Zensur oder Cyber-Sicherheit, Geiseln des Kremls, Klage gegen die Ukraine in Italien sowie weitere Themen: Übersicht der ukrainischen Pressenachrichten #64, 2.-8. Juli

Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine

Die russischen Besatzungstruppen ignorieren den Beschluss der Trilateralen Kontaktgruppe bezüglich der jüngsten Waffenruhe und setzen ihre Angriffe praktisch entlang der ganzen Konfliktlinie fort. Der Feind setzt dabei Granatwerfer, großkalibrige Maschinengewehre und Handfeuerwaffen ein.

Die ukrainischen Einheiten der Vereinigten Kräfte halten ihren Stellungen und verstoßen nicht gegen die Waffenruhe. Sie lassen sich auch nicht auf Provokationen des Feindes ein. Gleichzeitig haben aber Angehörige der ukrainischen Vereinigten Kräfte, die unmittelbar an Abwehrkämpfen beteiligt sind, das Recht, das Feuer zu erwidern. Einen entsprechenden Befehl kann der zuständige Kommandeur der betreffenden Einheit geben, die vom Feind angegriffen wird. Alle Entscheidungen über eine angemessene Reaktion werden vor Ort getroffen.

Am schwierigsten war die Lage am Frontabschnitt Mariupol. Dort wurde die größte Anzahl von Provokationen gezählt, darunter nahe den Ortschaften Wodjane, Hnutowe, Schyrokyne, Pawlopil, Tschermalyk und Lebedynske. Mit Granatwerfern, großkalibrigen Maschinengewehren und Kleinwaffen versuchte der Feind, die ukrainischen Kräfte dazu zu bringen, das Feuer zu erwidern.


Zensur oder Cyber-Sicherheit? Streit um geplantes Gesetz in der Ukraine

Vergangene Woche wurde in der Ukraine heftig über einen Gesetzentwurf debattiert, der die Möglichkeit vorsieht, noch vor einem Gerichtsentscheid Internetseiten in der Ukraine sperren zu lassen. Die Autoren des Gesetzes verweisen auf Cyber-Sicherheit, während Medienvertreter vor einer möglichen Zensur warnen. Das Parlament sollte den Gesetzentwurf am 5. Juli erörtern, verschob aber erst einmal eine Entscheidung darüber. Am 10. Juli ist die letzte Plenarsitzung vor den Sommerferien.

Wer hat den Gesetzentwurf eingebracht? Initiiert wurde das Gesetz von den Abgeordneten Iwan Winnyk (Block Petro Poroschenko), Dmytro Tymtschuk (Volksfront) und Tatjana Tschornowol (Volksfront). Zumindest auf dem Papier wollen sie das Internet in der Ukraine vor Virus-Attacken und Cyber-Bedrohungen schützen.

Was steht in dem Entwurf? Die Autoren des Dokuments schlagen vor, Internetseiten zu sperren, wenn deren Inhalt Anzeichen für Hochverrat und Terrorismus sowie Aufrufe zum Selbstmord enthalten. “Niemand schlägt vor, Webseiten zu schließen. Wenn eine Webseite nicht freiwillig eine Nachricht löscht, die die Informationssicherheit gefährdet, dann wird der Link zu dieser Nachricht blockiert. Die ganze Webseite muss man aber nicht sperren”, sagte Winnyk im Parlament. Ihm zufolge hatten beispielsweise mehrere große Webseiten Paraden der sogenannten “Volksrepublik Donezk” übertragen.

Wer kritisiert das geplante Gesetz? Eine Reihe bekannter Medien- und Menschenrechtsorganisationen haben das Parlament aufgefordert, ein solch unzulängliches Gesetz nicht zu verabschieden – darunter der “Journalistenverband der Ukraine”, die “Plattform für Menschenrechte”, das “Labor für digitale Sicherheit”, das “Informationszentrum für Menschenrechte”, die Vertretung von “Freedom House” in der Ukraine und viele andere Organisationen. Medienvertreter meinen, das ukrainische Parlament stehe kurz vor der Einführung einer Zensur im Internet, weil im Gesetzentwurf klare Kontrollmechanismen fehlen würden. Sie weisen auf mehrere Gefahren hin:

– der Gesetzentwurf gewährt den Behörden, insbesondere dem Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU), unkontrollierte Möglichkeiten, Informationsquellen zu blockieren;

– der Gesetzentwurf ermöglicht die Sperrung von Online-Quellen durch ukrainische Internetprovider, wenn die Webseite auch nur im Verdacht steht, gegen das Gesetz zu verstoßen – und das ohne einen Gerichtsentscheid für 48 Stunden;

– der Gesetzentwurf sieht ein Verzeichnis verbotener Informationsquellen vor, auf dessen Grundlage Telekommunikationsanbieter den Zugang zu ihnen einschränken müssen. Die Provider müssen auf eigene Kosten die technischen Mitteln anschaffen, die für eine Sperrung nötig sind. Wenn sie sich nicht an das Gesetz halten, drohen ihnen Strafen.

Die Position des SBU. Der Sicherheitsdienst der Ukraine unterstützt die Initiative der Gesetzgeber und beruft sich dabei auf Webseiten, die eine Gefahr darstellen. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2018 registrierte der SBU 181 Internetquellen, mit denen russische Geheimdienste die Lage in der Ukraine destabilisieren wollten. Das erklärte der stellvertretende SBU-Chef Oleh Frolow bei einer Sitzung im Parlament zu Fragen der nationalen Sicherheit.

Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Der Parlamentsausschuss für nationaler Sicherheit und Verteidigung hat empfohlen, den Gesetzentwurf (Nr. 6688) in erster Lesung anzunehmen, der erlaubt, Informationsquellen vorübergehend sperren zu lassen. Die entsprechende Entscheidung der Ausschussmitglieder wurde bei einer Sitzung des Parlaments am 4. Juli unterstützt. Den Abgeordneten bleibt noch bis zum 10. Juli Zeit, das Gesetz in erster Lesung vor den Sommerferien zu verabschieden.


Die politischen Gefangenen Baluch und Senzow

Urteil gegen Baluch. Auf der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim ist von einem vom Kreml kontrollierten Bezirksgericht der ukrainische Aktivist Wolodymyr Baluch zu fünf Jahren Haft und zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Rubel (rund 1300 Euro) verurteilt worden. Der Aktivist erhielt die Haftstrafe nach insgesamt zwei Strafverfahren. Bei der Urteilsverkündung sagte die Richterin, Baluch habe Straftaten verübt, die mit seiner “Feindseligkeit gegenüber dem gegenwärtigen Regierungssystem” zusammenhängen würden.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bezeichnete das Urteil als Abrechnung mit dem ukrainischen Aktivisten. Er betonte, dass die Ukraine weiterhin um jede Geisel des Kremls kämpfen werde. Auch das Außenamt in Kiew protestierte gegen das Urteil.

Die Vertreterin der Ukraine in der Humanitären Gruppe der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk, die erste stellvertretende Parlamentsvorsitzende Iryna Heraschtschenko, schlug dem Vertreter der Russischen Föderation in der Kontaktgruppe, Boris Gryslow, vor, am 11. Juli oder an einem anderen geeigneten Termin eine erweiterte Sitzung der Kontaktgruppe durchzuführen und zu besprechen, wie 36 Russen, die in der Ukraine inhaftiert sind, gegen die Ukrainer ausgetauscht werden könnten, die aus politischen Gründen in russischen Gefängnissen sitzen.

Senzow: Cousine erstmals seit vier Jahren zu Besuch. Natalia Kaplan, Cousine des ukrainischen Regisseurs Oleh Senzow, der in Russland zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, konnte am 5. Juli Oleh in der Strafkolonie “Eisbär” in Labytnangi in der Autonomen Region Jamal-Nenzen im Norden der Russischen Föderation besuchen.

“Wir haben zwei Stunden miteinander gesprochen. Oleh wiegt jetzt 75 kg, und das bei einer Größe von 190 cm. Während des Hungerstreiks hat er 15 kg abgenommen”, sagte Kaplan dem ukrainischen Sender “Hromadske”. Ihren Angaben zufolge wird Senzows Gesundheitszustand derzeit als befriedigend eingeschätzt. Sie sagte, Oleh hänge derzeit am Tropf. “Ohne ihn hätte er nicht überlebt. Er will den Hungerstreik aber nicht beenden. Er glaubt an seinen Sieg”, so Olehs Cousine.


Der Fall Markiw in Italien: Prozessbeginn und Klage gegen die Ukraine

Am 6. Juli hat in der italienischen Stadt Pavia die erste Gerichtsverhandlung im Fall Witalij Markiw stattgefunden. Der Angehörige der ukrainischen Nationalgarde wird für den Tod des italienischen Journalisten Andrea Rocchelli und des russischen Menschenrechtlers Andrej Mironow verantwortlich gemacht. Beide verloren im Mai 2014 im Kampfgebiet im Osten der Ukraine nahe der Stadt Slowjansk ihr Leben. Markiw war damals einfacher Soldat eines Bataillons der Nationalgarde auf dem Berg Karatschun, unweit von Slowjanks. Er bestreitet seine Beteiligung am Tod der beiden Männer. Der Ukrainer war letztes Jahr im Flughafen von Bologna verhaftet worden. Er wollte in Italien seine Mutter besuchen. Seitdem sitzt er in einem italienischen Gefängnis.

Die ukrainische Seite ist überzeugt, dass Markiw mit dem Tod der Männer nichts zu tun hat. Zahlreiche Kollegen von Witalij Markiw sowie andere Zeugen würden dies belegen. Die Ukraine hat ihre Bereitschaft erklärt, mit der italienischen Justiz zusammenzuarbeiten, um den Fall zu klären. Das Ukraine Crisis Media Center hatte vor einem Jahr in einem Artikel über den Fall berichtet.

Bis zum 30. November dieses Jahres wird es fünf Sitzungen in diesem Fall geben. “Radio Liberty”, der italienische öffentlich-rechtliche Sender “RAI” und der russische staatliche Kanal “Russia-1” wurden zu dem Prozess zugelassen.

Doch einen neuen Wendepunkt in diesem Fall stellt die Klage italienischer Journalistenverbände gegen den ukrainischen Staat dar. Der landesweite Presseverband “FNSI”, der Regionalverband der Journalisten der Lombardei und der Verband der Freelance-Fotografen “Cesura Lab”, zu dessen Gründern Andrea Rocchelli gehörte, klagen im Zusammenhang mit dessen Tod gegen die Ukraine. Der Inhalt der Klage ist noch nicht veröffentlicht. Beobachter meinen, dass der Fall nun einen politischen Charakter annehme. “Radio Liberty” schreibt unter Berufung auf eigene Quellen in diplomatischen Kreisen: “Jetzt geht es nicht mehr nur darum, einen Bürger der Ukraine des Mordes anzuklagen, sondern den Staat Ukraine für diese Verbrechen verantwortlich zu machen.”


Umfrage: Was macht den Ukrainern Sorge?

Eine Meinungsumfrage, die im Mai 2018 vom Kiewer Internationalen Institut für Soziologie durchgeführt wurde, hat ergeben, dass 67 Prozent der Befragten wegen des Kriegs im Osten der Ukraine besorgt sind. 54 Prozent machen sich Sorgen um ihren Lebensstandard. Über den Status der russischen Sprache in der Ukraine sind nur 2 Prozent der Befragten besorgt, und über die Beziehungen zur Europäischen Union 4 Prozent. Themen wie die Beziehungen zwischen Bürgern der Ukraine verschiedener Nationalitäten, die Wiederbelebung der ukrainischen Nation oder die Annexion der Krim bereiten 5 bis 6 Prozent der Bürger Sorgen.


Kultur: Ukrainische Schriftstellerin erhält Ingeborg-Bachmann-Preis

Die ukrainische Schriftstellerin Tatjana Maljartschuk hat den deutschsprachigen Literaturwettbewerb im österreichischen Klagenfurt gewonnen und den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten. Zuvor hatte die Autorin auf Facebook mitgeteilt, dass sie mit einem eigenen deutschsprachigen Text eine Vorauswahl beim Wettbewerb bestanden habe.

Die Lesungen finden seit 1977 in Klagenfurt statt und werden von rund 300.000 Menschen besucht. Der Ingeborg-Bachmann-Preis wurde 1977 zu Ehren der gleichnamigen bekanntesten österreichischen Schriftstellerin gegründet. Der Gewinner erhält einen Preis von 25.000 Euro.

Tatjana Maljartschuk ist eine ukrainische Schriftstellerin und Publizistin, die seit 2011 in Österreich lebt.