Experten: Die Dekommunisierung in der Ukraine muss mit dem Gesetz in Einklang gebracht werden

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Im September dieses Jahres wollen Expertenkreise einen “Guide zur Dekommunisierung” vorstellen.  Mit Hilfe dieses “Leitfadens” versuchen Experten, die Probleme zu lösen, die sich derzeit in der Ukraine im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Dekommunisierung ergeben. Die Dekommunisierung sieht ein Verbot der Propaganda sowjetischer und nazistischer Symbole vor.

Kiew, 5. Juli 2016 – Der “Guide zur Dekommunisierung” werde die Terminologie, die Gesetzgebung, die Kompetenzverteilung zwischen den Staatsorganen, die Teilhabe der Gemeinden und auch die Besonderheiten der Dekommunisierung in diversen anderen Bereichen ausführlich erklären, sagte Wladislawa Osmak, Leiterin des Zentrums für urbane Forschung der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie während eines Briefings im Ukraine Crisis Media Center (UCMC).

Die Initiative entstand als Reaktion auf die Wahrnehmung der Dekommunisierung in der ukrainischen Gesellschaft. “Revanchistisch zu denken ist heute kontraproduktiv. Man muss im Rahmen eines gemeinsamen Schaffens denken, wo die Seiten einander zumindest zuhören und einen Dialog initiieren”, betonte Switlana Schliptschenko, Leiterin wissenschaftlicher Programme beim Zentrum für urbane Forschung der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie.

Ihrer Meinung nach ist es wichtig zu verstehen, was nach einem “Abriss eines Denkmals” gemacht werden muss. “Wir brauchen nicht gegen Symbolik zu kämpfen, sondern müssen unser Lebensumfeld überdenken. Wir hatten 25 Jahre Zeit, um unsere Vergangenheit zu überdenken, doch viele wollten dies nicht tun. Das ist ein schmerzhafter Prozess, der eine massive Informationskampagne erfordert”, sagte Schliptschenko. Sie betonte, dass man den Menschen die ein oder andere Veränderung erklären müsse, wie beispielsweise die Umbenennung eines Ortes, und die inhaltliche Bedeutung, die mit der alten und neuen Bezeichnung verbunden ist. Faktisch müssen die Menschen ihre Vergangenheit überdenken.

Kann die Ukraine Erfahrungen der Entnazifizierung nutzen?

Schliptschenko zufolge werden in der Ukraine heute Denkmäler aus der Zeit der Sowjetunion zerstört, weswegen der Ukraine Vandalismus vorgeworfen wird. Sie zog Parallelen zwischen der Dekommunisierung in der Ukraine und der Entnazifizierung in Deutschland. Ihrer Meinung nach erleichterten die Nürnberger Prozesse die Entnazifizierung in Deutschland und legitimierten sie. Es sei daher unvorstellbar, dass in Deutschland Denkmäler für Hitler errichtet würden. In der Ukraine hingegen habe niemand offiziell das Sowjetregime als verbrecherisch erklärt.

Leonid Maruschtschak, Leiter der Kunstabteilung des UCMC, merkte an, dass die Dekommunisierung mit dem Gesetz in Einklang gebracht werden müsse. “Die Dekommunisierung muss in Übereinstimmung mit dem Gesetz [Über die Verurteilung des kommunistischen und des nationalsozialistischen (nazistischen) totalitären Regimes in der Ukraine und das Verbot der Propaganda ihrer Symbolik] erfolgen. Genau diese Gesetze enthalten Normen zur Wahrung des Kulturerbes. Wenn dort “Demontage der Symbolik” geschrieben steht, dann muss sie von Experten professionell durchgeführt werden”, betonte er.

Änderung der Ansätze zur Wahrnehmung von Kunst

Maruschtschak forderte außerdem dazu auf, das Kulturerbe als Kunstobjekte und nicht als Symbole anzusehen. Man sollte daran denken, sie zu erhalten, vor allem im Zuge der Dekommunisierung, wo viele Objekte dieser Art bedenkenlos zerstört würden. Seiner Meinung nach ist es wichtig, nicht mehr von einer “sowjetischen monumentalen Kunst”, sondern von einer “ukrainischen Kunst der sowjetischen Epoche” zu sprechen. “Im Zuge der Dekommunisierung vergessen wir oft, wie wichtig der Entstehungsprozess der ukrainischen monumentalen Kunst war und wer sich damals mit der Entwicklung dieser Kunstrichtung befasste”, sagte Maruschtschak.

Auch Oksana Remenjak, Leiterin der Abteilung für moderne Kunsttechnologien am Institut für Probleme moderner Kunst der nationalen ukrainischen Kunstakademie, rief dazu auf, nicht zu vergessen, dass die Künstler Geiseln des sowjetischen Systems waren und unter den damaligen Bedingungen irgendwie schöpferisch arbeiten und ihr Talent verwirklichen mussten. In dieser Zeit seien viele Werke geschaffen worden, die in der Tat einzigartig seien.

Der Leitfaden soll Museen helfen

Lesja Gasidschak, Leiterin der Informations- und Forschungsabteilung der gesellschaftlichen Organisation “Zentrum für Entwicklung von Museen”, merkte an, dass Museen heute verängstigt seien, weil sie die Gesetze nicht deuten könnten und mit der Dekommunisierung, deren Methoden und den Folgen nicht zurechtkämen.

Nach der Meinung von Anastasia Tscherednitschenko, der Chefredakteurin des Magazins “Musejnyj Prostir” (Museumslandschaft) des “Zentrums für Entwicklung von Museen”, ist es für Museen heute am wichtigsten, ihre Kollektionen richtig zu interpretieren, denn es sei unmöglich, Gegenstände aus Museumssammlungen einfach herauszuwerfen. Wir müssen ihnen mit einer umfassenden Betrachtung verschiedener Ereignisse in der Geschichte der Ukraine helfen.