Saakaschwili ist zurück, aber nicht in der Regierung. Was bedeutet das?

Der frühere georgische Präsident Micheil Saakaschwili ist zurück in der ukrainischen Politik. Doch er wird nicht Mitglied der Regierung, wie zuvor angekündigt, sondern bekommt einen Posten im Nationalen Rat für Reformen. Dort wird er Vorsitzender des Exekutivkomitees. Wird Saakaschwili dort effektiv Reformen durchsetzen können? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:

Gerüchte über Saakaschwilis Rückkehr in die ukrainische Politik gab es schon länger. Laut Berichten sollte er Vize-Premierminister für Reformen in der Regierung von Denys Schmyhal werden. Doch nun steht fest: Saakaschwili konnte im Parlament keine 226 Stimmen finden, um für diesen Posten bestätigt zu werden. Saakaschwilis Gespräche mit den Abgeordneten dauerten mehrere Wochen, aber ohne Erfolg.

Nun hat Selenskyj entschieden, Saakaschwili zum Leiter des  Exekutivkomitees des Nationalen Rates für Reformen zu ernennen. Dafür braucht er nicht die Stimmen der Abgeordneten. Es ist ausgerechnet das Gremium, bei dem es im Jahr 2015 vor laufenden Kameras zum aufsehenerregenden Streit zwischen Saakaschwili und dem damaligen wie auch heutigen Innenminister Arsen Awakow gekommen war. Dabei warf Awakow ein volles Glas Wasser auf Saakaschwili. Dieser war von 2015 bis 2016 Gouverneur der Region Odessa. Nach der Wahl von Petro Poroschenko zum Präsidenten im Jahr 2014 erhielt er von ihm die ukrainische Staatsbürgerschaft, die ihm Poroschenko aber 2018 wieder entzog, worauf Saakaschwili das Land verlassen musste. Er konnte erst nach der Wahl von Wolodymyr Selenskyj zurückkehren, der Saakaschwili 2019 die ukrainische Staatsbürgerschaft zurückgab.

Was ist der Nationale Rat für Reformen? Der Rat ist ein beim Präsidenten angesiedeltes beratendes Gremium, das keine besonderen Machtbefugnisse besitzt. Geschaffen wurde es von Präsident Poroschenko. Das Exekutivkomitee organisiert die Arbeit des Rates, dessen Vorsitzender heute Präsident Selenskyj ist.

Saakaschwili selbst sagte im Zusammenhang mit seiner Ernennung, er wolle Selenskyj bei den Reformen so weit wie möglich helfen. “Der Präsident ist sehr entschlossen für radikale Reformen und Veränderungen. Mir gefällt seine Haltung sehr. Die Tatsache meiner Ernennung zeigt, dass er zu außergewöhnlichen Schritten bereit ist, von denen ihm viele Leute abgeraten haben, meist diejenigen, die den Status quo in der Ukraine aufrechterhalten wollen, und dieser Status quo ist ein Sumpf”, sagte Saakaschwili und fügte hinzu: “Die Ukraine muss aus diesem Sumpf gezogen werden. Dies kann nur ein Präsident tun, der niemals ein Dieb war und niemals einer werden wird. Ich bin sicher, dass dies auf Präsident Selenskyj zutrifft. Er hat den Ehrgeiz, in die Geschichte der Ukraine einzugehen, als jemand, der für sein Volk und für jeden Ukrainer etwas getan hat. Ich will dem Präsidenten so viel wie möglich helfen, unter Berücksichtigung meiner Erfahrung, meiner Erfolge und meiner Misserfolge.”

Kein Regierungsamt. Erklärtes Ziel von Saakaschwilis Versuch, ein Regierungsamt zu bekommen, waren liberale Reformen für Unternehmen sowie Verhandlungen mit westlichen Gebern über Hilfen für die Ukraine in Milliardenhöhe. Saakaschwilis zweiter Anlauf in der ukrainischen Politik wird mit Andrij Jermak, dem Leiter des Präsidenten-Büros in Verbindung gebracht. Jermak ist ein alter Bekannter von Saakaschwili. Beide haben am Kiewer Institut für internationale Beziehungen studiert. 

Saakaschwili traf sich in letzter Zeit auch mit Präsident Selenskyj und Premier Denys Schmyhal. Beide nahmen aber nicht an Saakaschwilis Gesprächen mit der Fraktion der regierenden Partei “Diener des Volkes” teil. Der Plan, Saakaschwili für ein Regierungsamt zu ernennen, traf bei der Fraktion auf Zurückhaltung – angesicht der Skandale um den ehemaligen georgischen Präsidenten. Viele Abgeordnete übten Kritik und wollten von ihm ein konkretes Programm sehen. Saakaschwilis Auftreten – was auf Facebook übertragen wurde – war sehr emotional. Die Abgeordneten erklärten die Treffen für sinnlos. Saakaschwili traf sich auch mit den Fraktionen “Stimme”und “Vaterland”, die ihn beide hätten unterstützen können. 

Ende April schien für Saakaschwili ein Amt in der ukrainischen Regierung noch zum Greifen nah, doch in der Partei “Diener des Volkes”, die allein die Mehrheit im Parlament besitzt, war die Unterstützung für ihn zu gering. Schließlich hieß es, Saakaschwili könnte ein Amt außerhalb der Regierung bekommen.

Reaktion von Georgien. Eine ganze Reihe georgischer Vertreter hatten unlängst angedeutet, ein Amt für Saakaschwili könnte die bilateralen Beziehungen verschlechtern. Am 8. Mai erklärte Georgiens Außenminister David Zalkaliani, Tiflis rufe im Zusammenhang mit der Ernennung Saakaschwili zum Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Nationalen Rates für Reformen seinen Botschafter aus Kiew zu Konsultationen zurück. Gleichzeitig versicherte der Minister, dass trotz der Entscheidung der ukrainischen Seite “Georgien keinen Abbruch der diplomatischen Beziehungen oder eine Revision der strategischen Partnerschaft in Betracht zieht”. Saakaschwili wurde in Georgien 2018 in Abwesenheit wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt. Außerdem wird er der Unterschlagung von Haushaltsmitteln beschuldigt. Saakaschwili weist die Vorwürfe zurück.

Auswirkungen auf Donbass-Verhandlungen? Ukrainische Experten weisen unterdessen darauf hin, dass Saakaschwilis Ernennung Selenskyjs Gesprächen zur Regelung des Konflikts um den Donbass schaden könnte. Denn Russland habe eine äußerst negative Haltung was Saakaschwili angehe.

Welche Befugnisse hat der Nationale Rat für Reformen? Seit dem Sieg von Wolodymyr Selenskyj ist das Gremium, aber auch sein Exekutivkomitee, noch kein einziges Mal zusammengetreten. Nun hat Selenskyj die Zusammensetzung des Exekutivkomitees geändert. Es hat jetzt einen Vorsitzenden, Micheil Saakaschwili, und einen Stellvertreter, Oleksandr Olschanskyj. Der Vorsitzende des gesamten Rates ist der Präsident selbst, sein Stellvertreter der Leiter des Präsidenten-Büros, Andrij Jermak.

Noch ist schwer abzusehen, welchen Einfluss Saakaschwili auf seinem neuen Posten als Vorsitzender des Exekutivkomitees haben wird. Es wurde mit zusätzlichen Befugnissen ausgestattet. Unter anderem kann Saakaschwili das Exekutivkomitee und Beschlüsse des Rates gegenüber anderen Gremien beim Präsidenten, staatlichen Organen und denen der lokalen Selbstverwaltung vertreten.

Der Führer der Fraktion “Diener des Volkes”, David Arachamija, sagte wenige Stunden vor Saakaschwilis Ernennung, Saakaschwilis Arbeit im Nationalen Rat für Reformen werde effektiver sein als in der Regierung. “In dem Rat sind alle drei Staatsgewalten vertreten – der Präsident, die Regierung und das Parlament. In einem solchen Dreieck können Reformen real umgesetzt werden. Dies wird Reformen in der Ukraine erleichtern”, betonte Arachamija.