Deutsches Wirtschaftsministerium gibt grünes Licht für Nord Stream 2: So reagiert die Ukraine

Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium kommt in einer an die Bundesnetzagentur übermittelten Analyse der Versorgungssicherheit im Zertifizierungsverfahren Nord Stream 2 zum Ergebnis, dass die Erteilung einer Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet. Wie reagiert Ukraine darauf? Warum sind Befürchtungen begründet, Deutschland und andere EU-Staaten könnten nach einer Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline kritisch von Gaslieferungen durch Nord Stream 2 abhängen?

Nach Angaben des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) ist die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union durch eine Erteilung einer Zertifizierung für Nord Stream 2 nicht gefährdet. “Die Bundesnetzagentur wird jetzt das Zertifizierungsverfahren fortsetzen und die weiteren rechtlich notwendigen regulatorischen Bedingungen prüfen. So ist insbesondere die Unabhängigkeit des Netzbetriebs nicht Gegenstand der Versorgungssicherheitsanalyse des BMWi. Diese Frage wird durch die Bundesnetzagentur im weiteren Verlauf des Zertifizierungsverfahrens geprüft”, heißt es auf der Website des Ministeriums.

Reaktion des ukrainischen Außenministerium. Die Ukraine werde ihre Position zu Nord Stream 2 gegenüber dem deutschen Partner deutlich machen und weiterhin die Anwendung des Dritten Energiepakets für den Betrieb der Pipeline verlangen, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. 

Die  Entscheidung der deutschen Behörde bezeichnete er als bedauerlich. Es liege bereits eine Stellungnahme des ukrainischen Energiekonzern Naftogaz zu diesem Thema vor, also eines direkt an diesem Prozess beteiligten Unternehmen. “Wir werden unsere Position gegenüber dem deutschen Partner deutlich machen, ihn darum bitten und mit ihm daran arbeiten, Entscheidungen zu Nord Stream 2 nicht hastig, schnell, ohne sorgfältige Analyse und Studie zu treffen”, betonte Kuleba am Mittwoch bei einem Online-Briefing.

Der Minister sagte, dass unabhängig von der Eile der deutschen Behörde die Europäische Kommission  in dieses Verfahren einbezogen werden müsse. “Ziel ist die Anwendung des Dritten Energiepakets auf den Betrieb von Nord Stream 2”, so der Außenminister.

Reaktion von Naftogaz. Auch der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, Jurij Witrenko, bedauert auf Facebook, dass das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie der Ansicht ist, dass dass die Erteilung einer Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet, und dass in dieser Frage mit der Ukraine keine entsprechenden Beratungen stattgefunden haben.

Witrenko zufolge hat das Ministerium in seiner Erklärung Länder aufgelistet, denen im Rahmen der Versorgungssicherheitsanalyse eine Konsultationsmöglichkeit eingeräumt wurde. Allerdings sei die Ukraine, eines der wichtigsten Transitländer für Gas in die EU, nicht darunter gewesen. In seiner Erklärung nennt das deutsche Wirtschaftsministerium die EU-Mitgliedsländer Estland, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn.

“Die Zertifizierung von Nord Stream 2 unter den aktuellen Bedingungen – also ohne echte Eigentumstrennung von Gazprom, ohne echten Zugang Dritter zu den Export-Pipelines von Russland in die EU – stellt eine gefährliche Bedrohung für die Sicherheit von Gaslieferungen nach Deutschland und andere EU-Länder dar”, so Witrenko.

Er erinnert auch daran, als Gazprom in den Jahren 2009, 2014 und 2018 gefährliche Situation für die Sicherheit der Gasversorgung geschaffen hatte. “Der Gazprom-Konzern zeigt dies auch jetzt wieder ganz Europa, indem er seine Lieferungen künstlich begrenzt”, so der Vorsitzende von Naftogaz. Ihm zufolge will der russische Präsident Wladimir Putin nur die Inbetriebnahme Nord Stream 2 erreichen und erst dann zusätzliche Mengen an Gas liefern.

Welche Risiken und Lösungen gibt es für Europa? Witrenko warnt zudem davor, dass Putin in der Lage sein wird, den Transit durch die Ukraine zu stoppen, sollte Nord Stream 2 in Betrieb genommen werden. Dann würden Deutschland und andere EU-Staaten kritisch von Gaslieferungen durch Nord Stream 2 abhängig sein. Im Gegensatz zum ukrainischen Gastransportsystem verfüge Nord Stream 2 aber über keine Reservekapazitäten und keine Speicher.

Lana Serkal, Beraterin des ukrainischen Energieministers, hatte zuvor erklärt, es sei nicht ausgeschlossen, dass Europa von Russland erpresst werden könnte und dann einer Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ohne Zertifizierung eines Betreibers zustimmen könnte. Gleichzeitig, so Serkal, schlägt die Ukraine Europa vor, Teil der Lösung zu sein, insbesondere mit dem Angebot eines Rabatts von 50 % auf den Gastransit.

“Die Gaskrise hat die Länder in zwei Kategorien unterteilt. Erstere versuchen, die Situation ausschließlich in ihrem eigenen Interesse auszunutzen, zum Nachteil ihrer Nachbarn. Man muss nicht daran erinnern, wer dies ist. Andere haben bereits beschlossen, zusammenzuarbeiten, um den Brand zu löschen und sich gegenseitig bei der Bewältigung der Krise zu helfen. Die Ukraine ist im Gegensatz zu Russland daran interessiert, dass der Energiesektor des Kontinents transparent und effizient funktioniert. Wir haben die Chance, dies nicht nur mit Worten zu beweisen. Wir können eine gute und positive Lösung anbieten: Sonderkonditionen für die Lieferung zusätzlicher Mengen russischen Gases in die EU für diesen Winter. Dafür gibt es Möglichkeiten, wir können zusätzlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Europa liefern. Faktisch bieten wir an, Europa mit Gas versorgen zu können, ohne dass Nord Stream 2 in Betrieb genommen wird. In erster Linie ist dies verantwortungsvoll. Wir zeigen, welche Leistungsfähigkeit unser Gastransportsystem hat, und dass wir bereit sind, uns für eine Lösung der Gaskrise mit einzubringen”, so Serkal.