einem solchen Regime sollte anders sein.”

Immer noch ein Imperium. Ivanna Klympusch-Zinzadse, Abgeordnete der Partei “Europäische Solidarität”, betonte, Russland habe bis heute seine imperiale Idee nicht aufgegeben und fühle sich ohne die Ukraine unvollständig.

“Zuerst sollten wir im Lande selbst über ein System der nationalen Stabilität nachdenken, das vielschichtige Antworten auf die Bedrohungen bieten sollte, die die ‘Russische Welt’ birgt. Aber heute ist die Zivilgesellschaft auf diese Herausforderungen besser vorbereitet als der Staat selbst. Es ist auch bedauerlich, dass sich die freie Welt der Gefahren durch Informationen zu spät bewusst wird. Die ‘Russische Welt’ hat unterschiedliche Erscheinungsformen in verschiedenen Teilen der Welt, dieses Konzept ist nicht statisch. Während es in der Ukraine eigene Formen annimmt, können es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten andere sein”, so Klympusch-Zinzadse.

Sprache, Religion, Kultur. Solomija Bobrowska, Abgeordnete der Partei “Stimme”, sagte, dass die Definition, was die “Russische Welt” sei, die Russen selbst vorgegeben hätten. Es sei ein System von Werten und Überzeugungen, das von Trägern der russischen Sprache und Kultur verbreitet werde. Sprache, Religion und Kultur seien einige der wichtigsten Elemente der russischen Propaganda.

“Heute ist die Ukraine ein Testgelände für russische hybride Kriegsführung. Gleichzeitig stellen sich viele Fragen, was die Arbeit unserer Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste angeht, die meiner Meinung nach ihre Arbeit nicht richtig machen. Hervorzuheben ist die unzureichende Finanzierung unserer Auslandsvertretungen. Es wäre gut, Ressourcen für Informationskampagnen oder Werbung für die Ukraine bereitzustellen”, fügte sie hinzu.

Notwendigkeit eines alternativen Entwicklungsmodells. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung der russischen Propaganda im Ausland sagte Violeta Moskalu, Gründerin der “Global Ukraine Foundation” und Expertin für öffentliche Verwaltung und internationale Entwicklung, es fehle eine systematische Arbeit mit der ukrainischen Diaspora im Ausland, obwohl sie eine enorme Ressource für die Förderung der Ukraine im Ausland darstelle. Zudem meint sie, um der “Russischen Welt” entgegenzuwirken, wäre es sinnvoll, ein alternatives Wertemodell anzubieten.

“Überall auf der Welt suchen die neuen Generationen nach alternativen Modellen. Wenn uns die ‘Russische Welt’ nicht gefällt, was können wir dann als Ersatz anbieten? Was wäre angenommen eine ‘Kiewer Welt’? Nach Selenskyjs Wahlsieg war unsere Gemeinde im Ausland sehr begeistert, als er sich an die postsowjetischen Länder wandte und sagte, wenn die Ukraine es geschafft habe, eine Demokratie aufzubauen, dann werde dies auch ihnen gelingen. Was wurde in zwei Jahren in Bezug auf die intellektuelle Suche nach dieser Freiheitsidee getan? Es scheint, dass diese Nische immer noch frei ist”, so Moskalu.

“Traditionelle Werte” und die sowjetische Vergangenheit. Serhij Herasymtschuk von der unabhängigen Denkfabrik “Rat für Außenpolitik ‘Ukrainisches Prisma'” meint, die Verbreitung der Idee der “Russischen Welt” passe gut zu den Konzepten, die von Wissenschaftlern und der russischen Regierung selbst schon vor Jahrzehnten geäußert wurden. Wenn man sich das politische Denken und die Geschichte Russlands sorgfältig anschaue, könne man das Vorgehen der russischen Staatsmacht voraussagen.

“Bei der weltweiten Propagierung der ‘Russischen Welt’ stützt sich Russland auf politische Kräfte, die den Begriff ‘traditionelle Werte’ verwenden und mit ihm manipulieren. Es wird auch die sowjetische Vergangenheit verherrlicht. Man muss verstehen, dass die russische Regierung sich auf die Idee stützt, dass dort, wo russisches Interesse besteht, auch eine ‘Russische Welt’ ist. Und dort, wo es keine ‘Russische Welt’ gibt, soll Chaos herrschen, weil auch dies im Interesse Russlands ist”, erläuterte Herasymtschuk.

“Keine Errungenschaften in der Welt ohne Russland”. Viktoria Romanjuk, stellvertretende Chefredakteurin des Projekts “Stop Fake”, skizzierte die Botschaft, mit der die Idee der “Russischen Welt” in Russland selbst und im Ausland propagiert wird. Sie basiert auf der Idee, wenn es Russland nicht gäbe, könnte die Menschheit in keinem Lebensbereich etwas erreichen. In den letzten Jahren wurden entsprechende Botschaften zu Themen rund um die Pandemie, die Impfungen und die Bekämpfung des Coronavirus beobachtet.

“Nach dem Konzept der ‘Russischen Welt’ hat Russland mit allem zu tun, was in der Welt erfolgreich ist. Besonders dieses Jahr hat gezeigt, wie die russische Propaganda jede Krisensituation nutzt, um für sich selbst zu werben. Das war die humanitäre Hilfe aus Russland für Italien und die damit verbundene Botschaft, Europa werde allein nicht zurecht kommen. Das war auch die Propagierung des russischen Impfstoffs als Beweis für einen wissenschaftlichen Durchbruch, gepaart mit Desinformation über andere Hersteller von Impfstoffen auf der ganzen Welt”, unterstrich Romanjuk.

Walerij Tschalyj fasste die Diskussion zusammen und betonte, das UCMC halte es für gut, dass der Schutz der Ukraine vor Bedrohungen im Informationsbereich im ukrainischen Parlament von Abgeordneten verschiedener Parteien inzwischen als eines der wichtigsten Fragen erachtet werde, aber auch von der Regierung, die verschiedene institutionelle Instrumente schafft, und auch von Organisationen, die sich mit dieser Frage im Privatsektor befassen.

“Dem UCMC ist dies wichtig, weil unsere Arbeit während der Besetzung der Ostukraine, der Annexion der Krim und der Verbreitung verschiedener Fakes in diesem Zusammenhang begann. Das UCMC wurde auch gegründet, um diese Fakes zu widerlegen. Dies bleibt eine wichtige Aufgabe unserer Arbeit”, versicherte Tschalyj. Abschließend betonte er, dass die Ukraine inzwischen besser auf die Bekämpfung russischer Desinformation vorbereitet sei. Sie habe Erfahrungen gesammelt, die andere europäische Länder nicht hätten. Daher könnte die Ukraine gut zusammen mit ihren europäischen Partner gegen die russische hybride Aggression vorgehen.