47 Prozent der Ukrainer zu Kompromissen bei Donbass-Verhandlungen bereit

Der Konflikt im Donbass steckt seit den Minsker Vereinbarungen vom Februar 2015 in der Sackgasse. Weder eine Waffenruhe noch ein Abzug von Waffen konnte erreicht werden. Der politische Teil der Vereinbarungen sieht Wahlen sowie eine Wiedereingliederung der Region in die Ukraine vor. Doch was denken darüber die Ukrainer und zu welchen Kompromissen sind sie bereit? Im Ukraine Crisis Media Center wurden Ergebnisse einer Umfrage diskutiert.

Kiew, 19. Juli 2016 – 47 Prozent der Ukrainer sind zu Kompromissen in Verhandlungen bereit, wenn so im Donbass Frieden hergestellt werden kann. Doch die Befragten schließen dabei Wahlen im Donbass sowie einen Sonderstatus für die Region aus. Im Süden der Ukraine und im Donbass ist jedoch ein Drittel der Menschen zu jeglichen Kompromissen bereit. Das geht aus einer Umfrage der Kiewer Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen” hervor.

43 Prozent der Ukrainer sind gegen Wahlen in den vorübergehend besetzten Gebieten. Fast genauso viele (48 Prozent) sind gegen einen Sonderstatus für die Region. Zugleich sind 13 bis 14 Prozent der Ukrainer überzeugt, dass man die vorübergehend besetzten Gebiete militärisch zurückerobern kann.

Was denken die Menschen im Donbass?

Was die Stationierung von Friedenstruppen angeht, so hat sich im letzten Jahr die Meinung der Menschen im Donbass dazu verändert. Im vergangenen Jahr waren nur 16 Prozent dafür und 68 Prozent dagegen – jetzt sind es entsprechend 39 und 36 Prozent.

Iryna Bekeschkina, Leiterin der Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen”, sagte im Ukraine Crisis Media Center (UCMC), die Ansichten der Bewohner in den befreiten Gebieten des Donbass unterscheide sich sehr von denen der Menschen in den vorübergehend besetzten Gebieten, wo starke Propaganda betrieben werde. Die Umfrage jenseits der Trennlinie wurde Bekeschkina zufolge telefonisch durchgeführt.

Wie kann der Konflikt gelöst werden?

41 Prozent der Ukrainer glauben, dass internationaler wirtschaftlicher und politischer Druck auf Russland das wichtigste Instrument zur Lösung des Konflikts im Donbass ist. Nur so könne man Moskau zwingen, sich zurückzuziehen.

28 Prozent meinen, dass der Aufbau normaler Lebensbedingungen in den befreiten Gebieten zur Lösung des Konflikts beitragen werde. Doch gehen in der ukrainischen Öffentlichkeit die Ansichten erheblich auseinander, wie Kiews Politik gegenüber den vorübergehend besetzten Gebieten aussehen soll. 23 Prozent befürworten einen völligen Abbruch aller Kontakte. 19 Prozent treten für einen eingeschränkten Kontakt ein, wo die Menschen die Trennlinie überqueren und in den von Kiew kontrollierten Gebieten Sozialleistungen erhalten können. 12,5 Prozent sind für die Aufrechterhaltung gewisser Handelsbeziehungen und 16 Prozent wollen eine weiche, schrittweise Wiedereingliederung und die Umsetzung der politischen Vereinbarungen von Minsk.

Auch Experten unterschiedlicher Meinung

Wie eine Diskussion im UCMC gezeigt hat, sind auch Experten über die Aussichten einer Wiedereingliederung des Donbass in die Ukraine unterschiedlicher Meinung. Roman Bessmertnyj, ehemaliger ukrainischer Botschafter in Belarus (2010-2011) und ehemaliges Mitglied der Trilateralen Kontaktgruppe zur Beilegung des bewaffneten Konflikts im Donbass, ist überzeugt, dass man sich auf eine “schrittweise, allmähliche, wahrscheinlich langfristige Wiedereingliederung” jener Gebiete konzentrieren sollte. Ihm zufolge kann im Rahmen des Minsk-Prozesses nicht auf jede Frage eine Antwort gefunden werden.

Wolodymyr Fesenko, Leiter des Zentrums für politische Studien “Penta”, meint, derzeit befänden sich die Verhandlungen in einer Patt-Situation. Zu den Kompromissen, zu denen die Ukraine bereit sei, seien die Anführer der sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” nicht bereit, und umgekehrt. “Wahlen in den vorübergehend besetzten Gebieten können der Schlüssel zur Lösung des Konflikts sein, zur Auflösung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie zur Wiedereingliederung der Gebiete”, sagte der Experte.

Der Vorsitzende der Stiftung “Maidan of Foreign Affairs”, Bohdan Jaremenko, sagte, dass man die Themen Föderalisierung, Sonderstatus und Autonomie mit dem Thema Dezentralisierung auffangen könne. “Es geht aber nicht um eine politische Dezentralisierung der Regionen, sondern nur um eine fiskalische Dezentralisierung, um mehr Geld für die lokalen Gemeinden”, so der Experte. Mit entsprechenden Verfassungsänderungen würden alle Regionen der Ukraine zufrieden sein.

Dmytro Tkatschenko, Experte des Forschungszentrums “Meinungsfabrik Donbass” betonte, die Strategie zur Wiedereingliederung der vorübergehend besetzten Gebiete und die Politik der Ukraine gegenüber ihnen sollte nicht darauf setzen, nur die Kontrolle über die Territorien wiederherzustellen, sondern darauf, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die jenseits der der Trennlinie leben.

Bohdan Jaremenko und Witalij Sisow vom “Donezker Institut für Informationen”, betonten, dass die Kommunikationskanäle mit den Bewohnern in den vorübergehend besetzten Gebieten aufrechterhalten werden müssten. Eine Isolierung würde zu einer immer größeren Entfremdung führen. In diesem Zusammenhang sagte der Parlamentsabgeordnete Oleksij Rjabtschyn von der Fraktion “Vaterland”: “Wir müssen die jungen Menschen, die weg wollen, dort herausholen. Denn in zehn bis 20 Jahren wird diese Generation jene Gebiete in die Ukraine wieder eingliedern. Ohne die Rückkehr der Universitäten, Medien, und NGOs in den Donbass wird es sehr schwierig werden, dort etwas zu erreichen.”