Staatsstreich, Krieg und Wagnergate: Präsident Selenskyjs Pressekonferenz zur Hälfte seiner Amtszeit

KIEV, UKRAINE - NOVEMBER 26: (----EDITORIAL USE ONLY â MANDATORY CREDIT - "UKRAINIAN PRESIDENCY / HANDOUT" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS----) Ukrainian President Volodymyr Zelensky attends a press marathon titled "30 Questions to the President of Ukraine" in Kiev, Ukraine on November 26, 2021. (Photo by Ukranian Presidency / Handout/Anadolu Agency via Getty Images)

Am 26. November 2021 hat eine Pressekonferenz des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj stattgefunden. Während seines Gesprächs mit Journalisten sprach er von einem Staatsstreich, der im Land vorbereitet werde, und äußerte sich zudem erstmals zum sogenannten Wagnergate. Er sprach auch ausführlich über die Zuspitzung der Lage an der ukrainisch-russischen Grenze. Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center (UCMC):

Staatsstreich

Eine der aufsehenerregendsten Äußerungen von Wolodymyr Selenskyj war, in der Ukraine werde ein Staatsstreich geplant, in den der reichste Mann des Landes, Rinat Achmetow, “verwickelt” sei. Selenskyj sagte, Achmetow werde von seinem Umfeld in eine solche Aktion gegen das eigene Volk und den Präsidenten des Landes hineingezogen. Gleichzeitig habe sich der Oligarch bereits einem Informationskrieg angeschlossen.

“Wir haben Hinweise erhalten, wonach es am 1. und 2. Dezember in unserem Land einen Staatsstreich geben soll. Das sind nicht nur Geheimdienstinformationen, sondern auch Tonaufnahmen, auf denen Vertreter der Ukraine, so könnte man sagen, mit Vertretern Russlands über eine Beteiligung von Rinat Achmetow an einem Staatsstreich in der Ukraine sprechen, und dass eine Milliarde Dollar einbezogen wird und so weiter. Ich bin der Meinung, dass dies eine Falle und Erniedrigung für Achmetow ist. Er wird in einen Krieg gegen den Staat Ukraine hineingezogen. Ich denke, er hat damit schon begonnen, und ich denke, dass dies ein großer Fehler von ihm sein wird, denn man darf nicht gegen das eigene Volk und den von ihm gewählten Präsidenten kämpfen. Ich denke, sein Umfeld verwickelt ihn in einen solchen Krieg. Ich bin diesbezüglich sehr ruhig, ich denke, dass er sich dessen vielleicht gar nicht bewusst ist, oder dies nicht weiß. Ich lade Rinat Achmetow ins Präsidialamt ein, sich die Informationen anzuhören, die man teilen darf, oder sich an die zuständigen Stellen zu wenden”, so Selenskyj.

Wagnergate und die Operation Burba

Seitens der Journalisten gab es auch Fragen an den Präsidenten zur Geschichte über die gescheiterte Operation zur Festnahme von Söldnern der sogenannten russischen “Gruppe Wagner”, eines privaten Sicherheits- und Militärunternehmens, das im Interesse der russischen Regierung operiert. Recherchen von Bellingcat hatten ergeben, dass eine Verzögerung der Operation zu ihrem Scheitern geführt haben soll.

Zunächst erläuterte Selenskyj, warum er dem entlassenen Chef der Hauptabteilung für Aufklärung beim ukrainischen Verteidigungsministerium, Wasyl Burba, misstraut. Danach ging Selenskyj auf Besonderheiten der Operation ein, die ihn gezwungen hätten, sie abzubrechen.

Selenskyj sagte, Burba sei ein Vertrauter des früheren Staatschefs Petro Poroschenko, ein “Abenteurer und Betrüger”, der ihn habe diskreditieren wollen. Zudem merke Selenskyj an, Burba habe für 11 Millionen Renovierungen in Kontscha-Saspa unternommen – einem Vorort von Kiew, wo viele Staatsbeamte Datschen haben. Der Präsident betonte, er sei gegen Burba als Chef der Aufklärung gewesen, aufgrund dessen schlechten Rufs und Verbindungen zum Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU). Außerdem sei Burba an der “Räumung” des Maidans, der Proteste im Februar 2014, beteiligt gewesen. Selenskyj erklärte, Poroschenko habe nach der Revolution der Würde 2013/14 entschieden, Burba bei sich zu behalten und habe ihm eine Stelle in der Aufklärung gegeben, obwohl Burba keine Erfahrung in der Geheimdienstarbeit gehabt habe. Dokumente über Burbas Beteiligung an der “Räumung” des Maidans hatte zuvor der ukrainische Politiker Hennadij Moskal veröffentlicht, als angebliche Pläne des SBU. Sie sind Teil der Ermittlungsakten zu den Erschießungen auf dem Maidan. Gleichzeitig wird Burba in der Sache nicht als Verdächtiger geführt.

Zweitens berichtete Selenskyj von einem wichtigen Gespräch mit dem Chef der Hauptabteilung für Aufklärung beim ukrainischen Verteidigungsministerium, Wasyl Burba, bezüglich der Sonderoperation zur Festnahme von Söldner der sogenannten russischen “Gruppe Wagner”. Nach diesem Gespräch sei Selenskyj klar geworden, dass man diese Operation nicht erlauben dürfe. “Ich hatte nur eine Frage und ich habe ihn direkt gefragt: Turkish Airlines, soll Erdogan das wissen?”, so Selenskyj. Als Antwort habe er “Nein” bekommen, wonach ihm alles klar gewesen sei.

Selenskyj betonte: “Ich möchte nicht ins Detail gehen, ich glaube nicht, dass dies unsere Operation war. Ich habe das Gefühl, dass wir da in etwas hineingezogen wurden. Ich wollte wissen, ob es ein Flugzeug der türkischen Fluggesellschaft sein sollte, das von Minsk abfliegen sollte, ob darin auch normale Leute, türkische Staatsbürger und andere, über hundert Menschen sitzen würden. Wenn das Flugzeug zur Landung in der Ukraine gezwungen werden sollte, dann stellten sich mir diese Fragen: Und wenn die Söldner dieses Flugzeug dann in ihre Gewalt bringen? Kann das passieren? Vielleicht kapern sie das Flugzeug und alle Menschen werden sterben?” Selenskyj zufolge soll Burba darauf gesagt haben, dafür werde man andere verantwortlich machen können.

“Ich habe gesagt, dass dies nicht unsere Operation sei und sie nicht im Detail durchdacht sei, dass ich bereit sei, jede Operation zu akzeptieren, auch diese, wenn die Dinge im Detail kalkuliert und keine Menschen zu Schaden kommen würden”, unterstrich Selenskyj gegenüber den Journalisten.

Ihm zufolge wollte Burba Streit zwischen ihm und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan stiften und die Ukraine in einen riesigen Skandal mit der Türkei verwickeln: “Erdogan würde uns dies nie verzeihen. Ich bespreche mit ihm solch wichtige Dinge hinter verschlossenen Türen, solch wichtige Dinge! Er hilft uns! Ich würde niemals gegen diese Wand fahren. Deshalb sage ich: Wir haben diese Operation nicht durchgeführt, wir wurden in sie hineingezogen.”

Kriegsgefahr: Eskalation möglich, aber Lage ist nicht schlimmer als im Frühjahr

Präsident Selenskyj äußerte sich auch zur Lage an der ukrainisch-russischen Grenze. Ihm zufolge handelt es sich derzeit bei der Konzentration russischer Truppen in der Nähe zur Ukraine um eine Einschüchterung seitens der Russischen Föderation. Diese Einschüchterung berge aber auch eine hohe Wahrscheinlichkeit eines echten Angriffs, denn die Spannungen würden zunehmen.

“Die Situation ist jetzt nicht schlimmer als im Frühjahr”, sagte Selenskyj. Auch damals hatte Russland Truppen in Richtung Ukraine bewegt. Er fügte hinzu, der ukrainische Geheimdienst verzeichne die zunehmenden Bewegungen auf Satellitenbildern.

Gleichzeitig machte Selenskyj auf die Verstärkung der aggressiven Rhetorik in Russland aufmerksam, die auch die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs erhöhe. “Rhetorik ist auch sehr gefährlich”, betonte er und fügte hinzu, dass man in Russland von einer Präsenz der NATO auf dem Territorium der Ukraine spreche. Dies ziele aber auf die russischen “Verbraucher im Inland” ab. “Ich stimme mit den USA vollkommen überein, dass dies eine sehr gefährliche Geschichte ist”, so Selenskyj.

Eine weitere russische Informations-Attacke sei, dass die Ukraine angeblich den Minsk-Prozess untergrabe. “Minsk ist etwas, was einst die Eskalation gestoppt hat. Wir verstehen dies als Signal, dass es zu einer Eskalation kommen kann”, erläuterte der ukrainische Präsident.

Weitere Signale seien Nord Stream sowie Belarus und die Migranten an der EU-Grenze. All dies zeige, dass es nicht nur um ein Problem mit der Ukraine gehe. “Energieprobleme und Probleme an der Grenze. es häufen sich Probleme, die gelöst werden müssen. Ein Tausch von Frieden irgendwo gegen die Lösung anderer Probleme. Gezogen wird eine für sich gewinnbringende Karte”, so Selenskyj.

Ferner würde Russland in den letzten Wochen behaupten, die Ukraine würde die Situation eskalieren und keine Versöhnung wollen. Selenskyj sagte: “Die Ukraine hat Russland nie angegriffen, so etwas haben wir nicht im Sinn. Die Kontaktlinie ist nicht Russland. Das ist die Grenze zwischen der Ukraine und dem vorübergehend besetzten ukrainischen Territorium.”

Mögliche Plattformen für Verhandlungen über die besetzten Gebiete. Selenskyj berichtete, der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, haben ihm gesagt, es müssten Argumente für weitere Gespräche mit Russland geschaffen werden. “Ich rechne mit mehreren Formaten. Es gibt das Normandie-Format, von dem die französische Seite spricht. Sie will den Druck auf Russland aufrecht erhalten, damit ein Treffen mit dem neuen Bundeskanzler stattfindet”, so Selenskyj.

Parallel erwarte er Gespräche zwischen den USA und Russland: “Wir wissen, dass ohne die Ukraine keine Entscheidungen über die Ukraine getroffen werden, aber eines der Themen wird die Ukraine sein.”

Außerdem sagte Selenskyj, es sei dringend notwendig, dass die Administrations-Chefs Dmitrij Kosak für Russland und Andrij Jermak für die Ukraine miteinander sprechen oder ein anderes Gesprächsformat gefunden werde. “Damit die Menschen und Europa sehen, dass wir kommunizieren, dann wird es keine umfassende Eskalation geben. Solche Treffen oder Anrufe sollte es in naher Zukunft geben”, forderte Selenskyj.