Anders Aslund präsentierte sein neues Buch: „Ukraine – was nicht funktionierte und wie man es korrigiert“

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Kiew, 14. September 2015 – Im Ukrainischen Crisis Media Center fand die Präsentation des Buchs von Anders Aslund „Ukraine – was nicht funktionierte und wie man es korrigiert“ statt. Der Experte analysiert darin die Ursachen für die wirtschaftlichen Misserfolge, die bis heute die Gründe für die wirtschaftlichen Probleme sind und schlägt wirtschaftliche und politische Lösungen vor, die dem Land helfen können, eine qualitative Wende bei der Entwicklung zu vollziehen. Er geht darin auch auf die positiven Änderungen ein, die in letzter Zeit durch die Reformen stattfinden. Aslund beobachtet die Situation in der Ukraine bereits seit über 20 Jahren aufmerksam.

„Er ist führender Spezialist für Wirtschaft und Politik in osteuropäischen Ländern, insbesondere für das Baltikum, die Ukraine und Russland“, sagte Ajwaras Abromawitschus, Minister für Wirtschaftsentwicklung und Handel in der Ukraine. „Die Probleme, über die es in diesem Buch geht, werden korrekt beleuchtet. Leider haben wir heute immer noch mit vielen davon zu tun – wir haben die Korruption noch nicht überwunden, die Deregulierung der Wirtschaft und die Privatisierung von korrupten Staatsunternehmen ist ungenügend. Das steht alles auf dem Plan und wir setzen dies jetzt alles nach und nach um.“

„Dieses Buch ist für alle, die verstehen wollen, was in der Ukraine passiert, eine sehr interessante Analyse. Es gibt wahrscheinlich wenige Forscher, die Politik und Wirtschaft zusammen studierten und die die gegenseitigen Abhängigkeiten verstehen, was letztlich zu Erfolg und Misserfolg führt“, erklärte Dmitrij Schimkiw, stellvertretender Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung.

„Als ich das Buch las, freute ich mich am meisten darüber, dass sich Aslund nicht davor fürchtet, mutige Schritte zu empfehlen. Es gibt diesen stehenden Ausdruck „Jetzt ist nicht die richtige Zeit“, was man vergessen muss. Mir scheint, die enorme Rolle solcher Experten wie Aslund besteht genau darin, ehrlich das auszusprechen, an was wir uns gewöhnt haben, aber was dringend und radikal geändert werden muss“, betonte Gleb Wyschlinskij, ausführender Direktor des Zentrums für Wirtschaftsstrategie.

Bei der Buchpräsentation betonte Anders Aslund, dass die Hauptursache, was die Entwicklung der Ukraine bremst, darin besteht, dass nach der Unabhängigkeit nicht radikal und kompromisslos mit der Sowjetvergangenheit gebrochen wurde. Deshalb blieben in der Ukraine ineffektive staatliche Mechanismen und günstige Bedingungen für Korruption. Die Folge daraus war, dass das Staatsbudget ineffektiv genutzt wurde, dass es an günstigen Bedingungen zur Entwicklung der Privatwirtschaft fehlte und kaum Investitionen ins Land kamen. „Laut einer Statistik der Weltbank, ist das BIP der Ukraine um 20 Prozent geringer als 1990. Dies ist in erster Linie Folge einer falschen Wirtschaftspolitik“, sagte Anders Aslund. Nach seiner Meinung hätte das Land in jener Zeit politische Reformen umsetzen müssen, wie eine Reform des Staatssystems und des Energiesektors, um die Staatsfinanzen zu stabilisieren.

Gleichzeitig lobte der Experte die Reformen, die im vergangenen Jahr in der Ukraine durchgeführt wurden. „Die Ukraine beschloss in einem Jahr 400 Reformgesetze. Das ist mehr als jemals zuvor in diesem Land“, sagte der Experte und betonte, dass „die Reformen Zeit brauchen, damit die Ergebnisse sichtbar werden“. Die Reformergebnisse werden sich frühestens in einem Jahr zeigen.

Anders Aslund betonte, dass die Unterstützung westlicher Partner derzeit ein wichtiger Faktor für den Erfolg der Reformen in der Ukraine ist. Dabei sollen sie nicht nur nach dem Muster der besten Praktik sein, sondern auch gewisse Schritte beinhalten, die zur Entwicklung der Ukraine beitragen – unter anderem der Zugang der Ukraine zum europäischen Markt, sowie finanzielle und technische Hilfe. Europa muss der „Anker der Reformen“ für die Ukraine sein, sagte der Experte, wobei Europa bisher nicht ausreichend viel für die Ukraine getan hat. „Seit 2010 versprach die Europäische Union Griechenland 300 Mrd. Euro für ein Land mit 10 Millionen Einwohnern; der Ukraine wurden nur 5 Mrd. Euro versprochen. Diese Zahlen können selbst dann nicht miteinander verglichen werden, wenn man argumentiert, dass Griechenland Mitglied der EU ist“, erklärte der Experte. Seiner Meinung nach braucht die Ukraine noch zirka 8 Mrd. USD weitere Finanzhilfen aus den USA und der EU.

Als Anders Aslund die zu empfehlenden Schritte aufzählte, die auf längere Sicht zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Situation betragen werden, nannte er als wichtigste Komponente, alle Behörden zu erneuern. „Vor allem braucht es Führungskräfte, die Reformen durchführen wollen“, erklärte der Experte.

Er betonte, dass bei den letzten Parlamentswahlen teilweise neue Abgeordneten in die Werchowna Rada kamen, aber dass dies noch nicht ausreicht.

Wenn es bei der Regierung einen gewissen politischen Willen zur Durchführung tiefgreifender systemischer Reformen gibt, müssen dabei mehrere mehrere wichtige Schritte umgesetzt werden, einschließlich unpopulären, wie die Schließung staatlicher Institutionen, die keine extrem wichtigen Funktionen ausüben; eine ernste Lustration; die Durchführung der Steuer- und Gerichtsreform; und die Verringerung des Beamtenapparats auf ein optimales Minimum. „Man braucht zum Beispiel von 19.000 Staatsanwälten nur 4.000 und von 10.000 Richtern nur 2.500. Und auf diese Posten müssen junge Spezialisten“, erklärte der Experte.

Er merkte an, dass gerade die Korruption im Gerichtssystem alle Reformen im Land bedeutend bremst und dass sie deren Umsetzung solange verzögert, bis nicht nur Experten, sondern auch Geschäftsleute und normale Bürger keine Ergebnisse sehen.

Anders Aslund empfahl, radikale Schritte nicht zu fürchten und erinnerte an das Beispiel von Estland, wo durch die sofortige „Entlassung aller“ bis heute das Korruptionsniveau weit geringer ist als in jedem anderen EU-Land.

Weitere notwendige Reformen sind eine Deregulierung der Wirtschaft, die Dezentralisierung und eine Reform des Energiesektors, unter anderem die Aufhebung der Energiesubvention, die Einführung eines einheitlichen Preises für Energieträger, die Schaffung eines Markts für Energieressourcen und die größtmögliche Beschränkung der Abhängigkeit von russischem Gas.

Anders Aslund merkte an, dass nicht nur die russische Aggression ein Risiko für ein positives Szenario für die Entwicklung der Ukraine darstellt, sondern auch die schwierige Finanzsituation: gerade mangelt es an finanzieller Hilfe westlicher Partner und das BIP geht zurück (hauptsächlich im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ostukraine). Die unpopulären Schritte der Staatsführung, die auf lange Sicht zu einem positiven Ergebnis führen würden, rufen in der Bevölkerung Unverständnis und Unzufriedenheit hervor.

Auf dieses Problem ging auch Dmitrij Schimkiw, der stellvertretende Chef der Präsidialverwaltung in der Ukraine, ein. „Wir haben wieder einen Populismus, wie im Sozialismus, was die grundlegende blablabla, was die grundsätzliche Antwort darauf ist, warum sich heute westliche Partner so sehr sorgen. […] Man muss sich vom Populismus trennen und den Staat auf den Prinzipien der Wirtschaftsentwicklung aufbauen. Um etwas zu verteilen, muss etwas eingenommen werden. Und um etwas einzunehmen, muss es Unternehmer geben“, betonte Dmitrij Schimkiw.