Untersuchungsergebnisse über die Korruption unter Beamten

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Kiew, 20. Oktober 2015 – „Je mehr Schmiergeld du nimmst, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass du sitzt“ – zu dieser seltsamen und gleichzeitig „komischen“ Schlussfolgerung kamen Journalisten der Onlinezeitung „Perwaja Instanzija“ („Erste Instanz“) über Gerichtsfälle, als sie die letzten 100 Entscheidungen aus der einheitlichen Liste der Gerichtsbeschlüsse untersuchten, die in Fällen über „illegale Vorteile“ gefällt wurden. Oder einfacher gesagt, in Schmiergeldfällen.

„Von 100 Gerichtsentscheidungen, die in den vergangenen drei Monaten gefällt wurden, gab es 21 Freiheitsstrafen wegen Korruption und Vorteilnahme“, berichtete der Redakteur von „Perwaja Instanzija“, Fedir Orischtschuk, während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center.

Weiter wurden 19 Fälle mit einer Bewährungsstrafe ersetzt; in 12 Fällen gab es Freisprüche; und in 48 Fällen wurden Beamte für ihre Bestechlichkeit bestraft, ergänzte der Redakteur von „Perwaja Instanzija“.

Einerseits, so Fedir Orischtschuk, sieht das Gesetz die Bestrafung von Bestechlichkeit vor, aber andererseits wählen die Gerichte oft mildere Strafen. Allerdings liegt das Problem darin, dass diese Strafen nur die Spitze des Eisbergs sind, wie der Redakteur der Onlinezeitung sagte und dazu Beispiele für Entscheidungen in vergleichbaren Fällen aufführte: „Für eine illegale Vorteilsnahme mit 1.000 Hryvna eines stellvertretenden Oberarztes im Zentralkrankenhaus wurde eine Strafe in Höhe von 25.000 Hryvna verhängt; aber ein Steuerinspektor aus Tscherkassy musste für ein Schmiergeld in Höhe von 15.000 Hryvna 17.000 Hryvna zahlen.“

Die Journalisten berechneten auch, wie die durchschnittliche Schmiergeldsumme mit dem gefällten Urteil zusammenhängt. „Diejenigen, die für Schmiergeld angeklagt waren und freigesprochen wurden, erhielten durchschnittlich 112.000 Hryvna. Diejenigen, die mit Bewährung verurteilt wurden, erhielten durchschnittlich 79.000 Hryvna. Und diejenigen, die letztlich hinter Gitter kamen, erhielten durchschnittlich 40.000 Hryvna“, erklärte Fedir Orischtschuk die Statistik.

Dmitrij Jakimtschuk, Koordinator der Kampagne „Deklarationen ohne Dekorationen“ bei „Transparency International Ukraine“, die Einkommenserklärungen von Beamten  kontrolliert, berichtete, dass die Organisation mit der Prüfung der Einkommenserklärungen von Richtern begann. Am Anfang wurden die Anfragen zu den entsprechenden Informationen an die Hauptstadtgerichte gestellt, wobei alle antworteten, außer das Gericht im Schewtschenko-Bezirk. Dmitrij Jakimtschuk merkte an, dass bei den bearbeiteten Deklarationen der Kiewer Richter eine Tendenz zu beobachten ist: nicht alle Familienmitglieder der Richter legen ihre Eigentums- und Einkommensverhältnisse offen.

„Beim Dneprowsker Regionalgericht von Kiew, wo 35 Richter tätig sind, gab keiner der Richter Informationen über die Einkommen seiner Familienmitglieder an. […] Dies ist ein Verstoß, da alle Informationen, die in den Einkommenserklärungen enthalten sind, außer den personenbezogenen Daten, einer Veröffentlichung unterliegen“, betonte der Koordinator der Kampagne.

Nach seinen Angaben war noch etwas anderes interessant an den Deklarationen der Richter, die man früher nicht fand: der Posten „Geschenke, Preise und Gewinne“ für Familienmitglieder der Richter. Die dort angegebenen Vermögenswerte gingen in die Millionen Hryvna. Zum Beispiel, so Dmitrij Jakimtschuk, in Bezug auf das Berufungsverwaltungsgericht, bei dem 58 Richter arbeiten, gaben die Familienmitglieder von 9 Richtern keine Deklaration ab und bei 4 Richter nannten die Familienmitglieder Geschenke, Preise und Gewinne. „Die Familienmitglieder des vorsitzenden Richters, Andrej Nikolajewitsch Gorjanow, erhielten Geschenke, Preise und Gewinne in Höhe von 819.115 Hryvna; die Familienmitglieder von Natalija Nikolajewna Litwina erhielt 1.599.300 Hryvna“, berichtete der Vertreter von „Transparency International Ukraine“.

Michail Schernakow, Kandidat der Rechtswissenschaften und Experte bei der Gerichtsgruppe von „Reanimationspaket für Reformen“ (RPR), äußerte die Meinung, dass das derzeitige Gerichtssystem unfähig ist, die Korruption zu überwinden, da es selbst korrupt ist. Und wie Schernakow anmerkte, ist nach Meinung der Bürger der Gerichtsbereich der korrupteste. Das Vertrauen der Gesellschaft in Gerichte beträgt insgesamt nur zirka 5 Prozent. Ein Problem des Gerichtssystems, so der Experte, ist die Korruption, das zweite die Abhängigkeit von Politikern und Oligarchen.

Leider trat bis heute faktisch keines der drei beschlossenen Gesetze zur Reform des Gerichtssystems in Kraft, das darauf abzielt, die Gerichte zu säubern, weil die Vertreter des Gerichtssystems sich diesem Prozess versperren, betonte Michail Schernakow.

Der Entwurf für eine Verfassungsänderung, der von der Verfassungskommission ausgearbeitet wurde, so die Meinung des RPR-Experten, gewährleistet nicht nur kein Ergebnis der Gerichtsreform, sondern konserviert zu einem gewissen Grad auch den heutigen Zustand des Gerichtssystems. Es sieht keine Beseitigung des politischen Einflusses durch den Präsidenten auf die Richter vor, sowie keine Erneuerung der Gerichte.

Im Kontext der Erneuerung geht es um die Ankündigung von transparenten Ausschreibungen für alle Ämter bei Gericht, nach dem Vorbild der Ausschreibungen für die neue Streifenpolizei. Dies ist der einzige Weg für eine Säuberung der Behörde, davon ist Michail Schernakow überzeugt.

„Die allermeisten heute amtierenden Richter haben sich niemals beworben. Sie wurden politisch ernennt und die Mechanismen basierten immer auf Loyalität und Korruption“, meinte er.

Die Öffentlichkeit und Journalisten, so die Empfehlung der Teilnehmer der Pressekonferenz, können ihrerseits solche Instrumente wie das Einheitliche Register für Gerichtsentscheide, sowie Fälle, die große Resonanz hervorrufen, oder zweifelhafte Gerichtsentscheidungen auf der Website von „Perwaja Instanzija“ nutzen, um die Richter zu kontrollieren. Weitere Quellen sind die Deklarationen von Richtern auf den offiziellen Webseiten der Gerichte oder die elektronische Datenbank mit Einkommenserklärungen auf der Website http://www.anticorruption.in.ua, sowie der Vergleich von Informationen über Grundstücke in den Deklarationen von Richtern mit den Daten im Landkataster.