Sanktionen gegen prorussische TV-Kanäle in der Ukraine: Ursachen und Risiken

Заборона каналів Медвудчука

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat einen Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine unterzeichnet, der Sanktionen gegen Taras Kosak, einen Abgeordneten des ukrainischen Parlaments der prorussischen Partei “Oppositions-Plattform – Fürs Leben”, vorsieht. Kosak ist ein enger Verbündeter von Viktor Medwedtschuk und der formelle Eigentümer eines Großteils von dessen Medienimperium, das die in der Ukraine registrierten TV-Sender 112, ZIK und Newsone kontrolliert. Medwedtschuk, ebenfalls Parlamentsabgeordneter, gilt als enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Patenonkel seiner Tochter ist.

Zu den Sanktionen gehört unter anderem ein Verbot zur Nutzung von Frequenzen und von allgemeinen Telekommunikationsdiensten in der Ukraine. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung des entsprechenden Erlasses von Präsident Selenskyj wurden die Sender auch von Internetanbietern und Online-Dienste abgeschaltet. Auf YouTube sind die Sender allerdings weiter zu sehen.

Das Büro von Präsident Selenskyj erklärte, einer der Gründe für den Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates sei eine festgestellte Finanzierung seitens der Russischen Föderation. Jene Sender, aber auch andere wie zum Beispiel “Nasch” und “Inter” sind mit Oligarchen und prorussischen Politikern verbunden. Seit Jahren verbreiten sie Falschinformationen des Kremls in der Ukraine. Experten betrachten sie daher als ernste Gefahr für die Informationssicherheit des Landes.

Die Tatsache, dass russische Fernsehsender inzwischen für nur noch 6% der Ukrainer die wichtigste Nachrichtenquelle darstellen, zeigt, dass die Bedeutung jener in der Ukraine registrierten Sender erheblich zugenommen hat. Und deren Arbeit kann man als relativ erfolgreich bezeichnen, wenn man bedenkt, dass 45% der Ukrainer glauben, dass sich ihr Land unter externer Kontrolle befindet. Dieses Narrativ wird besonders stark von Medwedtschuk und seinen Verbündeten verbreitet. In diesem Zusammenhang kann der Versuch der ukrainischen Regierung, die Auswirkungen destruktiver Informationen einzudämmen, als positive Entwicklung angesehen werden:

  • Da die Sender 112, ZIK und Newsone formal als ukrainisch gelten, genießen sie bei der Bevölkerung größeres Vertrauen. Dies macht die Menschen empfänglicher für deren Rhetorik, die sie praktisch vom Kreml übernehmen. Sie reden konsequent von “Faschismus”, “Russophobie”, “externe Kontrolle” und propagieren das Image der Ukraine als eines nicht vollwertigen Staates. Zudem versuchen sie, Moskaus Verantwortung für die hybride Aggression gegen die Ukraine zu verwischen.
  • Jene Sender können nicht wirklich als Medien bezeichnet werden. Sie halten sich voll und ganz an die Spielregeln des russischen Fernsehens, das völlig von der russischen Führung kontrolliert wird und nur ein Propaganda-Instrument ist. Darüber hinaus werden die Sender 112, ZIK und Newsone als politisches PR-Instrument zugunsten der Partei “Oppositions-Plattform – Fürs Leben” im Wahlkampf eingesetzt, was Moderatoren der Sender auch schon zugegeben haben. Beispielsweise sagte Wjatscheslaw Pichowschek, er setze sich für Wahlerfolge der “Oppositions-Plattform – Fürs Leben” ein.
  • 112, ZIK und Newsone halten sich weder an die Grundsätze der Meinungsfreiheit noch an journalistische Standards. Ihre Berichterstattung ist größtenteils unausgewogen, sie bevorzugen offen Vertreter einer bestimmten politischen Kraft und ihre redaktionelle Politik ist voreingenommen. Ferner vermeiden sie Kritik an der “Oppositions-Plattform – Fürs Leben” und verschweigen Ereignisse in der Ukraine und in Russland, wenn sie den politischen Interessen des Eigentümers der Sender nicht entsprechen.
  • Die genannten Sender dienten bereits auch als Plattform, um Personen zu propagieren, die mit rechtsextremen Bewegungen in Verbindung gebracht werden. Dies dient der Partei “Oppositions-Plattform – Fürs Leben” dazu, eine Bedrohung durch “Faschismus” zu kultivieren. Dies nutzt sie wiederum dazu, die Agenda des Kremls zu propagieren.
  • 112, ZIK und Newsone haben sich ferner in Wahlen eingemischt. Zum Beispiel unterstützten sie vor den Kommunalwahlen 2020 unter anderem offen den prorussischen Kandidaten Andrej Paltschewskyj, der mit russischen Geheimdiensten in Verbindung gebracht wird. Sie waren auch Plattform für Bots, die ihn besonders aktiv unterstützen.
  • Die Sender sind auch ein Medien-Hub, in dem die wichtigsten prorussischen Akteure wie der Blogger Anatolij Scharij zusammenkommen, der in Hassreden systematisch russische Desinformation verbreitet. Dieser Hub erhöht den Einfluss solcher Akteure.
  • Fake-Experten, die nicht über eine entsprechende Ausbildung und Berufserfahrung verfügen, sind ein wichtiges Instrument, mit dem die drei Sender eine bestellte Agenda vorantreiben. Viele dieser politischen PR-Leute, die dem Eigentümer der Sender gegenüber loyal sind, nutzen diese konkreten TV-Kanäle, um die Narrativa des Kremls zu verbreiten.

Prorussische Politiker haben, wie erwartet, bereits negativ auf den Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine reagiert und ihn als Angriff auf die Meinungsfreiheit dargestellt. Wadim Rabinowitsch, Mitglied der “Oppositions-Plattform – Fürs Leben”, hat bereits angekündigt, seine Partei werde ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Selenskyj initiieren. Zudem bezeichnete er die ukrainische Führung erneut als “faschistisch”.

Die meisten Aktivitäten sind auf Telegram zu beobachten – nicht nur auf den offiziellen Kanälen von Anatolij Scharij und Andrij Portnow, dem einstigen Vize-Chef der Präsidialverwaltung unter Wiktor Janukowytsch, sondern auch auf anonymen Kanälen. Sie verbreiten das Narrativ, wonach der Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates ein gefährlicher Präzedenzfall sei, der die Ukraine zu einer Diktatur mache. Auch Russlands Online-Medien und Telegram-Kanäle nehmen eine ähnliche Position ein. Eine Reaktion Russlands und möglicher Druck seitens des Kremls, um seine Schützlinge vor Ort zu unterstützen, dürfte etwas später folgen. 

Offenbar hat die ukrainische Regierung einen günstigen Zeitpunkt gewählt, um den Beschluss des  Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates umzusetzen, da Moskau zurzeit auf interne Proteste, die Verhaftung des Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalny und die Reaktion des Westens auf die Repressionen konzentriert ist.

Gleichzeitig war es für den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat und die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden äußerst wichtig, sich auf die jetzigen Reaktionen vorzubereiten und ausreichend Beweise zu sammeln, insbesondere was die Finanzierung aus Russland angeht, aber auch, was mögliche finanzielle Verbindungen zu illegalen Kohle-Exporten aus den besetzten Gebieten im Donbass betrifft, worin Wiktor Medwedtschuk verdächtigt wird.

Es ist zu hoffen, dass die ukrainischen Behörden den Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates vollständig und transparent werden umsetzen können. Denn Taras Kosak könnte die Fernsehkanäle einfach an einen anderen prorussischen Politiker verkaufen, weil die beschlossenen Sanktionen nur an ihn persönlich gebunden sind. Er könnte auch vor Gericht Berufung gegen den Beschluss einlegen. Angesichts der schwierigen Situation in der ukrainischen Justiz, die häufig Urteile im persönlichen Interesse von Politikern und Oligarchen trifft, wäre es wichtig, hier besonders hinzuschauen.

Doch der Beschluss löst nicht das Problem an der Wurzel. Viktor Medwedtschuk könnte andere Medien schaffen oder erwerben, oder zugleich seinen Einfluss auf andere schon bestehende Sender wie “1+1” erhöhen, an dem seine Frau beteiligt ist. Das Problem der De-Oligarchisierung des Medienmarktes bedarf einer gesonderten und systematischen Lösung.

Wichtig ist auch, dass die ukrainische Regierung ihre Entscheidung klar, schnell und koordiniert kommuniziert und alle erforderlichen Beweise vorlegt, um eine Vertrauenskrise zu vermeiden. Erläuterungsbedarf besteht sowohl seitens des inländischen Publikums als auch bei den internationalen Partnern der Ukraine, die häufig den Kontext komplexer interner Prozesse nicht kennen.